Bochum. Schwarzarbeit, Ukraine-Krieg und Gendern – der SPD-Politiker Axel Schäfer hat zu vielen Themen eine klare Haltung. Manche Meinung überrascht.

25 Jahre Parlamentarier – Axel Schäfer feiert in diesen Tagen ein seltenes Jubiläum. Der Spiegel nannte den SPD-Politiker kürzlich einen Saurier unter den Bundestagsabgeordneten. „Dinosaurier, bitteschön“, sagt der 70-Jährige. „Dino klingt besser.“ Ein echter Schäfer. Im Gespräch mit WAZ-Redakteur Thomas Schmitt äußert sich der MdB für Bochum zu aktuellen politischen Fragen und blickt zurück auf Erreichtes und nicht Erreichtes.

Herr Schäfer, die SPD verabschiedet mit dem Bürgergeld gerade die Agenda 2010. War Schröders Reform der größte Fehler der SPD in Ihrer Zeit als Abgeordneter?

Sie war jedenfalls nur ein halber Erfolg. Wir haben geglaubt, wenn der Vorsitzende mit Peter Hartz ein Gewerkschafter ist und Arbeitgeber und viele gesellschaftliche Gruppen eingebunden sind, kann die Agenda tragen - und zwar von der Umsetzung her als auch von der Akzeptanz in der Gesellschaft. Da haben wir uns geirrt.

Was war denn der Erfolg?

Richtig war, dass wir Langzeitarbeitslose mehr fördern. Ein Fehler war, Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe II einfach zusammenzulegen.

Warnende Stimmen gab es genug. Haben Sie damals dafür gestimmt?

Wenn meine Partei oder meine Fraktion etwas mehrheitlich beschließt, dann muss ich auch im Parlament dafür stimmen. Anders würde kein Kirchenvorstand, kein Verein und keine Gewerkschaft funktionieren. Ich habe immer mit meiner Fraktion gestimmt. Ich habe aber auch allen Bundeskanzlern und allen Partei- und Fraktionsvorsitzenden intern widersprochen, wenn ich anderer Meinung war.

Sind Abgeordnete nicht nur ihrem Gewissen verpflichtet?

Wir haben uns Regeln gegeben und die muss man dann auch einhalten. Natürlich gibt es Ausnahmen. Beispiele sind Diskussionen um Werte wie die Strafbarkeit von Abtreibungen oder das Thema Sterbehilfe. Ich bin gegen Abtreibungen aber auch gegen deren Strafbarkeit.

Der sogenannte Fraktionszwang ist für Sie also okay?

Ich nenne das Fraktionssolidarität. Es ist kein Zwang, das habe ich nie so empfunden.

Praktika in Betrieben gehören für Axel Schäfer seit 20 Jahren zur Arbeit eines Abgeordneten. Das Foto zeigt ihn im Wittener Weichenwerk mit Mitarbeiter Frank Mechler (rechts).
Praktika in Betrieben gehören für Axel Schäfer seit 20 Jahren zur Arbeit eines Abgeordneten. Das Foto zeigt ihn im Wittener Weichenwerk mit Mitarbeiter Frank Mechler (rechts). © Büro Schäfer

Verstehen Sie die Diskussion um das von der Ampel geplante Bürgergeld und die damit verbundene Frage, ob sich Arbeit im Niedriglohnsektor überhaupt noch lohnt?

Bei Leuten mit vielen Kindern kann das ungerecht wirken. Aber das Bundesverfassungsgericht hat uns Vorgaben gemacht, was Menschen zum Lebensunterhalt benötigen. Der DGB hat nachgerechnet und bestätigt, dass das Abstandsgebot gilt.

Muss aber nicht, wer arbeitet, am Ende deutlich mehr im Portemonnaie haben, wie jemand, der nicht alles versucht, einen Job zu bekommen?

98 Prozent der arbeitsfähigen Menschen, sagen wir mal 45 Millionen, wissen, dass Arbeit zum Leben dazu gehört und man ein Stück weit lebt, um zu arbeiten. Es sind also höchstens zwei Prozent, die sagen, arbeiten will ich nicht, ich komme irgendwie durch, mache Schwarzarbeit und beziehe Sozialleistungen vom Staat.

Das wären dann aber fast eine Million.

Ja, da ist verdammt viel. Man kennt ja selbst welche. Viele Arbeitslose haben selbst für einen 450-Euro-Job keine Zeit - weil sie nebenher reichlich schwarz dazu verdienen. Auch wenn ein starker Sozialstaat das aushält, müssen wir offen darüber reden.

Was war in 20 Berliner Jahren Ihr wichtigster Erfolg?

Dass wir in der Finanzkrise 2015, ich war stellvertretender Fraktionsvorsitzender, in Europa zusammengehalten haben und wir gegen die Bemühungen des damaligen CDU-Finanzministers Schäuble Griechenland nicht aus dem Euro rausgeschmissen haben. Das hat sich aus heutiger Sicht, auch von der Entwicklung Griechenlands her, bewahrheitet.

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Und für Bochum haben Sie in der Zeit was erreicht?

Für viele Projekte wie beispielsweise das Haus des Wissens, acht Millionen Euro, oder das Eisenbahnmuseum, drei Millionen‚ ist viel Geld nach Bochum geflossen. Für uns Abgeordnete ist es eine ganz wichtige Aufgabe, solche Möglichkeiten des Bundeshaushalts auszuloten. Da ist viel gelungen.

Wird diese Arbeit leichter, je länger man im Bundestag arbeitet?

Es gibt mitunter 400 Bewerbungen für 20 Projekte. Die Stadt muss ein überzeugendes Projekt präsentieren und ich meine Fraktion und andere überzeugen. Das geht hin bis hin zum Beirat für Sonderpostwertzeichen beim Finanzminister. Dass es 2008 eine Briefmarke zu 1000 Jahre Dorfkirche Stiepel gab, hat sicher auch mit meinem Einsatz zu tun.

Gab es auch Enttäuschungen?

Nicht alle meine Anträge und Gespräche waren erfolgreich. Konkrete Misserfolge kann ich aber nicht benennen.

Anpacken im Wahlkreis: Auch bei der 50. Umweltaktion der Waldschule war Axel Schäfer im April dabei.
Anpacken im Wahlkreis: Auch bei der 50. Umweltaktion der Waldschule war Axel Schäfer im April dabei. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Rente, Gesundheit, Klima und Energiewende – zu vielen großen Themen gibt es keine Lösungen.

Es gibt unterschiedliche Lösungen von unterschiedlichen Parteien. Man braucht dafür aber Mehrheiten. Oder gute Kompromisse. Leider klingt in Deutschland bei Kompromissen immer das Adjektiv faul mit. Als ob alles immer nur schwarz oder weiß wäre, das meiste ist kariert oder grau.

Die Angst vor einem Adjektiv lähmt die Politik? Ist es nicht eher die Angst, den Menschen die Wahrheit zu sagen: Arbeiten bis 70 oder eine Krankenkasse für alle?

Die Frage, wie viel wir den Bürgern zumuten und wie viel uns selbst, die gehört dazu.

Können sie nachvollziehen, dass viele Bürger den Eindruck haben, dass die Politik nicht zu Lösungen kommt, weil sie sich viel zu sehr um sich selbst kreist? Brauchen wir ein anderes politisches System, brauchen wir begrenzte Zeiten für Bundestagsabgeordnete?

Ich kann schlecht gegen solche Begrenzungen sein, weil ich ja sechs Mal gewählt worden bin. Ich bin immer von der Basis gewählt worden, ich habe nie das Votum des Vorstands gebraucht.

Bei ihrer letzten Nominierung auch?

Ja, die Mitglieder wollten nicht, dass ein paar Leute etwas ausmauscheln und dann plötzlich jemand Bundestagsabgeordneter wird.

Seit 1969 Mitglied der SPD

Axel Schäfer ist seit 1969 Mitglied der SPD. Von 1994 bis 1999 gehörte er dem Europäischen Parlament an.

Seit 2002 vertritt er die Stadt Bochum im Bundestag. Sieben Jahre lang war Schäfer einer der stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion (2010 bis 2017).

Der 70-Jährige hat in allen Wahlen das Direktmandat in seinem Wahlkreis gewonnen.

Schäfer ist Vorsitzender der Deutsch-Italienischen Parlamentariergruppe und Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sowie der Parlamentarischen Versammlung des Europarates.

Im seinem Wahlkreis absolviert er jedes Jahr ein einwöchiges Betriebspraktikum, um Einblick in die verschiedenen Berufswelten seiner Wählerinnen und Wähler zu gewinnen.

Der Bundestag wird immer größer, wird es endlich die lang versprochene Reform geben?

Wir werden die Größe des Bundestages reduzieren, das bekommen wir dieses Mal hin. Das geht meiner Meinung nach nur über ein Verhältniswahlrecht. Das Parlament ist immer gleich groß, wir bekommen eine Quote zwischen Mann und Frau und es ist absolut gerecht. Ich bin persönlich für ein Listensystem.

Reicht mit Blick auf die LGBTQ-Community eine Quote mit Männern oder Frauen heutzutage noch aus?

Ich finde, man darf manche Dinge nicht auf die Spitze treiben. Ich bin strikt gegen jegliche Diskriminierung. Aber schon bei der Sprache mache ich nicht mit. Ich werde auch künftig nicht Journalist-hick-innen sagen. Und das sage ich als Ehemann einer Gleichstellungsbeauftragten. Wir dürfen nicht zu einem Jakobinertum kommen, dass bestimmte Leute festlegen, was man zu sagen hat und was nicht.

Fünf ihrer 25 Jahre haben Sie im Europaparlament gesessen. Wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung der EU?

Europa ist das wichtigste Projekt auf meinem Lebensweg. Die jetzige Situation in Europa ist wie die Situation in unserem Lande auch. Nämlich die größte Herausforderung sei 1945. Es gab keine in irgendeiner Weise vergleichbare Situation, weder Wiedervereinigung noch Finanzkrise noch Tschernobyl. Die Addition von Megaproblemen wie Corona, Klimakrise, Ukraine-Krieg, plus hundert Millionen Flüchtlinge weltweit sowie Putins Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen. Ich erlebe es zum ersten Mal, dass Leute unserer Generation Angst haben.

Schon vor dem Krieg aber gab es den Brexit, und in immer mehr Ländern gibt es konservative Regierungen, zuletzt in Italien. Droht Europa auseinanderzudriften?

Ich befürchte, Sie haben mit ihrer Analyse Recht, bis auf den Begriff konservativ. Ich würde sagen, antieuropäisch oder eher nationalistisch. Giorgia Meloni ist ja Postfaschistin. In einer immer komplizierteren und schwierigeren Welt gibt es bei vielen Menschen die Sehnsucht nach einfachen Lösungen, nach starken Männern oder Frauen, die an ihrer Stelle entscheiden und alles wird gut.

Insbesondere aber Entscheidungen der EU für die Nationalstaaten werden hinterfragt und stoßen auf Kritik.

Wir haben es leider immer häufiger mit Regierungen zu tun, die sich nicht mehr an die Regeln halten, die sich vorher selbst gegeben haben. Schauen Sie nach Ungarn. Ihre Kollegen in Budapest dort schreiben fast alle nur noch stromlinienförmig für die Regierung. Viktor Orban hat sich in 20 Jahren entwickelt von einem liberalen Demokraten zu einem Diktator.

Der rote Schal gehört zum Abgeordneten Schäfer wie sein Engagement bei lokalen Aktionen. Im Bild oben spricht er bei einer Mahnwache für einen in der Türkei verhafteten Pizzabäcker.
Der rote Schal gehört zum Abgeordneten Schäfer wie sein Engagement bei lokalen Aktionen. Im Bild oben spricht er bei einer Mahnwache für einen in der Türkei verhafteten Pizzabäcker. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Der Angriffskrieg eines anderen Diktators ist aktuell das wichtigste Thema. Wladimir Putins Aggression bestimmt seit Februar das politische Handeln und Reden in Berlin.

In der Tat. Ich habe bei manchen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich früher auf Friedensdemos war, das Gefühl, die haben mal in ihrer Jugend gesagt, nie wieder Krieg, und heute sagen sie, nie wieder Krieg ohne mich. Es kann nicht sein, dass Ausschussvorsitzende von FDP und Grünen die wichtigsten Oppositionssprecher im Regierungslager sind.

Sie sprechen von Agnes Zimmermann-Strack und Anton Hofreiter?

Ja, ich finde es unfassbar, was Frau Strack-Zimmermann manchmal sagt und wie sie den Kanzler angeht. Das hätte ich als stellvertretender Fraktionsvorsitzender mit Frau Merkel niemals gemacht, wenngleich es Gründe gegeben hätte. Ich finde das unsolidarisch. Es ist allein der Tatsache geschuldet, dass man nicht Minister geworden ist.

Wie stehen Sie denn zu den Waffenlieferungen?

Natürlich müssen wir, wenn ein Land angegriffen wird, helfen, dass sich das Land verteidigen kann. Dabei gehen wir mit der Lieferung von Waffen auf einem ganz schmalen Grat, auf dem immer wieder neu entschieden werden muss, welche Waffen wir liefern können. Das kann aber nicht das Einzige sein, was Politik macht, sondern wir müssen auch unseren Einfluss, den wir auf Russland zum Teil noch haben, nutzen.

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Denken Sie an Gerhard Schröders Drähte zu Putin?

Nein. Dass Schröder nicht alle Funktionen bei Gazprom und anderen Unternehmen mit russischem Hintergrund aufgegeben hat, ist falsch. Dass er aus der SPD ausgeschlossen werden soll, ist aber auch falsch. Dass Putin noch beeinflussbar ist, glaube ich nicht. Ich weiß nicht, von wem er noch beeinflussbar ist.

Mit wem wollen Sie dann reden?

Auch ein Diktator muss sich mit irgendwem rückkoppeln. Man muss es halt immer wieder auf allen Ebenen versuchen. Deswegen sind die Gespräche von Macron und Scholz auch richtig. Putin muss wissen, dass die Nato antwortet, wenn er Nato-Gebiet angreift - und zwar beim ersten Quadratmeter im Baltikum oder in Polen.

Herr Schäfer, werden Sie 2025 noch einmal für den Bundestag kandidieren?

Man wird immer nur für eine Wahlperiode gewählt, alles andere steht nicht zur Debatte.

Das ist keine klare Aussage.

Wenn man nach einem Jahr sagt, ich höre in drei Jahren auf, denken die meisten entweder er tut nix mehr oder es ist nicht mehr ernst zu nehmen, was er sagt.

Was nehmen Sie sich für die nächsten drei Jahre vor?

Jeden Tag Arbeiten, einen klaren Kopf bewahren und Haltung zeigen. Politiker ist man 365 Tage im Jahr. So, wie Sie mich kennen. Für Bochum ist der Altschuldentilgungsfonds ein ganz wichtiges Projekt. Davon müssen wir CDU und Länder überzeugen.

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