Essen. Lohnt sich das Arbeiten noch, wenn man nur den Mindestlohn verdient, fragen sich Betroffene. Vier Geringverdiener über das Bürgergeld.

Uwe sitzt in seinem Kleintransporter auf dem Parkplatz einer Düsseldorfer Grundschule, nippt an seinem Kaffeebecher und blättert die Zeitung durch. Vor ihm auf dem Fahrersitz liegt eine geöffnete Tupperdose mit geschmierten Käse-Broten. Kaffee und Frühstück nimmt sich der Kleinbusfahrer einer Personentransportfirma seit einiger Zeit immer von zuhause mit, denn „Tankstelle und Bäckerei sind unbezahlbar geworden“.

In seiner morgendlichen Zeitung bleibt Uwe, der seinen Nachnamen nicht öffentlich lesen möchte, in letzter Zeit oft bei der Debatte ums Bürgergeld hängen. Und stellt sich die Frage: Lohnt sich das Arbeiten als Geringverdiener überhaupt noch? Die Frage wird in Politik und Gesellschaft gerade heftig diskutiert. Während der Bundestag dem von der Ampel-Koalition beschlossenen Bürgergeld kürzlich zugestimmt hat, ist das Vorhaben gestern im Bundesrat vorerst gestoppt worden. Wie angekündigt verweigerten mehrere unionsgeführte Landesregierungen ihre Zustimmung. CDU und CSU hatten die Pläne in zentralen Punkten abgelehnt und insbesondere fehlende Sanktionsmöglichkeiten kritisiert.

„Schlecht bezahlter Job ist besser, als vor dem PC abzuhängen“

Aus finanzieller Sicht würde sich das Bürgergeld für Uwe lohnen. Bei seinem Midi-Job wird er pro Fahrt bezahlt, arbeitetet in manchen Monaten unter dem Mindestlohn. Mit dem Bürgergeld wäre sein monatliches Einkommen regelmäßiger und manchmal auch höher. Trotzdem ist die staatliche Hilfe für ihn keine Option: „Für mich ist der schlecht bezahlte Job immer noch besser, als vor dem Computer abzuhängen“, sagt Uwe entschlossen. Denn, so der 58-Jährige weiter, im Gegensatz zum Leben in den eigenen Wänden „ist jeder Tag hier draußen anders.“

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Uwe weiß, wovon er spricht. Bevor er 50 Jahre alt ist, arbeitet er viele Jahre als Lagerleiter in der Industrie. Durch einen Unfall verliert er schließlich seinen gut bezahlten Job. „Ich habe den Anschluss verpasst und bin ins Hartz IV abgerutscht.“ Sieben Jahre lang bewirbt er sich immer wieder auf Stellen in der Logistik. In den ersten Monaten wird er noch zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, doch dann hören die Anrufe auf. „Man verwahrlost, verliert sämtliche Kontakte“, blickt Uwe zurück.

Seine Tage versucht er zu strukturieren, steht immer zur gleichen Zeit auf. Dienstags und freitags geht es auch bei schlechtem Wetter auf den Wochenmarkt. Trotzdem verliert er schnell die Struktur. „Denn das Geschirr spülen oder dich rasieren, das kannst du auch noch morgen machen, wenn du so viel Zeit hast.“ Froh sei er, sagt Uwe, dass die Sozialhilfe durch die Reform nun mehr und mehr aus der „Schmuddel-Ecke“ rauskomme. „Es kann schließlich jeden treffen.“

„Ich bin noch zu jung fürs Nichtstun“

„Meine Arbeit ist mein Glück“, sagt Sandra (51), die seit über 20 Jahren als selbstständige Tagesmutter arbeitet. Mit rund 1700 Euro brutto im Monat zählt die Düsseldorferin zu den Geringverdienenden. Auch sie möchte ihren richtigen Namen nicht öffentlich nennen. Für ihre beiden Tageskinder, die sie 40 Stunden in der Woche betreut, bekommt sie elf Euro die Stunde.

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„Auch wenn das wenig ist, habe ich keine Sekunde darüber nachgedacht, stattdessen das Bürgergeld zu nehmen“, betont Sandra. Schließlich sei die Arbeit mit den Kindern ihre Lebensaufgabe, mit der sie ihren Teil für die Gesellschaft beitragen wolle. Außerdem: „Ich bin noch zu jung fürs Nichtstun“, sagt Sandra. Für ihren Job wünscht sie sich dennoch eine bessere Bezahlung. „Ich denke, wenn Berufe wie meiner besser bezahlt werden, würden weniger Leute aufstocken müssen.“

„Was ist mit denen, die hart für ihr Geld schuften?“

Krankenschwester Renate, die lieber anonym bleiben möchte, sieht das anders. „Es kann nicht sein, dass Menschen, die nicht arbeiten gehen, jetzt noch mehr Geld kriegen“, kritisiert die 57-Jährige. „Was ist mit denen, die hart für ihr Geld schuften?“ Renates Tag beginnt um fünf Uhr in der Früh und endet oft erst nach mehreren Überstunden. Viel Zeit für Privates bleibt ihr als Schichtarbeiterin in einer NRW-Klinik nicht. Da sei es nicht richtig, so Renate, dass sie als Steuerzahlerin, auch noch das Bürgergeld mitfinanzieren müsse. Mittlerweile sei es lukrativer, sich auch auf die „faule Haut“ zu legen und staatliche Hilfen zu beziehen, glaubt sie.

Norbert Bracht (59) bekommt seit 2015 Hartz IV. Zuvor ist er 33 Jahre berufstätig, zuletzt arbeitet der Essener in einer Getränkefachgroßhandlung. Dann bekommt er Probleme mit dem Herzen – und verliert seinen Job. Mit dem eingesetzten Herzschrittmacher kommt für ihn nur eine Büro-Tätigkeit in Frage. „Die Umschulung hätte ich allerdings selbst zahlen müssen, dazu fehlte mir das Geld.“ Die Nachricht, plötzlich nicht mehr arbeiten zu können, zieht dem damals 52-Jährigen den Boden unter den Füßen weg. „Es war wie ein Schlag ins Gesicht.“

„Sanktionen für Menschen, die sich auf dem Bürgergeld ausruhen“

Das Bürgergeld ist für ihn in Zeiten explodierender Lebensmittel- und Energiepreise nur ein kleiner Trost. „Alles wird teurer“, sagt Bracht. Sollte er monatlich bald 52 Euro mehr zur Verfügung haben, so sagt er, würde er diese im Supermarkt ausgeben. Abstriche macht er bereits beim Strom. „Ich habe nur das Nötigste an.“

Ihm ist wichtig, dass Sozialhilfeempfänger nicht alle „in einen Topf gesteckt werden.“ Viele würden unverschuldet ins Hartz IV abrutschen. Sanktionen sollte es nur für die Menschen geben, die sich auf der staatlichen Hilfe ausruhen. Er selbst hat bereits einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente gestellt, mit der er einen 450-Euro-Job annehmen könnte. „Ich möchte endlich aus dem Hartz IV rauskommen.“ Und mit seinen Kumpels am Wochenende Kaffee trinken gehen, ohne jeden Euro zweimal umdrehen zu müssen.