Bochum. Kinder mit Migrationshintergrund haben es bei der Kita-Suche schwerer, berichtet ein Sozialaktivist. So viele Kitaplätze fehlen in Bochum.
Rechtsanspruch hin oder her: Die Suche nach einem Kitaplatz ist für viele Eltern ein nervenaufreibender, mitunter erfolgloser Kraftakt. Bei den Über-Dreijährigen in Bochum sind aktuell 311 Kinder noch ohne einen Kitaplatz. Familien mit einem Migrationshintergrund haben es dabei besonders schwer, berichtet Ilias Chafik, der als Sozialaktivist seit Jahren Bochumer Familien bei der Kindergarten-Suche unterstützt. „Diese Familien müssen für einen Kitaplatz enorm kämpfen.“
Bochumer Sozialaktivist: Migrantische Familien finden nur schwer einen Kitaplatz
Als Zayd ein Jahr alt war, meldete sein Vater Mohamed El Harrak ihn im Bochumer Kita-Portal an. Eigentlich hatten er und seine Frau schon auf einen Betreuungsplatz ab Zayds zweitem Geburtstag gehofft, doch die Zusage blieb aus. Heute ist der Junge dreieinhalb Jahre alt und wartet immer noch auf einen Kitaplatz.
„Dabei ist es gerade für die Entwicklung von Kindern mit Migrationshintergrund wichtig, früh in die Kita zu kommen, um den Umgang mit anderen Kindern und die Sprache zu lernen“, sagt Ilias Chafik, der sich seit vielen Monaten für Zayds Kitaplatz einsetzt. Im Kampf um Betreuungsplätze für migrantische Kinder steht er im ständigen Austausch mit den Zuständigen im Jugendamt und Familienbüro. „Die sagen, es gibt keine Plätze mehr und die Warteliste ist lang“, so Chafik. Nach welchen Kriterien die Warteliste zustande käme, sei ihm schleierhaft. „Das Jugendamt teilte mir mit, die Stadt habe ohnehin keinen Einfluss auf die Zuteilung der Kitaplätze, dafür seien die jeweiligen Kita-Leitungen zuständig.“
Nach der Anmeldung im Kita-Portal stellen sich die Familien in den Kitas vor. „Bei diesem Kennenlern-Treffen ist die Sympathie das A und O. Wenn sich die Familie an diesem Tag nicht gut verkauft, hat sie beim Kitaplatz schlechte Karten“, sagt Chafik, „beispielsweise, wenn migrantische Eltern aufgrund von Verständnisproblemen beim Rundgang durch die Kita kaum Rückfragen stellen.“
Welche Kriterien ziehen die Kitaträger bei der Auswahl heran?
Auch Mohamed El Harrak besuchte zwei Kitas. „In einer Querenburger Kita sagte mir die Leitung: ,Wir haben nur wenige Plätze zu vergeben und achten auf eine gewisse Durchmischung.’ Man wolle daher nur ein, nicht zwei marokkanische Kinder in der Gruppe“, berichtet Zayds Vater von dem Kita-Besuch vor Ort.
Auf Anfrage erwidert der Kitaträger AWO, bei der Aufnahme von Kindern würden folgende Kriterien berücksichtigt: „ob schon Geschwisterkinder betreut werden, ob die Eltern berufstätig sind oder ob der Wohnort im Sozialraum ist“. Auch Kinder im Vorschulalter würden bevorzugt. „Ethnische Hintergründe spielen keine Rolle. Diversity ist, wie in allen gesellschaftlichen Bereichen, natürlich wünschenswert, aber nicht entscheidend.“
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Einen schriftlichen Bescheid der Stadt zum fehlenden Kitaplatz hat Familie El Harrak trotz zweimaliger Nachfrage nicht erhalten. Laut Sozialaktivist Ilias Chafik ist das kein Einzelfall. Das legt auch eine Mail des Jugendamts nahe, die dieser Redaktion vorliegt. Auf die Bitte einer Familie nach einer schriftlichen Kitaplatz-Ablehnung schreibt eine Jugendamtsmitarbeiterin: „Die von Ihnen gewünschte Bestätigung kann ich Ihnen nicht ausstellen“ und verweist auf die Kitas. Chafik sagt: „Häufig werden Eltern nur telefonisch über den fehlenden Kitaplatz informiert. Denn nur mit einer schriftlichen Bestätigung können die betroffenen Familien gerichtlich gegen die Stadt vorgehen.“
Auf Anfrage beteuert die Verwaltung: „Eltern erhalten auf Wunsch einen Bescheid, wenn ihrem Kind kein Betreuungsplatz angeboten werden kann. Dies kommt immer wieder vor.“
Jugendamt und Familienbüro vermitteln bei fehlendem Kita-Platz
Laut dem Sozialaktivist habe ihm eine Jugendamtsmitarbeiterin erklärt, er könne nur noch über eine Klage einen Betreuungsplatz erreichen. „Das Jugendamt kann diese Aussage nicht bestätigen“, gibt die Stadt auf Anfrage an. Auch ein anwaltliches Schreiben würde kein abweichendes Vorgehen nach sich ziehen. „Egal auf welchem Weg das Jugendamt Anfragen auf Vermittlung eines Betreuungsplatzes erreichen, wird gemeinsam mit dem Familienbüro, den städtischen Kindertageseinrichtungen, den freien Trägern und bei entsprechendem Alter auch der Kindertagespflege nach einer Lösung gesucht. Das Ziel ist immer, einen Betreuungsplatz anzubieten.“ Durch diese Koordination des Familienbüros seien im laufenden Kita-Jahr knapp 700 Kinder vermittelt worden.
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Chafik ist dagegen überzeugt, dass das Schreiben eines Anwalts oder einer Anwältin den Vermittlungsprozess bei der Stadt beschleunigt. Das belege auch der Fall einer anderen migrantischen Familie: Nach jahrelanger vergeblicher Kitaplatz-Suche beauftragten die Eltern nun eine Kanzlei. Diese schickte der Stadt einen Widerruf und kündigte an, beim Gericht ein Eilverfahren zu beantragen. Wenige Tage später meldete sich das Rechtsamt – ein Kitaplatz sei nun verfügbar.
Den Weg über ein anwaltliches Schreiben kann Familie El Harrak nicht gehen. „Ich kann die Anwaltskosten nicht bezahlen, ich habe keine Rechtsschutzversicherung“, sagt Mohamed El Harrak.
Nicht nur für den dreijährigen Zayd hat die lange Wartezeit auf einen Kitaplatz negative Auswirkungen. Auch die Pläne seiner Eltern liegen auf Eis. Seit Zayds Geburt bleibt seine Mutter zu Hause. „Meine Frau will schon so lang einen Integrationskurs machen, aber sie kann nicht, da sie die beiden Kinder betreuen muss“, berichtet El Harrak. Im Homeoffice habe der Software-Entwickler die Betreuungslücke zeitweise überbrücken können. Doch diese Homeoffice-Zeit sei nun vorbei.