Bochum. Vor 25 Jahren ging es am Schauspielhaus Bochum hoch her. „Nicht so wild“, sagt Jürgen Kruse heute. Für ein Foto stellten beide die Szene nach.

Es kommt nicht alle Tage vor, dass der Intendant am Schauspielhaus Bochum seinen ersten Regisseur verprügelt – und dies so viele Leute mitbekommen, dass kurze Zeit später sogar in den Medien davon berichtet wird. Vor 25 Jahren war es aber genau so. Die Beteiligten: Intendant Leander Haußmann und Jürgen Kruse.

Die Bochumer WAZ beschreibt den Vorfall am 17. September 1997 so: „Leander Haußmann hat seinen Hausregisseur Jürgen Kruse zusammengeschlagen. Dies räumte der Intendant gestern der WAZ gegenüber ein.“ Anlass für die Prügelei zu später Stunde in der Kantine des Theaters sei ein Streit über die Musik gewesen.

Bochum: Nach Streit über die Musik prügeln sich Intendant und Regisseur

„Ein Techniker habe sich über die Musik beklagt“, so die WAZ, „worauf Haußmann gesagt haben soll, er möge aufhören zu nörgeln. Unmittelbar darauf habe Haußmann, der offenbar stark alkoholisiert war, ein Bierglas in Richtung einer unbeteiligten Person geworfen. Sofort danach habe sich der Intendant spontan, ohne Grund und Vorwarnung, auf Jürgen Kruse, seinen ersten Regisseur am Hause, gestürzt. Er habe ihm mit Faustschlägen so lange zugesetzt, bis der vollkommen überraschte Kruse wehr- und bewegungslos am Boden lag.“

Leander Haußmann und Jürgen Kruse (rechts) – hier bei einer Besprechung mit einem Gläschen Bier – bereuen den Vorfall am Schauspielhaus nicht.
Leander Haußmann und Jürgen Kruse (rechts) – hier bei einer Besprechung mit einem Gläschen Bier – bereuen den Vorfall am Schauspielhaus nicht. © Archiv Jürgen Kruse

Anschließend habe der Intendant auch noch mehrmals auf die hilflose Person eingetreten. Kruse soll sich Prellungen am ganzen Körper zugezogen haben. Zeugen seien nicht eingeschritten, hätten sich aber in Ekel abgewendet. „Haußmann habe sich benommen, als sei er völlig außer sich, berichtet ein Augenzeuge“, heißt es in der Zeitung.

Jürgen Kruse heute: „Das war nicht so wild“

„Das war nicht so wild, eigentlich zählt das gar nicht“, relativiert Jürgen Kruse (63) die Geschehnisse aus dem September 1997 heute. Doch worum ging es damals überhaupt? „Ganz genau kann ich das gar nicht mehr sagen“, meint er. „Es war spät, die Hauptprobe zu meinem Stück ‚Maria Magdalena‘ war gerade zu Ende. Es ging um irgendetwas Lächerliches. Der Vorfall an sich war nicht der Rede wert, das war eher lustig. Wir waren einfach beide ein bisschen hauptprobenmäßig aufgedreht.“

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Haben sich die beiden im Nachhinein ausgesprochen? „Es gab ja nichts zum Aussprechen“, sagt Kruse. „Wir haben ganz normal weitergemacht. Es ging ja um nichts Ernstes, der Anlass war lächerlich. Wir waren vielleicht beide ein bisschen infantil, vielleicht war es auch so ein Ost-West-Ding. Wir hatten damals so eine Konkurrenz-Scheiße, das war manchmal ein bisschen lächerlich.“

Prügelei im Schauspielhaus auf einem Foto nachgestellt

Dies sei aber auch von außen befeuert worden, so Kruse. „Komischerweise hatten wir sehr oft zur selben Zeit Premiere mit unseren Stücken. Ich weiß gar nicht, wie das kam. Auch in den Medien sind wir oft verglichen worden. Ich erinnere mich zum Beispiel noch an die Schlagzeile ‚Haußmann schlägt Kruse. Aber nur in der Kantine‘ nach den damaligen Premieren.“

“No hard feelings“, Jürgen Kruse sprach mit der WAZ über den Vorfall von 1997.
“No hard feelings“, Jürgen Kruse sprach mit der WAZ über den Vorfall von 1997. © Archiv Jürgen Kruse

Bei Jürgen Kruse ist vom damaligen Vorfall nichts hängengeblieben. „No hard feelings“, sagt er heute. „Ich habe mich zwar aufs Land verkrochen und gehe nicht mehr viel raus, aber wenn wir uns mal irgendwo treffen, ist es sehr nett. Unser Verhältnis ist ganz normal, wir bereuen nichts. Irgendwann einmal haben wir die Szene von damals aus Spaß für ein Foto nachgestellt. Für uns war das aber nicht der Rede wert.“

Grüne forderten die Suspendierung Haußmanns

Für andere durchaus. Kulturdezernentin Ute Canaris schrieb einen „empörten Brief“ an Haußmann. Die Angelegenheit beschäftigte auch den Bochumer Rat. Dort forderten die Grünen die Suspendierung Haußmanns. In ihrem Dringlichkeitsantrag hieß es: „Der Rat fordert die Kulturdezernentin auf, den Leiter des Schauspielhauses bis zur Klärung des in der Presse geschilderten Vorfalls mit sofortiger Wirkung zu suspendieren und die üblichen arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu ziehen, falls die Presseberichte den Tatsachen entsprechen. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob auch gegen andere bei dem Vorfall anwesende Personen Maßnahmen ergriffen werden müssen.“

Haußmann und Kruse heute

Leander Haußmann war von 1995 bis 2000 Intendant am Schauspielhaus. Bundesweit bekannt wurde er 1999 durch seinen Film Sonnenallee. Es folgten weitere Inszenierungen und Filme, zuletzt seine „Stasikomödie“, die im Mai 2022 in die Kinos kam und mehrere Filmpreise gewann.

Jürgen Kruse kam ebenfalls 1995 ans Bochumer Schauspielhaus. Er blieb drei Jahre länger auch unter Haußmanns Nachfolger Mathias Hartmann in Bochum („das fand Haußmann auch nicht toll“). Im Anschluss arbeitete er wieder als freier Regisseur für verschiedene Bühnen. Nebenbei zeichnet er Bilder. Eine Auswahl findet sich unter www.juergenkruse.de

Grünen-Sprecherin Gesine Buhl sagte dazu: „Der Vorwurf ist so gravierend, dass man die Person im eigenen Interesse und im Interesse der Stadt aus der Schusslinie ziehen sollte.“ Oberbürgermeister Ernst-Otto Stüber (SPD) bat den Intendanten um eine Stellungnahme und versprach, das Thema in der nächsten Woche auf einer Sondersitzung des Ältestenrates zu vertiefen. Am Ende lehnte die SPD den Antrag auf Suspendierung ab, die CDU enthielt sich. Leander Haußmann kam mit einer Rüge davon und blieb im Amt.

„Bochum war die beste Zeit für mich“

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Für Jürgen Kruse fällt durch den Vorfall kein Schatten auf sein Engagement am Schauspielhaus. „Bochum war die beste Zeit für mich, ich habe da nur gute Erinnerungen“, blickt er heute zurück. „Es war wirklich nett.“ Besonders die Menschen in der Stadt hatten es ihm angetan. „Es gab dort so viele nette Leute, die Taxifahrer waren lustig. Sie haben mich immer Herr Doktor genannt. Keine Ahnung, warum. Aber Bochum war damals sehr gut für mich. Ich blicke gerne zurück.“

Auch für die Zuschauer hatten die Prügel-Szenen in der Kantine kein Nachspiel. Beide Premieren, Haußmanns „Dantons Tod“ und Kruses „Maria Magdalena“, konnten termingerecht am Wochenende stattfinden.