Bochum. Die Lebenshilfe Bochum feiert ihren 60. Geburtstag. Der Verein hat Menschen mit Behinderung viel gegeben – diese Meilensteine wurden erreicht.
Wenn man Kirsten und Wolfgang Ruppelt fragt, was an ihrer bisherigen Zeit bei der Lebenshilfe Bochum das Beste war, dann sagen sie einstimmig: „Wir sind viel selbstständiger geworden!“ Weil es mit dem Lesen und Schreiben schwierig ist, hapert’s bei den beiden am Papierkram und bei Behördengängen. Seit 60 Jahren hat sich die Lebenshilfe zur Aufgabe gemacht, Menschen wie den Ruppelts – Menschen mit Assistenzbedarf – zu helfen. „Unser Alltag klappt jetzt viel besser“, sagen die beiden.
60 Jahre Lebenshilfe Bochum: Ein Rückblick auf Meilensteine
Die Bochumer sind die Ersten gewesen, die vom Ambulant Unterstützten Wohnen der Lebenshilfe (AUW) beim Schritt in ein eigenständiges Leben begleitet wurden. Von vielen Angeboten der Lebenshilfe haben die Ruppelts auf ihrem Weg profitiert: von der Hilda-Heinemann-Schule, einer Förderschule für geistige Entwicklung, ebenso wie vom Ulrich-Jacobowsky-Haus, einer Wohnstätte für Menschen mit geistiger Behinderung.
„Zuletzt haben wir in einer Trainingswohnung gewohnt“, erzählt das Paar. Nur eine von vielen Erfolgsgeschichten, auf die die Lebenshilfe in diesem Jahr anlässlich ihres 60. Jubiläums zurückblicken kann: Am 11. Juli 1962 fand die Gründungsversammlung der Lebenshilfe Bochum in der Aula der Goethe-Schule statt. 20 Jahre später der erste große Meilenstein: Das Ulrich-Jacobowsky-Haus an der Hiltroper Straße 160 wurde eröffnet.
Endlich zur Schule gehen
Mit den Außenwohngruppen an der Kohlenstraße, Sophienstraße, am Schleipweg und an der Hattinger Straße folgten bis Mitte der 1990er Jahre immer mehr Wohnangebote. 1997 wurde der familienunterstützende Dienst gegründet, 2004 die „Stiftung Lebenshilfe Bochum“ und 2005 der AUW. Dazwischen wuchs die Lebenshilfe immer wieder um weitere Wohnmodelle.
„Auf eins bin ich besonders stolz: Die Lebenshilfe hat erreicht, dass auch Menschen mit geistiger Behinderung in die Schule gehen können“, sagt die Vereinsvorsitzende Elisabeth Marx-Köppen. Zuvor habe es geheißen, die Menschen seien schulunfähig. Die Förderschule Hilda-Heinemann-Schule stellte unter Beweis, dass dem nicht so ist.
Selbstbestimmtes Leben
Ihr eigener Antrieb, sich in der Lebenshilfe zu engagieren, war einst die Geburt ihrer Tochter mit Down-Syndrom. „Ich habe mir gesagt: Ich möchte alles dafür tun, dass mein Kind ein so gutes Leben hat wie möglich“, erinnert sich Marx-Köppen. Neben Menschen mit Behinderung zählen zu den Mitgliedern Eltern, Angehörige und Ehrenamtliche.
Gemeinsam haben sie dafür gesorgt, dass Hunderte Bochumerinnen und Bochumer ein selbstbestimmtes Leben führen können. „Die Lebenshilfe bietet zurzeit über 150 erwachsenen Menschen mit Assistenzbedarf ein differenziertes Wohnangebot“, sagt Geschäftsführer Ulf Kauer. Die Betreuungsstruktur sei jeweils individuell an den Kompetenzen der Bewohnerschaft angepasst.
„Darüber hinaus bietet das AUW rund 50 Personen mit Assistenzbedarf individuelle Assistenz in der eigenen Wohnung“, erklärt Kauer. Aufgabe des Familienunterstützenden Dienstes wiederum sei es, Familien durch Betreuung der Kinder mit Assistenzbedarf zu entlasten. „Die heilpädagogische Familienhilfe unterstützt Familien bei der Bewältigung und Organisation ihrer alltäglichen Probleme als Hilfe zur Erziehung im Auftrag des Jugendamtes“, ergänzt der Geschäftsführer. Es gebe auch ein großes Freizeitangebot sowie Urlaubsreisen.
Engagiert bei der Lebenshilfe
Daran wirken auch die Ruppelts immer wieder gerne mit: „Wir haben schon an vielen Reisen sowie am internationalen Jugend-Austausch nach Sheffield und Berlin teilgenommen“, sagen sie. Bei Reisen etwa in die Lüneburger Heide, nach Ameland und Frankreich sowie auf einen nahegelegenen Reiterhof seien tolle Erinnerungen entstanden – gleichzeitig waren die Trips ein herausforderndes Übungsfeld.
Heute engagiert sich das Paar innerhalb der Lebenshilfe im sogenannten Kunden-Beirat. „Bei Beschwerden stehen wir als Peer-Berater zur Verfügung“, sagen sie. Geschäftsführer Ulf Kauer ist sich sicher: „Die Umwelt macht Menschen wortwörtlich zu Behinderten, weil die Barrierefreiheit einfach fehlt.“
Seit 2012 macht die Veranstaltung „Rock für Inklusion“ im Bermudadreieck darauf immer wieder aufmerksam. Die Aufgabe, das Thema Inklusion voranzubringen, besteht auch aus Sicht von Marx-Köppen fort: „Es gibt noch einiges zu tun“, sagt sie. Inklusion sei nicht nur im schulischen Bereich nötig, sondern in allen Facetten des Alltags. „Aufholbedarf gibt es zum Beispiel noch bei der inklusiven Ferienbetreuung“, sagt sie.
Die Lebenshilfe Bochum ist Teil der Bundesvereinigung, die 1958 gegründet wurde. Der Verein versteht sich als Selbsthilfevereinigung, Eltern-, Fach- und Trägerverband für Menschen mit insbesondere geistiger Behinderung und ihren Familien. Behinderte Mitmenschen sollen bei ihrer Lebensbewältigung so unterstützt werden, dass sie so selbstständig und normal leben können wie möglich.