Bochum/Wattenscheid. Die Tafel in Bochum nimmt keine neuen Kunden an. Nur wer bereits registriert ist, wird weiter mit Lebensmitteln versorgt. Die Hintergründe.

Wer in Bochum aktuell in soziale Schieflage gerät, hat jetzt schlechte Karten. Die Tafel, die Tag für Tag an Hilfsbedürftige Lebensmittel verteilt, nimmt keine Neukunden mehr an. Ab sofort gilt ein Aufnahmestopp. Dies teilte der Verein jetzt „mit Bedauern“ mit.

Bochum: Ab sofort Aufnahmestopp! Tafel zieht die Notbremse

„Wir sind eine der letzten Tafeln, die diesen Schritt nun auch geht“, sagt Stefan Schulze aus dem Vorstand der Tafel. Andere Städte hätten schon viel eher die Notbremse gezogen. Anders kann man diese Entscheidung kaum bezeichnen. Der Verein sieht sich zum Handeln förmlich gezwungen. „Wir sehen uns nicht in der Lage, unsere Kunden angemessen zu versorgen, wenn deren Zahl weiter rapide zunimmt.“

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Wir werden hier wirklich überrannt“, beschreibt Schulze die Situation. „Kommen Sie mal montags oder donnerstags zur Lebensmittelausgabe. Da reicht die Schlange von Menschen über den ganzen Hof bis zur Straße. Erst nach mehreren Stunden Wartezeit bekommen diese Leute ihre Lebensmittel.“

Mittlerweile ein gewohntes Bild: Eine lange Menschenschlange vor der zentralen Ausgabestelle der Tafel Bochum und Wattenscheid an der  Laubenstraße in Wattenscheid
Mittlerweile ein gewohntes Bild: Eine lange Menschenschlange vor der zentralen Ausgabestelle der Tafel Bochum und Wattenscheid an der Laubenstraße in Wattenscheid © Tafel

Die Gründe für den Ansturm auf die Tafel sind hinlänglich bekannt: Steigende Preise und der Ukraine-Krieg. „Wir haben einfach nicht mehr genügend Lebensmittel, um die Leute anständig zu versorgen“, sagt Stefan Schulze. „Die Pakete, die wir für die Hilfsbedürftigen schnüren, sind aufgrund der aktuellen Lage eh schon kleiner geworden. Aber wir wollen das ordentlich machen und niemanden mit einem halben Apfel nach Hause schicken.“ Die Grenze sei erreicht. Deshalb der Aufnahmestopp.

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Auch wolle man Konfliktsituationen vorbeugen. „Wir wollen einen Stau am Tor vermeiden“, sagt Stefan Schulze. „Nicht, dass hier noch eine Hungerrevolte ausbricht.“

Tafel Bochum: Großer Andrang, weniger Spenden

Während der Andrang auf die Tafel und die damit zum Ausdruck gebrachte Hilfsbedürftigkeit immer größer wird, sinkt zu allem Übel zeitgleich das Spendenaufkommen. „Die werden immer weniger, vor allem die Spenden der Einzelhändler sind zurückgegangen“, weiß Stefan Schulze zu berichten. Klar, sagt er und zeigt sogar Verständnis, „die kalkulieren jetzt natürlich auch straffer. Und viele Lebensmittel, deren Haltbarkeitsdatum bald abläuft, werden dann eben 30 Prozent günstiger angeboten.“

Auch Mitarbeiter fehlen

Der Tafel in Bochum und Wattenscheid fehlt es nicht nur an Spenden, sondern auch an Mitarbeitern. „Vor allem Vollzeit-Helfer, die morgens um 7 Uhr antreten“, sagt Stefan Schulze. Diese würden vom Arbeitsamt vermittelt, das auch einen Teil der Lohnkosten übernehme, so Schulze. Den Rest zahlt die Tafel. „Doch der Anteil des Arbeitsamtes wird von Jahr zu Jahr weniger, was bedeutet, dass wir uns nach drei, vier Jahren von Mitarbeitern verabschieden müssen, weil wir sie nicht bezahlen können – auch wenn es sich um echte Perlen handelt.“

Die Zentrale der Tafel befindet sich an der Laubenstraße 19 in Wattenscheid. Dazu gibt es über das Stadtgebiet verteilt viele Ausgabestellen, die mit Lebensmitteln beliefert werden.

Wer die Tafel unterstützen möchte, findet alle Informationen auf der Internetseite des Vereins: www.tafel-bochum-wattenscheid.de .

Schulze nennt alarmierende Zahlen: „Wir bekommen rund 30 Prozent weniger Lebensmittel, haben aber zugleich 60 Prozent mehr Kunden. Das schockt uns.“ Man gehe schon an die eiserne Reserve und verteile lange haltbare Konserven. „Die waren für eine Notlage gedacht“, sagt Schulze und hält kurz inne. „Aber die haben wir ja jetzt auch...“

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Auch weiterhin bietet die Tafel in Bochum und Wattenscheid frische Lebensmittel an. „Bereits registrierte Kunden werden ja weiter von uns versorgt“, sagt Stefan Schulze. Dafür werden täglich die Supermärkte abgefahren, um die Waren abzuholen. „Wir sind inzwischen schon ein mittelgroßer Logistikbetrieb geworden. Auch kommen immer wieder Leute auf den Hof gefahren und bringen uns zum Beispiel zwei Säcke Zwiebeln“, berichtet der 54-Jährige. „Das ist ganz toll. Aber eigentlich kalkulieren wir mit Paletten“, zeigt er mit diesem Vergleich, wie groß der Bedarf ist.

Wie lange der Aufnahmestopp gilt, ist noch völlig offen. „Zunächst auf unbestimmte Zeit“, sagt Schulze. „Bis sich die Lage wieder entspannt.“