Bochum-Wattenscheid. Sie stehen Schlange für Lebensmittel von der Tafel. Die allgemeine Teuerung trifft viele Kunden hart. Wo sollen sie denn noch sparen?

„Omas Nudelsalat“ und „Future Hack“ liegen bereits im Einkaufswagen, was Supermärkte eben gespendet haben, zwischen Tüten von Gemüse und Obst. Paula reicht den Kunden der Tafel Bochum & Wattenscheid noch Brote dazu. Die Schlange vor der Ausgabe ist lang, trotz des Sturms. Einige kommen schon länger, andere sind neu dazugekommen, seit die Tafel zum Dezember die Einkommensgrenze heraufgesetzt hat. „Die Preissteigerungen waren ein wichtiger Punkt“, sagt Geschäftsführer Niklas Fantasia. Speziell für arbeitende Geringverdiener öffnen sie nun auch samstags. Es kommen immer neue Anmeldungen hinzu von Menschen, „die vor zwei Jahren wohl noch nicht über uns nachgedacht haben“.

Wenn der Campingkocher den Herd ersetzen muss

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„Ich habe zuhause kein Internet, und ich habe auch keine Bogestrakarte mehr“, sagt die Raumpflegerin, die vor einigen Monaten ihren Minijob verloren hat. „Früher bin ich jedes Wochenende in Museen oder ins Theater gefahren nach Essen oder Dortmund oder Duisburg, das gibt’s nicht mehr. Ich mache alles nur noch mit dem Fahrrad oder zu Fuß. Ich habe mir ein paar gute Bücher geholt aus Bücherschränken, auch Kunstbücher, das reicht auf Jahre. Und einen Gaskocher habe ich mir zugelegt.“ Sie kenne ein Lager, wo man die Kartuschen für Campingkocher extrem günstig bekomme, kartonweise natürlich.

Auch die Zahnreinigung müsse nicht sein, sagt die 54-Jährige, ebenso wenig wie das Fitnessstudio. „Ich habe mir Hanteln besorgt. Und ich kaufe nur noch, was ich wirklich brauche. Besser ein paar gute Schuhe als zwei oder drei schlechte. Vermisse ich etwas? … Man schaut eher, was ist wirklich wichtig für uns? Wir als arme Leute aus Osteuropa kommen mit diesen Problemen besser zurecht und können uns gegenseitig Rat geben. Für die Leute mit kleinen Geschäften und Krediten ist es wahrscheinlich schwieriger.“ Als sie vor 17 Jahren aus der Ukraine kam, habe sie lange ehrenamtlich gearbeitet. Sie wisse zu schätzen, was das Team hier anbiete. „Die Tafel ist eine ganz große Hilfe.“

Jeder vierte bis fünfte Haushalt ist unter der Armutsschwelle

Mitarbeiterin Paula Stratmann verteilt Brot an die Kunden der Tafel.
Mitarbeiterin Paula Stratmann verteilt Brot an die Kunden der Tafel. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Der Sozialverband VdK schätzt, dass jeder fünfte Bürger im Kernruhrgebiet von Armut bedroht ist „und damit auch von Inflation und Energiearmut“ hart getroffen wird, erklärt der NRW-Vorsitzende Horst Vöge. Er bezieht sich auf Daten des Statistischen Landesamtes IT.NRW. Demnach lag 2020 die Zahl der von Armut gefährdeten Personen (mit einem Haushaltseinkommen unter 1042 Euro bei einer Person) NRW-weit bei 17 %, in Essen jedoch bei 21,1 % und in Duisburg bei 28,5 %. Im Folgejahr 2021 stieg die Zahl der von Einkommensarmut betroffenen Haushalte um 0,4 Prozentpunkte auf einen Rekordwert. Regionsdaten wurden coronabedingt nicht aktualisiert.

„Gerade ältere Mitbürger leben gerade mit großen Ängsten, noch tiefer abzurutschen“, sagt Vöge. „Arme Menschen wohnen ja meistens in älteren Wohnungen, die eben nicht energetisch saniert sind. Dadurch sind sie noch stärker betroffen und müssen bei Lebensmitteln sparen. Dann steht man da und fragt sich: Dürfen es noch Clementinen oder Orangen sein? Oder wenn ich lese, dass Tchibo den Kaffee zum Teil um 40 Prozent erhöhen will gegenüber dem Sommer – das schlägt ins Portemonnaie. Alles zusammen ist es, was bekümmert oder auch bis zur Verzweiflung bringt.“

Sein Rezept, um zu sparen: Nudeln selber machen

Kistenweise Obst und Gemüse, gespendet von Lebensmittelhändlern. Die Mitarbeiter helfen beim Einpacken.
Kistenweise Obst und Gemüse, gespendet von Lebensmittelhändlern. Die Mitarbeiter helfen beim Einpacken. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

„Sehen Sie, mein Sozialticket.“ Der Mann in der Schlange kramt die Karte hervor. „Früher 30 Euro, heute 39,80, morgen vielleicht schon 40. Alles ist teurer“, sagt er, „alles außer Zucker und Hefe. Und Mehl auch nicht so viel.“ Zuhause wird der 56-jährige Haustechniker, arbeitslos durch Krankheit, seine Nudeln selbst machen. Das ist sein Rezept, um zu sparen: „Man muss alles selber machen. Alles. Keine Fertiggerichte. Nicht mal halbfertige. Eine Dose Mais - gestern noch 45 Cent, heute 69 Cent.“

„Die Preissteigerungen treffen auch manche Familien mit mittleren Einkommen hart, die etwa einen Hauskredit abzahlen müssen“, sagt Petra Windek vom Deutschen Familienverband NRW. „Und Alleinerziehende sind wie immer doppelt getroffen vor dem Hintergrund, dass die Energiekosten mit dem Homeschooling steigen. Die Leute fürchten sich regelrecht vor den Nebenkostenabrechnungen.“ Auch sie befürchte, dass manche an der Ernährung sparen müssen, so Windeck.

Der Einkaufswagen ist voll. Highlight der Woche: „Die gute Mettwurst und Bratwurst von Thiers, was man sich sonst nicht kauft“, sagt die 51-Jährige. Ihr Leben lang hatte sie verschiedene Jobs, im Moment bezieht sie Arbeitslosengeld. Der volle Einkaufswagen reicht locker für sie und ihren Mann bis zum nächsten Tafeltermin in einer Woche. „Margarine und Fleisch holt man sich natürlich mal im Supermarkt. Joghurtprodukte, Milch und Eier sind auch teurer geworden. Die Stromabrechnung kommt erst noch.“ Und die Tochter müsse ja auch tanken. „Früher hat man es sich gegönnt, einmal im Monat beim Chinesen zu essen. Das fällt erst mal weg.“ Ihr Mann, sagt sie, wird demnächst wieder arbeiten. „Mal gucken, ob er dann noch hierhin kann.“