Bochum. Bei einer Diskussionsrunde in Bochum stellt sich Johan Simons Kritikern und Anhängern. Dabei gibt der Schauspielhaus-Chef auch eigene Fehler zu.
Ein Stuhl ist an diesem Abend zu Bruch gegangen, doch das war kein Ausdruck des Zorns, sondern nur ein Materialfehler. Offen, fair und in zumeist friedlichem Tonfall ging am Mittwochabend die mit Spannung erwartete Diskussionsrunde über die Bühne, zu der Intendant Johan Simons und sein künstlerisches Team erstmals eingeladen hatten.
„Lasst uns reden!“, so das Motto, wird von den rund 70 Besucherinnen und Besuchern wörtlich genommen: Knapp zwei Stunden lang diskutieren sie mit viel Herz über den Weg, den das Schauspielhaus seit Simons‘ Amtsantritt 2018 eingeschlagen hat. Der 75-jährige Intendant hört genau hin und gibt auch eigene Fehler zu.
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Diskussionsrunde mit Johan Simons im Schauspielhaus Bochum
Der Ort dafür ist klug gewählt: Im „Tanas“, dem Foyer der Kammerspiele, sitzt niemand auf dem Podium. Die Zuschauer, Theatermacher und einige Mitglieder des Ensembles begegnen sich auf Augenhöhe. Auch ein paar Lokalpolitiker sind darunter. „Letztlich sind wir doch alle hier, weil wir das Schauspielhaus lieben“, fasst es Moderatorin Danni Rösner (Radio Bochum) zusammen und hört keinen Widerspruch.
Neuer Spielplan wird am 9. Juni vorgestellt
Den Spielplan für die kommende Spielzeit stellen Johan Simons und sein Team am Donnerstag, 9. Juni, um 11 Uhr vor. Dies kann auch als Live-Stream auf der Website des Schauspielhauses verfolgt werden.
Derweil laufen die Vorbereitungen für das große Sommertheater auf dem Vorplatz. Die Zuschauertribüne wird gerade aufgebaut. „Hoffen und Sehnen“ feiert am Samstag, 18. Juni, um 19 Uhr Premiere. Karten: 0234 33 33 55 55.
Die Schauspielerin Mercy Dorcas Otieno setzt einige Hoffnung in dieses Treffen: „Wir merken schon, dass die Beziehung zwischen dem Publikum und uns etwas in die Brüche gegangen ist“, sagt sie. „Umso wichtiger ist es, einander zuzuhören und wieder zueinander zu finden.“
Einiges hat sich angestaut – auch hinter den Kulissen
Dabei hatte sich in den letzten Wochen einiges angestaut – vor und hinter den Kulissen. Die Mail, in der angeblich 114 Mitarbeiter des Schauspielhauses heftige Vorwürfe gegen den Intendanten erhoben, ist ein Thema. Johan Simons bedauert, dass diese anonym vorgebrachten Anschuldigungen ihren Weg in die WAZ fanden: „Wir leben leider in einer Gesellschaft, in der Gerüchte genauso viel zählen wie Fakten“, sagt er. „Das macht für mich die Aufgabe, solch ein großes Haus zu leiten, nicht gerade einfach.“
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Vor allem geht es den Besuchern aber darum, einmal programmatisch zu diskutieren. Schnell zeigt sich, dass einige Theatergänger gekommen sind, die mit Simons teils schwer verdaulichem Spielplan schon länger nicht mehr zufrieden sind. Den Satz „Auch ich habe mein Abo gekündigt“ hört man öfter.
Enttäuschung über „O Augenblick“
„Meinen Geschmack trifft es einfach nicht mehr“, meint einer. „Bei Anselm Weber bin ich viel öfter im Theater gewesen. Ein Stück wie ‚Bochum‘ habe ich fünf Mal gesehen.“ Doch „O Augenblick“, der Liederabend zum 100-jährigen Bestehen des Schauspielhauses, habe ihn „total erschreckt“: „Jetzt bin ich erstmal raus, obwohl ich ‚Nicht wie ihr‘, den Fußball-Abend bei Wattenscheid 09, super fand.“
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Ähnlich sieht es ein anderer Zuschauer, der sagt, seit den späten 80er Jahren ein Theater-Abo zu besitzen: „Nach der ersten Spielzeit von Johan Simons war ich kurz davor zu kündigen. Der Tiefpunkt für mich war der ‚Hamiltonkomplex‘.“ Nach der Corona-Zeit gehe er jetzt lieber in Essen ins Theater: „Da laufen schöne Sachen.“ Auch eine andere Zuschauerin vermisst einen etwas breiter aufgestellten Spielplan: „Wir leben in so traurigen Zeiten. Da möchte ich im Theater auch mal etwas von der Realität abgelenkt werden. Mit fehlen eindeutig die musikalischen Stücke wie ‚Tribute to Johnny Cash‘“.
Geprägt von der Ruhrtriennale
Die Theatermacher hören aufmerksam zu und rechtfertigen immer wieder ihren Spielplan: „Natürlich haben wir Fehler gemacht, aber daneben haben wir auch viele wunderbare Vorstellungen“, sagt Simons, der zugibt, in seiner Anfangsphase womöglich zu sehr von der Ruhrtriennale geprägt gewesen zu sein, die er in den drei Jahren zuvor leitete. „Wir haben gedacht, wir machen hier einen Mix aus Ruhrtriennale und Stadttheater, aber das hat nicht ganz funktioniert.“
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Diskussionsrunden sollen öfter stattfinden
Daneben bekommt Simons auch viel Lob: „Ich freue mich, wenn unser Theater überregional in den Feuilletons besprochen wird“, meint eine Frau. „Ich hadere oft mit den Vorstellungen, aber ich bin oft auch total begeistert, zuletzt von ‚Ödipus. Herrscher‘“, sagt eine andere.
Den Spielplan noch breiter aufzustellen, ohne den künstlerischen Anspruch zu verlieren: Das dürfte eine Lehre aus diesem Abend sein – und eine kniffelige Aufgabe fürs Leitungsteam zugleich. „Wir müssen nach vorne gucken“, meint Johan Simons, der plant, solche Diskussionsrunden künftig öfter anzubieten.