Bochum. Nach einem Gerichtsurteil sind in vielen Städten die Abwassergebühren zu hoch. Müssen Kommunen wie Bochum nun hohe Rückzahlungen fürchten?
Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster sind in vielen NRW-Kommunen die Abwassergebühren seit Jahren zu hoch. In Bochum musste im Vorjahr ein Vierpersonenhaushalt mit einem Einfamilienhaus und einer versiegelten Fläche von 130 Quadratmeter 695,27 Euro für Schmutz- und Niederschlagswasser bezahlen. Allein 2021 hatten 1642 Bürgerinnen und Bürger Widerspruch gegen aus ihrer Sicht zu hohe Abwassergebühren eingelegt. Die Frage ist nun: Muss die Stadt zu viel einbehaltene Gebühren zurückzahlen – möglicherweise in Millionenhöhe?
Urteil über Wassergebühren: Stadt befürchtet keine Millionenforderungen
Die Verwaltung sagt: Nein. „Die Widersprüche wurden zurückgewiesen.“ Und sofern nicht Klage eingereicht wurde, seien die Bescheide bestandskräftig. „Eine Rückzahlung erfolgt nicht.“ Lediglich in vier Fällen, in denen es noch offene Gerichtsverfahren gebe, erscheine „eine Rückzahlung als ersichtlich“, so die Stadt. Der Gebührenumfang allein bei besagten 1642 Widersprüchen betrug insgesamt knapp 2,2 Millionen Euro. In diesem Jahr gab es bislang 16 Widersprüche..
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Gebührenzahler, deren aktueller Abwassergebührenbescheid noch nicht rechtskräftig ist, werden auf jeden Fall von der Entscheidung für das Jahr 2022 profitieren, so der Steuerzahlerbund NRW: „Wer jetzt noch einen Gebührenbescheid bekommt oder kürzlich bekommen hat, sollte daher unbedingt Widerspruch einlegen und auf die Entscheidung des OVG verweisen.“
Anwalt rät: So gibt es zu viel gezahltes Geld zurück
Konsequenzen sieht die Stadt Bochum derweil allein für die Zukunft. „Die geänderte Rechtsprechung wird natürlich bei den künftigen Gebührenkalkulationen berücksichtigt.“ Welche Auswirkungen dies sein werden, könne erst nach Prüfung der schriftlichen Urteilsbegründung festgestellt werden.
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Bochum liegt weit über dem „angemessenen“ Zinssatz
Laut Oberverwaltungsgericht müssen alle Kommunen, die ihren kalkulatorischen Zinssatz aus dem Durchschnitt der vergangenen 50 Jahre berechnet und zusätzlich einen Aufschlag genommen haben, ihre Zinssätze neu berechnen.
Oer-Erkenschwick hat bisher einen Zinssatz von 6,52 Prozent. Das OVG hält einen Zinssatz von 2,42 Prozent für angemessen. Bochum hat für 2021 mit 5,43 und für 2022 mit 5,24 Prozent kalkuliert.
Es gibt aber auch andere Positionen: So verweist der Gelsenkirchener Rechtsanwalt Arndt Kempgens darauf: „Auch die Rücknahme eines eigentlich unanfechtbaren Bescheids ist rechtlich möglich.“ Er rät Betroffenen mit Verweis auf das jüngste Urteil des Oberverwaltungsgerichts „Widerspruch wegen offensichtlicher Falschberechnung einzulegen und die Rücknahme des Bescheides sowie eine Rückforderung zu viel bezahlter Gebühren zu verlangen“. Mietern rät er, sich schnellstmöglich in dieser Angelegenheit mit ihrem Vermieter in Verbindung zu setzen.
Gericht ermittelt: 18 Prozent zu viel Gebühren bezahlt
Derweil fordert der Steuerzahlerbund NRW, dass betroffene Kommunen allen Bürgern die Gebühren der vergangenen vier Jahre erstatten und nicht nur denjenigen, die rechtzeitig Rechtsmittel eingelegt hatten. „Jahrelang sind die Bürger in diesen Kommunen bei den Abwassergebühren zu hoch belastet worden“, so Rik Steinheuer, Vorsitzender des Steuerzahlerbundes NRW. „Da sollte es selbstverständlich sein, dass jetzt alle Gebührenzahler ihr Geld zurückbekommen und nicht nur diejenigen, die rechtzeitig Rechtsmittel eingelegt haben. Wer auf die Gültigkeit von Gebührenbescheiden vertraut, darf am Ende nicht bestraft werden.“
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Bochum hatte allein 2021 insgesamt etwa 86 Millionen Euro Gebühren für die Schmutz- und Niederschlagswasser erhoben. Sollte sie diese ebenso oder ähnlich kalkuliert haben wie die Stadt Oer-Erkenschwick, gegen deren Bescheid aus dem Jahr 2017 nun ein Bürger erfolgreich vor dem OVG geklagt hatte, könnte folgende Rechnung aufgemacht werden: Nach der OVG-Entscheidung ist der Oer-Erkenschwicker Bescheid für 2017 über circa 600 Euro etwa 18 Prozent zu hoch. Wäre dies auf Bochum übertragbar und würde der Steuerzahlbund mit seiner Forderung Erfolg haben, dass alle Bürger Anrecht auf eine Rückzahlung haben, müsste die Stadt allein für das vergangene Jahr knapp 15 Millionen Euro zurückbezahlen.