Bochum. Wer ein Kopftuch trägt, muss in der deutschen Gesellschaft viel aushalten. So kämpft eine Studentin aus Bochum (22) täglich gegen die Vorurteile.
Die Debatte um das Kopftuchverbot in den Krankenhäusern der St.-Elisabeth-Gruppe bewegt viele muslimische Ärztinnen und Pflegerinnen im Revier (trotz der Namensähnlichkeit gehört Bochums Elisabeth-Hospital nicht zu der Klinikgruppe). Auch Kevser Budur (22) musste bei ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) in einem Bochumer Krankenhaus Diskriminierungen über sich ergehen lassen. Von ihrem Umgang mit den Vorurteilen berichtet die Bochumerin im WAZ-Interview.
Kopftuchdebatte: Bochumer Muslimin berichtet von Diskriminierungen
Hallo Frau Budur, Sie haben sich in die Kopftuchdebatte eingeschaltet und den Lösungsvorschlag der Klinikgruppe, eine spezielle Haube für muslimisches Personal, kritisiert. Warum?
Zum einen wurde hier ein islamischer Theologe als Experte konsultiert. Nicht eine Frau. Natürlich sollten auch Betroffene zu Wort kommen, aber wenn sie von der Debatte nichts mitbekommen, ist das schwierig. Zum anderen ist zu befürchten, dass die Haube wegrutscht und sie nicht den Hals bedeckt.
Welche Erfahrungen haben Sie beim FSJ in einem Bochumer Krankenhaus gemacht?
Für mich war schon das Bewerbungsgespräch unangenehm. Mir wurde zwar gestattet, das Kopftuch zu tragen, aber ich sollte keinen Langarm-Body unter diesen Halbshirts tragen. Und viele Patienten dort haben diskriminierende Kommentare gemacht. Ich hörte eine Patientin mal sagen, sie könne eine Ärztin mit Kopftuch nicht ernstnehmen. Vielleicht konnte ich während meines FSJ einige Vorurteile aufbrechen. Aber das ist nicht meine Aufgabe.
Wann haben Sie begonnen, das Tuch zu tragen?
Mit 13 Jahren. In meinem Elternhaus wird mit der ersten Periode begonnen, Kopftuch zu tragen. In jenem Sommer habe ich mich intensiver damit beschäftigt. Zuvor fragte mich mein Vater noch mal „Willst du das wirklich?“
War es eine Pflicht?
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Eher ein Gebot meiner Religion, wie das Gebot, fünf Mal täglich zu beten. Ich wollte mich daran halten – aber jede Person kann selbst entscheiden, wie sie die Gebote priorisiert. In unserer Religion gibt es keinen Zwang. Aus Zwang würde ich das Kopftuch nicht tragen.
Warum tragen Sie es?
An erster Stelle wollte ich Gottes Gebot erfüllen und so meine Beziehung zu ihm stärken, an zweiter Stelle meine Spiritualität intensiver ausüben, und an dritter Stelle nehme ich das Kopftuch als Gottes Geschenk wahr. Dadurch fühle ich mich geschützt und es signalisiert mir, dass ich gut handeln soll. Spiritualität lässt sich schwer in Worte fassen (lacht).
Wie reagierte Ihr Umfeld darauf?
In der Schule hatte ich keine Probleme damit. Ich war nicht die Einzige in der Klasse mit Kopftuch. Aber es spielte im Alltag eine Rolle: Als ich mit einer Freundin die Straße entlang lief, hörten wir mal „Runter mit dem Kopftuch!“
Wie reagieren Sie auf solche Sprüche?
Auf der Straße hat man meist nur einen Sekunden-Kontakt, wenn dann niveaulose Beleidigungen oder Vorwürfe kommen, oder die Person betrunken ist, ist klar: Auch wenn ich jetzt etwas sage, bringt das nicht viel. Dann fühle ich mich nicht verpflichtet, darauf einzugehen. Man hat mich ja nicht angesprochen, um etwas zu erfahren. Oft gehe ich weg, manchmal sage ich „Das geht auch höflicher“. Meistens habe ich keine Lust, mich rechtfertigen zu müssen.
Glauben Sie, dass Sie aufgrund Ihres Kopftuchs anders wahrgenommen werden?
Auf jeden Fall. Viele würden mir einen geringeren Bildungsstand zuschreiben. Dasselbe erlebte auch meine Mutter.
Nun studieren Sie Psychologie in Osnabrück. Gibt es da Unterschiede zu Bochum?
Ich fühle mich in Bochum viel wohler, heimischer – weil ich hier geboren bin, es viel bunter ist und die Menschen offener sind. Meine Kommilitonen in Osnabrück stammen aus kleinen Dörfern. Ich bin die einzige Person mit Migrationshintergrund in ihrem Umfeld. Als ich ihnen im Sozialpsychologie-Seminar von den vielen Vorurteilen berichtet habe, fragten sie ungläubig: „Wie, habt ihr wirklich solche Probleme?“
„Schon wieder Ausländer“ – Bochumerin schildert Diskriminierungen im Alltag
Fühlen Sie sich unsicher?
Nicht an bestimmten Orten, sondern bei bestimmten Menschen, die mich von oben bis unten anschauen, – meist ab dem Alter von 40, 50 oder älter. Im Bus setzte sich ein Betrunkener mal zu mir, sagte: „Schon wieder Ausländer.“, „Was suchen Sie denn hier?“, „Mach Platz!“ Ich bin an der nächsten Station ausgestiegen. Die anderen Fahrgäste haben dazu nichts gesagt. Ich auch nicht.
Hintergrund der Kopftuch-Debatte
Nach dem Rausschmiss einer Kopftuch-tragenden Praktikantin aus dem St. Marien Hospital in Herne musste die katholische St. Elisabeth-Gruppe viel Kritik einstecken.Neben dem Fachschaftsrat Medizin der Ruhr-Universität Bochum(RUB) wendete sich auch das Rektorat der RUB gegen den Träger der Uniklinik.
Verletzen solche Kommentare?
Ja. Manchmal nehmen sie mir das Selbstbewusstsein und ich schäme mich. Ich dachte immer, ich bin mutig. Doch ist man dann selbst betroffen, ist das viel schwerer.
Wollten Sie das Tuch mal ablegen?
Nein. Aber es gibt Momente, in denen ich mich frage, ob das nicht besser wäre. Ich verstehe auch Frauen in meinem Umfeld, die das Tuch aus Druck oder Sorge um ihre Karriere und Zukunft ablegen. Das finde ich schade. Wir haben doch alle Religionsfreiheit. Es ist doch nur ein Tuch – wie kann das so negativ das Denken meines Gegenübers beeinflussen?