Bochum. Seit fast drei Wochen wohnen bis zu 100 Geflüchtete aus der Ukraine im Hotel H+ am Stadionring in Bochum. Ein Leben aus Koffern, aber ein Leben.
Strahlend blau der Himmel, die Sonne scheint, fast 20 Grad Celsius zeigt das Thermometer. Trotz des Rauschens von der nahen Autobahn ist es beinahe idyllisch im Garten des Hotels H+ am Stadionring in Bochum. An einem Tisch auf der Terrasse sitzen drei Frauen, genießen die Ruhe und sind doch mit ihren Gedanken woanders: in der Ukraine, im Krieg, dort wo ihre Ehemänner sind, ihre Söhne und Brüder. „Es ist schwer“, sagt Valeriia Mubenko (24).
Sechstägige Reise von Charkiw bis nach Bochum
Und doch ist sie froh mit ihrer Mutter Kateryna Bukatych (50), deren Freundin Gralyna Fedyayeva (50) und ihrer Tochter Alona (11) den Weg nach Bochum gefunden zu haben. Sechs Tage habe sie gebraucht von Charkiw, der von russischen Streitkräften umschlossenen Millionenstadt im Osten der Ukraine, über Rumänien und München ins Ruhrgebiet. Die junge Frau erzählt von einer „harten Reise“, von vielen Stunden in Angst und Furcht im Zug, und davon, wie froh sie sind, hier angekommen zu sein.
Erst waren sie bei Freunden, die schon lange in Bochum leben. Später dann sind sie ins Hotel gezogen, weil die Freunde wieder andere Geflüchtete aufgenommen haben. Ein Leben aus kleinen Koffern, ohne eigene vier Wände, beinahe ohne Hab und Gut. Aber ein Leben. „Hier ist Frieden“, so Valeriia Mubenko. „Das ist das Wichtigste.“
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Hotelmanager lobt Ehrenamtlichen-Netzwerk und die Stadtverwaltung
Seit fast drei Wochen wohnen Geflüchtete aus der Ukraine in dem Hotel. 100 Menschen finden hier Zuflucht, vor allem Frauen und Kinder. „Aber es sind auch schon wieder viele Menschen wieder weg, die eine eigene Wohnung haben und woanders untergekommen sind“, berichtet Christoph Kunzmann.
Der Hotelmanager hat nicht lange überlegt, als die Stadtverwaltung mit der Frage an ihn herangetreten ist, ob Flüchtlinge aus der Ukraine in dem Haus zwischen Ruhrcongress und Starlight Express unterkommen können. Das war für ihn gar keine Frage. Und nicht nur, weil es auch ums Geschäft geht, viele Gäste bedeuten eine hohe Auslastung des Hauses mit seinen 119 Zimmern, sondern weil er helfen möchte.
Vereine bieten Sportmöglichkeiten an
Und nicht nur er. „Ganz viele Menschen in Bochum engagieren sich, das ist wirklich wunderbar zu sehen.“ Längst gewichen sind auch Zweifel, ob diese ungewöhnliche Konstellation, Flüchtlinge im gleichen Haus mit Touristen und Tagungsteilnehmern unterzubringen, Probleme bereiten könnte. Im Gegenteil. Vom Vorstand einer Versicherung, die gerade erst mit einer Tagung zu Gast gewesen sei, haben Kunzmann und sein Team großes Lob für ihr Engagement erhalten.
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Der Manager mag es nicht so gern hören, spricht von Verantwortung und davon, dass er sich gar nicht vorstellen mag, seine Frau sei gezwungen, mit ihren gemeinsamen drei Kindern das Land zu verlassen, während er zurückbleiben müsse, um es zu verteidigen. Und er preist die Arbeit der Mitarbeitenden im Sozialamt, die sich mit großem Engagement um die Menschen und um die Lösung von Problemen kümmerten.
Eigener Spielraum für Kinder
Doch vor allem lobt er das Netzwerk von vielen Ehrenamtlichen. Immer wieder gebe es Hilfsangebote. So etwa von den Leichtathleten des VfL Bochum, die ukrainische Kindern und Jugendlichen dienstags und donnerstags die Chance geben, auf dem benachbarten Platz Sport zu treiben. Oder von den Fußballern des SV Vöde, die Mittwoch und Freitag ihren Platz zur Verfügung stellen. Ganz zu schweigen von der Hilfe beim Einkauf, bei Arztterminen, bei der Spende von Kleidern, der Suche nach Möbeln und und und.
Eine der Ehrenamtlichen sitzt an diesem Dienstagmittag mit am Tisch. Es ist Sarah Stumpf, Pastorin der Immanuelskirche an der Hermannshöhe. Sie kommt häufiger her, spielt mit den Kindern in einem eigens dafür hergerichteten Raum. Dort können sie malen, kneten und womöglich im Spiel auch einen Teil des Schreckens verarbeiten, den sie erlebt haben.
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Herzlich in Bochum aufgenommen
So wie die elfjährige Alona. „Sie war am Anfang ganz still, als sie mit ihrer Mutter hier hergekommen ist“, erinnert sich Christoph Kunzmann. Jetzt nutze sie wie viele andere Kinder das ganze Gelände. „So kommt endlich einmal auch Leben in den Garten“, sagt der Hotelmanager.
Im Gespräch am Tisch mit den drei Frauen aus der Ukraine kommt derweil die Frage auf, was werden soll. Diese Frage ist allgegenwärtig. Gern würden sie sagen, dass sie schon bald wieder zurück in ihre Heimat kehren wollen. Dort, wo ihr Leben ist, wo ihre Verwandten und Freunde sind. „Aber wir fürchten, dass das so schnell nicht gehen wird“, sagt Valeriia Mubenko. Daher seien sie froh darüber, wie herzlich sie in Bochum aufgenommen worden seien und wie aufmerksam viele Menschen hier seien.
Russischer Angestellter ist ein wichtiger Ansprechpartner
H+-Hotel hat einen neuen Betreiber
Erst im vergangenen September hatte die H-Hotel-Gruppe das H+ am Stadionring geschlossen. Nach 15 Jahren wollte sie den Pachtvertrag mit dem Eigentümer des Gebäudes, der Dortmunder Harpen Immobilien GmbH, nicht verlängern.
Bald schon hat sich aber ein anderer Betreiber gefunden. Die Curator Hotelbetriebsgesellschaft Ruhrgebiet mbH führt das Haus seit November 2021 als Franchisenehmer weiter. Daher bleibt es auch bei dem Namen H+.
Zu ihnen zählt auch Kiril Metikov, Angestellter im Hotel und einer der wichtigsten Ansprechpartner für die Geflüchteten im Haus. Denn: Er kann übersetzen. Dass Metikov, der einst in Sibirien geboren wurde und der seit 2008 in Deutschland lebt, Russe ist, spielt überhaupt keine Rolle. „Es gibt keine Feindlichkeiten“, sagt. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Auch über den Job hinaus versuche er zu helfen: mit Tipps und Verbindungen. 700 Mitglieder habe eine Gruppe im Messengerdienst Telegram bereits, die sich um viele Belange der Geflüchteten kümmern.
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Auch Kiril Metikov kann nur ahnen, welche Schrecken die Hotelgäste aus der Ukraine hinter sich haben, welche schlimmen Erfahrungen sie gemacht und wie viel Furcht sie haben. Er versucht, positiv zu denken.„So lange die Kinder lachen, ist alles in Ordnung“, sagt er. Und ist schon wieder auf dem Sprung. Der Chef hat ihn gebeten, nachzufragen, ob die junge Familie mit dem Baby noch genügend Babynahrung habe.