Bochum/Dortmund. TV-Star Esther Schweins lässt mit ihrem Start-up in Bochum Kissen in einer Behindertenwerkstatt fertigen. Die scharfe Kritik weist sie zurück.
Als „Textilretterinnen“ wollen die TV-Schauspielerin Esther Schweins und ihre Freundin Jackie Welsing in Bochum ein neues Geschäftsfeld erschließen. Aus Altkleidern werden Kissen produziert. Nach einem WAZ-Bericht entzündet sich scharfe Kritik in den sozialen Medien. Denn: Die Fertigung erfolgt in einer Werkstatt für Behinderte. Von „Ausbeutung“ ist die Rede. Ein Vorwurf, dem die Unternehmerinnen ebenso vehement widersprechen wie die Werkstatt.
„amoamo“: So heißt das Start-up der Jungunternehmerinnen, die 2021 ein Ladenlokal an der Königsallee 16 angemietet haben. Verkauft werden Yoga- und Meditationskissen (ab 40 Euro) sowie Schlafkissen und Nackenrollen (ab 20 Euro): befüllt vornehmlich mit Seegras; hergestellt aus alten Hosen, Pullovern, Vorhängen oder Decken; speziell angefertigt auch aus den ausrangierten Lieblingsstücken der Kundinnen und Kunden.
Werkstatt „Gottessegen“ beschäftigt 680 Menschen
Esther Schweins („RTL Samstag Nacht“) und Jackie Welsing (Diplom-Ingenieurin für Textil- und Bekleidungstechnik) arbeiten mit den „Werkstätten Gottessegen“ zusammen. An drei Standorten in Dortmund sowie in der Bochumer Niederlassung an der Schmiedestraße in Günnigfeld sind 680 Frauen und Männer mit körperlicher und geistiger Behinderung beschäftigt.
„Dort verdienen die Menschen viel zu wenig für das, was sie leisten“, posten Kritiker auf Instagram. „Sklaverei“ wird angeprangert. Ein Stundenlohn von 1,35 Euro ermögliche Gewinne auf dem Rücken von Menschen, die sich kaum wehren könnten. „Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht“, lautet ein Kommentar. Und: „Ein Armutszeugnis!“
Partnerschaft für Umwelt und Behinderte gleichermaßen
Die Geschäftsfrauen weisen die Anschuldigungen zurück. „Die Entscheidung, unsere Kissen in einer inklusiven Einrichtung produzieren zu lassen, haben wir schon ganz zu Beginn getroffen, denn Inklusion und Nachhaltigkeit sind die Grundgedanken von amoamo!“, schreiben Schweins und Welsing.
Lebenshilfe: Entgeltsystem überdenken
Die Lebenshilfe bekräftigt: Das Grundentgelt von 109 Euro in Behindertenwerkstätten dürfe nicht als klassischer Arbeitslohn verstanden werden.
Die Träger leisteten einen wichtigen Beitrag zur Eingliederung ins Berufsleben, erklärt NRW-Sprecher Philipp Peters. Angerechnet werden müssten zudem die Rentenbeiträge als soziale Absicherung.
Gleichwohl gelte es, „das Entgeltsystem zu überdenken“. Ein Vorschlag: Grundsicherung und Lohn werden zu einer – dann deutlich höheren – Monatszahlung zusammengelegt.
„Wir haben in den ,Werkstätten Gottessegen’ eine Gruppe von sehr motivierten Näherinnen angetroffen, die für unser Projekt eine wirkliche Bereicherung sind“, heißt es. Die Partnerschaft vereine zwei bedeutende gesellschaftliche Anliegen: Umweltschutz zu praktizieren sowie „Menschen eine Teilhabe an der Arbeitswelt möglich zu machen, die sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht oder nur schwer finden würden“. Die Regelungen des Sozialgesetzbuches würden dabei jederzeit eingehalten.
Grundentgelt von 109 Euro soll als „Taschengeld“ verstanden werden
Das bekräftigt Werkstatt-Sprecherin Anke Gerwing. Das einheitliche Grundentgelt betrage derzeit monatlich 109 Euro, mit der Option auf einen Steigerungsbetrag. „Dadurch erwerben die Menschen mit Assistenzbedarf außerdem einen Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente.“ Der Lohn sei „eher als Taschengeld“ zu verstehen – zusätzlich zu den regulären Leistungen, die die Beschäftigten im Wohnheim oder daheim vom Staat oder Landschaftsverband beziehen.
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„Viel größere Bedeutung für unsere Kolleginnen und Kollegen haben das Leben in der Gemeinschaft und die tägliche Wertschätzung. Da gibt es ein ganz anderes Wertesystem“, betont Anke Gerwing. Hinzu komme: Die wöchentlich bis zu 36 Betreuungsstunden seien nicht nur mit freiwilliger Arbeit ohne Leistungsdruck, sondern auch mit Therapien, kulturellen Aktivitäten und ausreichend Ruhephasen gefüllt.
Firma bietet Besichtigung der Werkstätten an
„Wir sind sehr dankbar auch für kleinere Aufträge wie von ,amoamo’“, sagt Anke Gerwing. Die Einnahmen seien als gemeinnütziges Unternehmen wichtig, um die Lohnkosten zu finanzieren. Die Beschäftigten in der Nähstube könnten bei der Herstellung der Kissen zugleich neue Fertigkeiten erlangen.
Das können sich nicht nur die Kritiker vor Ort ansehen. Wer sich von den Arbeitsbedingungen in den „Werkstätten Gottessegen“ überzeugen möchte, lädt „amoamo“ zu einem persönlichen Besuch ein (amoamo.de).