Bochum. Alfons Zimmer ist kein Häftling und verbringt doch seit 30 Jahren Weihnachten im Gefängnis. Das hat natürlich einen ganz besonderen Grund.
Es gibt in Bochum bestimmt schönere Orte, um die Weihnachtstage zu verbringen als ausgerechnet in der Justizvollzugsanstalt, der „Krümmede“. Alfons Zimmer (65) hat die letzten 30 Jahre Heiligabend und den ersten Weihnachtstag dort verbracht, ganz freiwillig. Alfons Zimmer, katholischer Pastoralreferent und Gefängnisseelsorger hat dies nie bereut und doch ist es dieses Jahr das letzte Weihnachten hinter Gittern, Er geht im Sommer nächsten Jahres in den Ruhestand.
Es gibt drei Haftanstalten in Bochum
Derzeit verbüßen rund 600 Gefangene, darunter auch Untersuchungshäftlinge ihre Zeit in der JVA Krümmede. Das Gefängnis ist eigentlich für rund 800 Insassen ausgelegt, doch ein Trakt wird derzeit umgebaut. Etwa 30 Prozent der Gefangenen sind Muslime, für die es eine eigene seelsorgerische Betreuung gibt. Außer der Krümmede gibt es noch direkt neben an, die neue Sozialtherapeutische Haftanstalt (Sotha) mit 78 Haftplätzen und den offenen Strafvollzug in Bochum-Langendreer. Auch dort gibt es seelsorgerische Angebote.
Am Tag vor Heiligabend haben wir uns mit ihm und zwei Gefangenen in der Kapelle der Krümmede getroffen, um zu reden über das Weihnachtsfest im Gefängnis. Und über das Eingesperrtsein, das zu dieser besonderen Zeit des Jahres von den Häftlingen vielleicht noch mehr als Last empfunden wird.
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Was für die Häftlinge nicht selbstgewählt, sondern Teil ihrer Strafe ist, war für Alfons Zimmer stets Berufung: „Ich habe Sympathie für diese Männer, ihre Lebensgeschichten, für die Menschen am Rande. Tatsächlich fällt es mir schwerer, mit gutbürgerlichen Menschen zu sprechen als mit den Straftätern hier“, sagt der Vater von vier Kindern, der sich vor 30 Jahren aus der Jugendarbeit in einem schwierigen Duisburger Stadtteil auf die Stelle in Bochum beworben hat und dabei geblieben ist.
Mit in der Kapelle sitzen Andreas (59) und der deutlich jüngere Tommy, beides Häftlinge mit ganz unterschiedlichem Hintergründen und Lebensgeschichten. Beide vertrauen Alfons Zimmer. „Er ist die gute Seele hier“, sagt Andreas, der wegen unterschiedlicher Drogendelikte schon ein gutes Dutzend Weihnachten hinter Gittern verbracht hat. Zuletzt war er, so sagt er, 20 Jahre draußen, in Freiheit. Nun ist er einmal mehr im Gefängnis.
„Leider sehe ich viele wieder“
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„Leider sehe ich viele wieder hier“, sagt Alfons Zimmer. Andreas war bereits 1986 schon mal in der Krümmede inhaftiert. Er hat keine Familie, hat seine eigene Methode, um die Zeit, gerade die Weihnachtszeit herumzukriegen – die jetzt in Zeiten der Corona-Pandemie noch ein bisschen einsamer ist als ohnehin in einer Haftanstalt. „Ich schau viel Fernsehen, habe einen korrekten Freund, lese die Zeitung.“ Früher als noch Eltern, Geschwister da waren, habe er auch Kontakt mit seiner Familie gehabt.
Für Tommy, der über den Grund seiner Haft („Das gehört zu meiner Vergangenheit aber ich blicke jetzt nach vorn“) nicht sprechen möchte, beschreibt sich als gläubiger Christ. Es sind seine ersten Weihnachten in einem Gefängnis. Während des Gesprächs hält er ein hölzernes Kreuz in seiner Hand, hält es fest. „Für mich ist meine Familie ganz wichtig. Mein fünfjähriger Ziehsohn hat mir einen selbstgebastelten Tannenbaum geschickt.“ Ganz genau beschreibt Tommy dieses Geschenk, es bedeutet ihm viel.
„Das ist für mich keine verlorene Zeit“
Viel Zeit verbringt er damit, seinen Freunden, seiner Familie zu schreiben, zu lesen. All das gebe ihm großen Halt. Wenn er komplett seine Strafe absitzen müsste, hätte er noch zwei weitere Weihnachten im Gefängnis vor sich. „Aber das möchte ich nicht, ich hoffe, dass ich nach zwei Dritteln der Haftzeit wieder raus komme. Ich nehme das hier als Chance. Für mich ist das hier keine verlorene Zeit“, sagt er und es wirkt sehr ernst gemeint.
Tommy ist wichtig, noch etwas zu sagen, was er auch in Richtung der Justizbediensteten tut, die ebenfalls mit in der Kapelle ist: „Ich bin auch dankbar, denn wir werden hier wie Menschen und nicht wie ein Stück Dreck behandelt.“
Alfons Zimmer hört sich das alles an. Er weiß wohl auch, dass jemand wie Tommy nicht für die Mehrheit der rund 600 Häftlinge spricht, die derzeit einsitzen hinter den Mauern der Adresse Krümmede 3. Es ist aber eine von vielen Geschichten.
Wie die Hirten von Bethlehem
Am Ende überlegt Alfons Zimmer noch, der sich gut erinnert an Zeiten, wo rund 100 Männer in blauer Häftlingskleidung oder braun-beiger Arbeitskluft beim Heiligabendgottesdienst vor ihm saßen. Derzeit sind es wegen der Corona maximal 30. Er überlegt, was er mitnehmen wird, wenn er nicht mehr dort zu den Männern spricht. „Ich sehe immer die Hirten von Bethlehem vor mir, die nicht im feinen Festtagsanzug kamen. Die rochen nach Arbeit und Stall, waren Außenseiter. Das ist doch wie im Evangelium. Jesus hat ebenfalls die Außenseiter um sich geschart.“