Bochum.. Im Juni 1943 wurden im Bochumer Gefängnis bei einem Luftangriff sechs politische Gefangene getötet. Sie konnten sich nicht schützen.
Die Nacht zum 13. Juni 1943, vor 75 Jahren, war eine der schwärzesten in der Geschichte der JVA Bochum. Sechs politische Gefangene wurden in ihren Zellen von Trümmern erschlagen, als britische Kampfflugzeuge einen Bombenteppich auf die Stahlwerke und die Nachbargebäude abwarfen. Während die Wachtmeister im Keller abtauchten, mussten Häftlinge zumindest großteils in den relativ ungeschützten Zellen bleiben.
Alfons Zimmer, Seelsorger in der JVA, hat zu diesem düsteren Kapitel recherchiert. Er stieß auf den Belgier Pierre Belen, damals 26 und gerade Vater geworden, der in Zelle A 318 einsaß. Die 121 Jahre alte Zelle gibt es heute noch. Bei einem weiteren Luftangriff der Briten am 6. Mai 1943 stand er dort mit zwei Mitgefangenen auf dem Tisch, um aus dem hohen Fenster zu blicken. „Erst einmal freuten sie sich, als die Alliierten kamen“, erzählt Zimmer. Sie hörten das Schnurren und Surren. Ein Wachtmeister sagte: ,Die werden uns schon nicht angreifen, weil Ihr hier seid.’ Belen erwiderte aber: ,Wenn der Feind im eigenen Haus lebt, ändert sich der Blickwinkel.’“
Aus Benelux-Staaten
Belen gehörte zu den rund 1130 „NN-Gefangenen“ aus den besetzten Benelux-Staaten in der Krümmede 1943. NN steht für den „Nacht-und-Nebel-Erlass“ von Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel. Er ließ in Belgien, Frankreich, Holland und Luxemburg alle heimlich verschleppen, die in Verdacht standen, gegen die NS-Besatzer zu agitieren. Zimmer: „Alle, die in Widerstandshandlungen verstrickt waren, Spionage und Sabotage etwa, sollten zur Verbreitung von Angst und Schrecken in die Zuchthäuser und Strafgefängnisse des Reiches deportiert werden, und niemand sollte wissen wohin.“ Viele von ihnen wurden in Dortmund unter der Guillotine geköpft. „So wurde Bochum eine Wartestation für NN-Gefangene, die etwa auf Urteile des Sondergerichts Essen warteten“, sagt Zimmer. Die meistgesprochenen Sprachen im Gefängnis waren damals Flämisch und Französisch.
Dicke Mauern waren der Schutz
Belen saß seit 1942 in Bochum. Zu dritt in Zelle A 318. Als die Brand- und Sprengbomben herabregneten, sahen sie die Löschversuche der Wachtmeister. Belen fürchtete, sie würden gebraten „comme des poulets à la broche“ – wie die Hühnchen am Spieß. Aber die Mauer war dick, alle überlebten.
Mitgefangene hatten weniger Glück. Bei dem Luftangriff am 13. Juni erlitten sechs Gefangene so schwere Quetschungen und Brüche, dass sie voller Angst und Einsamkeit in ihren Zellen verstarben: der niederländische Uhrmacher Hendrik van Bommel († 54), der belgische Mechaniker Julian Sanders († 20), der belgische Friseur Jager Rosenbaum († 25), der belgische Buchhalter Josef Gerits († 31), der französische Apotheker Robert Bourel († 39) und der belgische Ingenieur Pierre Oesterrieth.
Belen, der Überlebende, kam auf seiner Odyssee durch Strafeinrichtungen des Reiches ins KZ Thererienstadt. Dort wurde er von den Russen befreit. 1980 kam er zurück nach Bochum, um seinen Schicksalsort wiederzusehen. „Hoch bewegt“, so Zimmer. „Er sieht seine Haftanstalt wieder und entdeckt überraschenderweise ein großes Fußballstadion in der Nähe.“
>>>>>>312 tote Häftlinge in der JVA von 1941 bis 1945
Die Zahl der toten Häftlinge in der JVA stieg im Krieg sprunghaft an: 1941 gab es 13 Tote, 1943 schon 101, 1944 waren es 132. Zwischen 1941 und 1945 waren es insgesamt 312 Tote, darunter 117 NN-Gefangenen. Die meisten starben an Krankheiten und den Haftbedingungen.Auch im Gerichtsgefängnis an der ABC-Straße (neben dem alten Amtsgericht) kamen Häftlinge bei Luftangriffen ums Leben: 23 Häftlinge und Bedienstete waren es bei dem schlimmsten Bombenangriff des Krieges am 4. November 1944. D
amals starben rund 1200 Menschen in der Stadt, 2000 wurden verletzt.Durch die Sprengung der Möhnetalsperre am 17. Mai 1943 soll im Gefängnis auch zu wenig Löschwasser vorhanden gewesen sein.