Bochum. Olaf Auffenbergs Familie musste aus ihrer Wohnung ausziehen – wegen Eigenbedarf. Er will sensibilisieren, damit anderen das erspart bleibt.
Olaf Auffenberg aus Bochum öffnet die Tür seiner neuen Wohnung. Eine helle Dachgeschosswohnung, mit Schrägen und vielen Fenstern. Er, seine Lebensgefährtin und ihre beiden Kinder fühlen sich hier wohl. Doch der Ärger, vor zwei Monaten wegen Eigenbedarfs das Zuhause zu verlieren, sitzt noch immer tief.
Vier Jahre lebte die Familie in ihrer ehemaligen Wohnung in Grumme. „Die Vermieterin hat damals unter allen Umständen einen langfristigen Mieter gesucht. Daher habe ich die Wohnung recht kostspielig renovieren lassen“, erklärt Auffenberg. Im Februar 2018 ist erstmals die Rede davon, dass das Haus verkauft werden soll, weitere Familien ziehen in das Mehrfamilienhaus. Verschiedene Makler wurden beauftragt, eine neue Eigentümerin hat das Gebäude im Frühjahr 2021.
Bochumer: „Kaum war die Tinte unter Kaufvertrag trocken, erfolgte die Kündigung“
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Bis zum Zeitpunkt des Immobilienkaufs habe die Käuferin mehrfach beteuert, nicht zu wissen, was sie mit dem vorhabe, so Auffenberg und: „Auch die Verkäuferin wurde nicht müde zu betonen, dass die Mietverhältnisse nicht berührt würden.“ Die Familie verlässt sich auf diese Worte. Doch kaum ist die Tinte unter dem Kaufvertrag trocken, erfolgt im März die Kündigung zu Ende Juni – wegen Eigenbedarfs.
Auffenberg will widersprechen. „Dem angekündigten Widerspruch folgte direkt ein Schreiben des Anwaltes, indem der Renovierungsaufwand, der zuvor bestätigt worden war, bestritten wurde“, erklärt er. Auch andere Gründe, die der Bochumer anführte, wurden geleugnet: Der Markt biete genügend andere Wohnungen, der ÖPNV ermögliche es dem jüngsten Kind (8) auch so zu seiner Grundschule zu gelangen.
Doch wann darf eine Wohnung gekündigt werden? „Der Eigenbedarf muss vernünftig und nachvollziehbar sein. Nicht nur die Person, für die Eigenbedarf angemeldet wird, muss genannt, sondern auch der Grund muss geschildert werden“, erklärt Aichard Hoffmann vom Mieterverein Bochum, Hattingen und Umgegend. Findet der Mieter den Grund nicht nachvollziehbar, kann er den Auszug verweigern. „Der Mieter muss dann nicht selbst klagen, er kann darauf warten, dass der Vermieter klagt. Tut er das nicht, ist die Kündigung vom Tisch“, so Hoffmann weiter.
Eigenbedarfskündigung: Mieter können sich auf Sozialklausel berufen
In diesem Fall wird aber nur geprüft, ob der angegebene Grund und die angegebene Person in der Kündigung stimmen. Wenn der Mieter allerdings meint, dass er die Wohnung dringender braucht, kann er sich auf eine sogenannte Sozialklausel berufen. „Bei besonderer sozialer Härte darf der Auszug auch bei berechtigten Interessen des Vermieters nicht stattfinden“, erklärt Hoffmann. Dann wird vor Gericht abgewogen.
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Olaf Auffenberg sucht kurz nachdem er von den Verkaufsabsichten hört, Hilfe bei der Verbraucherzentrale und lässt sich rechtlich beraten. Er spricht mit Personen, die sich auskennen und will sich eigentlich nur absichern, weil er denkt, dass ein Auszug für seine Familie nicht zumutbar ist. Doch: „Egal mit wem ich gesprochen habe, deutlich wurde immer: Ich hätte keine Chance gehabt.“
In den Wohnungen unter und über der Familie beginnen bereits Bauarbeiten, die Familie glaubt nicht mehr, noch lange hier wohnen zu bleiben. Es kommt, wie es kommen musste: Die Kündigung wegen Eigenbedarfs liegt im Briefkasten. Und so suchen Auffenberg und seine Lebensgefährtin nach einem neuen Zuhause – und haben Glück.
Bochumer Familie muss innerhalb von drei Monaten neue Wohnung finden
Für wen dürfen Vermieter Eigenbedarf anmelden?
Eigenbedarf darf nur von natürlichen Personen angemeldet werden, nicht etwa von Gesellschaften wie beispielsweise der Vonovia oder der VBW, erklärt Aichard Hoffmann vom Mieterverein Bochum, Hattingen und Umgegend. Der Vermieter selbst darf für sich, Verwandte in gerader Linie und Personen, die zum eigenen Haushalt gehören, Eigenbedarf anmelden.
„Der Eigenbedarf muss nachvollziehbar sein. Nicht nur die Person muss genannt werden, sondern auch der Grund muss geschildert werden“, so Hoffmann. Die Gründe müssen in einem Kündigungsschreiben dargelegt werden, nur dessen Inhalte gelten im Nachhinein auch in gerichtlichen Verhandlungen. Eine Ausnahme ist, wenn weitere Gründe erst nachträglich entstehen.
Eine andere Bochumer Familie mit Kindergartenkind, die unerkannt bleiben möchte, hat ähnliches erlebt. „Ich habe mit meiner Familie nach 22 Monaten eine Kündigung auf Eigenbedarf erhalten“, erzählt sie. Die Familie lebte in einem Zwei-Familien-Haus in Langendreer, der Vermieter und Nachbar verstarb im Januar. Ende April erfolgte die Kündigung, weil die beiden Enkeltöchter in die beiden Wohnungen einziehen wollen. „Dafür habe ich auch generell Verständnis“, verdeutlicht die Mutter. Allerdings hätte sie sich gewünscht, früher von dem Vorhaben zu wissen. Und nicht innerhalb von drei Monaten eine neue Wohnung finden zu müssen.
Die Familie legt Widerspruch ein – unter anderem aufgrund einer chronischen Erkrankung und weil der Mann gerade erst den Job gewechselt hat und sich in der Probezeit befindet. „Danach wurden wir schikaniert“, erklärt die Mutter, die von Psychoterror spricht. Die Familie fühlt sich nicht mehr wohl – und findet eine neue Wohnung in Riemke, ist gerade dabei, einzuziehen. Doch der Umzug habe sie sehr viel Geld gekostet und: „Wir haben einfach unser Zuhause verloren“, schildert sie.
Kündigung wegen Eigenbedarf? Juristische Hilfe suchen
Der Mieterverein empfiehlt bei Kündigungen, Hilfe beim Profi zu suchen. „Rechtliche Hilfe ist bei Kündigungen und erst recht bei Eigenbedarf ganz wichtig“, erklärt Aichard Hoffmann. Diese gibt es zum einen bei den Mietervereinen, aber auch beim Anwahl. „Zu beachten ist, dass der Rechtsanwalt auf Mietrecht spezialisiert ist“, so Hoffmann. Auch eine Rechtsschutzversicherung, die Mietrecht abdeckt, sei sinnvoll.
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Die Mutter aus Bochum will andere Mieterinnen und Mieter sensibilisieren. Sie selbst hat beispielsweise nun eine Klausel im neuen Mietvertrag, die besagt, dass eine Kündigung aufgrund von Eigenbedarf nicht möglich ist. „Das kann auch nachträglich noch geschehen, als Zusatz zu einem bereits bestehenden Mietvertrag. So etwas ist allerdings ziemlich selten, da der Vermieter damit ja ohne Not rechtliche Möglichkeiten aus der Hand gibt“, erklärt Hoffmann.
„Froh, Jahre der Unsicherheit und Enttäuschung beendet zu haben“
Auch Olaf Auffenberg möchte mit dem Erzählen des Erlebten nicht nachtreten. Aber er sagt: „Ich finde das, was passiert ist, aus tiefster Überzeugung nicht richtig und fair.“ Dass Mieterinnen und Mieter bei Eigenbedarfskündigungen so geringe Chancen hätten, sei seiner Meinung nach nicht im Sinne des Gesetzes.
„Mir geht es tatsächlich in erster Linie um Fragen von Anstand, Moral und den alten Rechtssatz ,Eigentum verpflichtet’“, verdeutlicht der Bochumer. Bei aller Enttäuschung über den Verlust der Traumwohnung in Nähe des Stadtparkspielplatzes ist er froh, „nun die Jahre der Unsicherheit und Täuschungen beendet zu haben“, sagt er.