Bochum. Jede zehnte Stelle an Bochums Grundschulen ist nicht besetzt. Lehrkräfte gehen auf dem Zahnfleisch – einige Schulen sind besonders betroffen.
Ein Fünftel der Lehrerstellen an der Gertrudisschule in Bochum-Wattenscheid ist nicht besetzt, hinzu kommt, dass einige Vollzeitlehrkräfte krankheitsbedingt fehlen. „Das ist für alle eine extrem belastende Situation“, schildert Christopher Schütt, stellvertretender Schulleiter. Es handelt sich nicht um einen Einzelfall – im Schnitt sind an Bochums Grundschulen zehn Prozent der Stellen nicht besetzt.
Das zeigen Zahlen der Bezirksregierung Arnsberg, die unsere Redaktion auf Anfrage erhalten hat. Demnach fehlen im Bochumer Stadtgebiet 175 Lehrerinnen und Lehrer, 78 davon an den Grundschulen, alleine 21 an den Förderschulen.
„Wir bekommen mit, dass es an allen Schulen eine starke Unterbesetzung gibt. Kolleginnen und Kollegen sind total am Limit. Sobald einer krank ist, bricht das ganze System zusammen“, schildert Daniela Lanz, Mitglied im Leitungsteams der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Bochum. Lehrkräfte würden sich krank zur Schule schleppen, um die starke Unterbesetzung auszugleichen. „Durch die Belastung ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass immer mehr Leute krank werden“, so Lanz weiter. Ein Teufelskreis.
Lehrermangel an Grundschulen: Defizite bei Schülerinnen und Schüler werden verstärkt
Welche drastischen Folgen der Lehrkräftemangel hat, zeigt sich an der Gertrudisschule in Wattenscheid täglich. Defizite bei Schülerinnen und Schüler, die durch die Corona-Pandemie noch verstärkt wurden, könnten kaum aufgeholt werden, weil das Personal fehle. Kommt es zu Distanz-Unterricht, weil Schülerinnen und Schüler in Quarantäne sind, bedeute das eine Doppelbelastung für Lehrkräfte – die ohnehin zu große Klassen unterrichten müssten. „Es muss langfristig und nachhaltig etwas getan werden“, fordert der stellvertretende Schulleiter Schütt.
Das sieht auch die GEW so, die weiß: „Grundschulpersonal fehlt nicht nur, aber vor allem in sozialen Brennpunkten“, so Ulrich Kriegesmann von der GEW Bochum. Die Gewerkschaft fordert, dass mehr Studienplätze für Lehrkräfte und Sonderpädagogen geschaffen werden, gleichzeitig müsse die Qualifizierung für Seiteneinsteiger verbessert werden.
GEW Bochum fordert: Ungleiche Bezahlung stoppen
Am wichtigsten ist der Gewerkschaft aber: Die ungleiche Bezahlung zwischen Lehrern in Grund- und weiterführenden Schulen müsse beendet werden. „Die Lehrerinnen und Lehrer haben den gleichen Ausbildungsumfang und müssen auch gleich bezahlt werden“, macht Kriegesmann deutlich.
Betrachtet man die Gesamtquote an den Schulen in Bochum – Personalausstattung plus den Bedarf an sonstigen Stellen als Reserve für Unterrichtsfall und für individuelle Förderung – zeigt sich: Die Sekundarschulen (117 Prozent), Hauptschulen (103 Prozent) und das einzige Bochumer Weiterbildungskolleg (104 Prozent) sind ganz gut ausgestattet.
Allerdings: „In der Schulrealität kommt es (...) durch Langzeiterkrankungen o. ä. zu fachspezifischen Engpässen, die durch Personalmaßnahmen (Mehrarbeit, Vertretung usw.) nicht immer vollständig ausgeglichen werden können“, erläutert Carsten Beeker, Leiter des Ottilie-Schoenewald-Weiterbildungskollegs.
Weiterführende Schulen in Bochum oft nicht ausreichend versorgt
66 ausgeschriebene Stellen in Bochum
„Aktuell sind insgesamt 66 Stellen in Bochum in Ausschreibung“, so eine Sprecherin der Bezirksregierung Arnsberg. Um eine gute Unterrichtsversorgung zu gewährleisten, würden freie Stellen schnellstmöglich ausgeschrieben und es werde alles darangesetzt, sie zügig zu besetzen.
„Die Unterrichtsversorgung ist eine landesweite Thematik. Das Land NRW – und als verlängerter Arm der Landesregierung auch die Bezirksregierungen – informieren und werben auf Messen, Ausbildungsbörsen und ihren Internetseiten für den Lehrerberuf“, heißt es weiter.
Neben der klassischen Ausbildung biete das Land NRW auch die Möglichkeit eines Seiteneinstiegs. Außerdem gebe es Programme und Projekte, mit denen Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte gewonnen und begleitet werden.
An Berufskollegs, Real- und Gesamtschulen sowie Gymnasien liegt die Gesamtquote der Unterrichtsversorgung zwischen 94 und 96 Prozent. Trotz der augenscheinlich guten Zahlen – das Beispiel einer Realschule, in der fünf Stellen fehlen, zeigt: „Wir haben vieles, nicht alles, trotzdem abdecken können. Gekürzt haben wir bei allen Förderangebote und AGs und auch etwas in den Naturwissenschaften.“
Auch woanders läuft es nicht reibungslos: „An den Bochumer Gymnasien ergeben sich aufgrund von Langzeiterkrankungen bzw. durch den coronabedingten Ausfall von schwangeren Lehrkräften im Präsenzunterricht Engpässe in der Lehrerversorgung, die derzeit nicht alle ausgeglichen werden können“, erklärt Oliver Bauer, Leiter des Neuen Gymnasiums, stellvertretend.
Betroffen sind aber nicht alle Gymnasien: „An der Hildegardis-Schule sind alle Stellen besetzt und mit einer Ausnahme stehen alle Lehrkräfte auch für Präsenzunterricht zur Verfügung“, so Schulleiter Werner Backhaus.
Bezirksregierung weiß nicht, wie viele Unterrichtsstunden in Bochum ausfallen
Wie viele Unterrichtsstunden derzeit in Bochum bedingt durch den Lehrermangel ausfallen – das kann die Bezirksregierung Arnsberg nicht sagen. „Durch die anhaltende Pandemie-Situation hat sich die Landesregierung dazu entschlossen, die Unterrichtsstatistik bis auf weiteres auszusetzen“, so eine Sprecherin.