Bochum. In Deutschland wurde das syrische Lehramtsstudium zweier Bochumer erst nicht anerkannt. Nun stehen sie vor Schulklassen – wie das funktionierte.

Vor fast sechs Jahren sind die Bochumerin Joumana Ashji (44) und der Bochumer Raed Alobaid (35) aus Syrien geflohen. Beide haben dort als Lehrkräfte gearbeitet, mussten die Heimat aber hinter sich lassen. In Deutschland durften beide vorerst nicht unterrichten. Doch der Quereinstieg gelang.

Raed Alobaid lebt seit sechs Jahren in Deutschland und kam 2018 nach Bochum. Er unterrichtet mittlerweile an einer Schule in Herne.
Raed Alobaid lebt seit sechs Jahren in Deutschland und kam 2018 nach Bochum. Er unterrichtet mittlerweile an einer Schule in Herne. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Alobaid ist Englischlehrer, nach dem Studium arbeitet er einige Zeit in seiner Heimat in dem Beruf. Dann will ihn – mitten im Bürgerkrieg – das Militär einziehen. Er entschließt sich, nach Deutschland zu fliehen, lässt Vater, Mutter, Bruder und Schwester zurück. Der junge Syrer lebt zuerst in Niedersachsen, hört schließlich vom Programm „Lehrkräfte plus“.

Für Arbeit als Lehrer: Syrer zieht innerhalb von zwei Wochen von Niedersachsen nach Bochum

Es handelt sich dabei um ein einjähriges Programm, das unter anderem an der Ruhr-Universität angeboten wird. Das Ziel: neue Lehrkräfte zu gewinnen, Lehrkräfte mit Fluchthintergrund mit Blick auf das deutsche Schul- und Unterrichtssystem weiterqualifizieren und eine Brücke in den Schuldienst zu bauen. „2018 bin ich dafür extra nach Bochum gezogen, innerhalb von zwei Wochen“, erinnert sich Alobaid.

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Nach der einjährigen Qualifizierung folgt die Teilnahme am Anschlussprogramm ILF – „Internationale Lehrkräfte Fördern“ an einer Bochumer Schule. Zwei Jahre lang unterrichtete Alobaid dort, machte auch eine Weiterbildung für das Fach „Deutsch als Fremdsprache“. Mittlerweile nimmt der 35-Jährige an der einjährigen dritten Säule der Programme der Bezirksregierung teil, er unterrichtet Vollzeit an einer Schule in Herne, hat gute Chancen dort dauerhaft als Lehrer arbeiten zu können.

„Eine echte Chance – sowohl für Schulen als auch für die geflüchteten Lehrkräfte“

Integration von Lehrkräften mit Fluchthintergrund

23 geflüchtete Lehrkräfte haben im August einen Anstellungsvertrag an Schulen im Regierungsbezirk Arnsberg bekommen. Drei davon kommen aus Bochum, sie unterrichtet nun an einer Gesamt-, einer Sekundar- und einer Hauptschule.

Sie sind Teil des Pilotprojekts „Integration von Lehrkräften mit Fluchthintergrund“ (ILF).

„Der Kern des Programms ist eine enge individuelle Begleitung auch in den Praxisphasen. Und das Projekt zeigt Erfolg: Die Chancen für eine Lehrtätigkeit an NRW-Schulen im Anschluss an das ILF-Programm sind sehr gut“, so die zuständige Dezernentin Christiane Kampelmann-Springer.

Ganz so weit ist Joumana Ashji noch nicht. Die Syrierin unterrichtet seit Anfang des Jahres in Teilzeit an der Willy-Brandt-Gesamtschule in Bochum – ist eine von drei Lehrkräften in Bochum, die im Rahmen des ILF-Programms vor Kurzem die Anstellung bekommen hat. „Seit dem Start des Projektes 2018 hat sich die Teilnehmendenzahl mehr als verdreifacht“, erklärt Hans-Josef Vogel, Präsident der Bezirksregierung Arnsberg. Das Projekt sei inzwischen etabliert und stelle einen wichtigen Baustein für den Unterricht in einer vielfältigen Gesellschaft dar. „Es ist eine echte Chance – sowohl für Schulen als auch für die geflüchteten Lehrkräfte“, so Vogel.

Die Lehrkräfte des Pilotprojekts werden als Teilzeitkräfte befristet auf maximal zwei Jahre in den Mangelfächern Mathematik, Chemie, Biologie, Physik, Englisch, Französisch und Informatik eingestellt. Davon unterrichten sie zwölf Stunden, beginnend im Team-Teaching und zunehmend selbstständig. Zudem nehmen sie an Fortbildungen zur Methodik und Didaktik und am eigens entwickelten Kurs „Deutsch als berufliche Sprache“ am Dortmunder „Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung“ teil.

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Ashji ist Französischlehrerin, floh 2015 mit ihrem Mann nach Deutschland, als der Krieg in Syrien immer schlimmer wurde. Die Bochumerin hat über 20 Jahre als Lehrerin in ihrer Heimat gearbeitet, ist dankbar, als sie durch eine Freundin von dem Programm der Bezirksregierung hört. Nach einem Jahr Theorie unterrichtet sie nun seit rund zwei Wochen, steht immer häufiger selbst vor der Klasse. „Es klappt“, sagt Ashji.

Neustart als Lehrkraft in Bochum: „Große Chance“

Joumana Ashji lebt seit sechs Jahren in Bochum. Sie ist dankbar, als Lehrerin arbeiten zu dürfen.
Joumana Ashji lebt seit sechs Jahren in Bochum. Sie ist dankbar, als Lehrerin arbeiten zu dürfen. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

„Das ist eine große Chance für uns“, meint die 44-Jährige, die sich wohl in Bochum fühlt – genauso wie Alobaid. „Man merkt, dass die Schulen Lehrkräfte aus unterschiedlichen Ländern brauchen“, erklärt dieser. Sowohl er als auch Joumana Ashji erinnern sich an einige Situationen, in denen sie mit ihren Sprachkenntnissen besseren Zugang zu Schülerinnen und Schülern fanden oder als Dolmetscher agieren konnten.

„Vielleicht helfen wir so auch gegen den Fachkräftemangel“, hofft Joumana Ashji. In einem sind sich die beiden Lehrkräfte aus Bochum einig: Ihr Job ist mehr als nur Berufung. Beide sind trotz aller Hürden dankbar, dass sie wieder vor einer Klasse stehen dürfen.