Bochum. . Auf Obada Khorsheed wartete in Syrien der sichere Tod. Seit Mai wohnt er in Bochum. Nun möchte er Deutsch lernen und einen Job finden.
Obada Khorsheed flieht im März 2013 aus seiner Heimatstadt Damaskus – was folgt ist eine knapp zwei Jahre dauernde Odyssee mit Stationen in Ägypten, dem Libanon, Jordanien, der Türkei und Griechenland. Seit Mai diesen Jahres lebt der 24-jährige IT-Fachmann nun in einer eigenen Wohnung in Bochum. Er hofft, endlich angekommen zu sein – und möchte so schnell es geht Deutsch lernen und einen Job finden.
Im Frühjahr 2013 wird Khorsheed zum syrischen Militär einberufen. „Ich wäre dort gestorben“, sagt er trocken. Über 220.000 Menschen verloren nach Angaben der Vereinten Nationen bislang im syrischen Bürgerkrieg ihr Leben. Den Militärdienst verweigern kann Khorsheed nicht, seine Familie rät ihm, das Land zu verlassen. Fünf Tage später sitzt der junge Mann im Flieger nach Kairo, im Gepäck nichts außer seinen Dokumenten. Auch seine beiden älteren Brüder verlassen das Land, um nicht im Krieg kämpfen zu müssen.
Nach Kairo flieht Khorsheed, weil er dort für sich eine Perspektive sieht: das Unternehmen, für das er schon in Damaskus als IT-Manager arbeitete, bietet ihm in der dortigen Filiale einen Job an. Doch nach dem Sturz des Präsidenten Mursi kippt die Stimmung im Land. „Die Situation wurde furchtbar. Es gab ein Arbeitsverbot für Syrer, bald darauf musste meine Firma ihr Büro schließen“, so Khorsheed. Der 24-jährige ist ambitioniert, träumt davon, eines Tages seine eigene IT-Firma zu gründen. Nach weiteren Stationen im Libanon und Jordanien, wo er sich diskriminiert fühlt und nicht arbeiten darf, beschließt er, sein Glück in Europa zu suchen.
Flucht kostet 10.000 Euro
Und so besteigt er eines nachts in der Türkei in der Hafenstadt Izmir zusammen mit knapp 50 weiteren Personen ein motorisiertes Schlauchboot, das von einem der anderen Flüchtlinge gesteuert wird. 1000 Euro zahlt er für die gefährliche Überfahrt. „Ich hatte Todesangst, habe mich gefragt, was ich hier eigentlich mache“, so Khorsheed. Doch er und die anderen haben Glück, nach zwei Stunden nimmt sie ein griechisches Schiff auf.
Nach Deutschland gelangt Khorsheed schließlich von Athen aus im Laderaum eines Lkw. Nach dreieinhalb Tagen Fahrt setzen die Schlepper ihn und einige andere Asylsuchende in Dortmund ab. 10.000 Euro habe ihn seine Flucht insgesamt gekostet, sagt er. Finanziert hat er das zum Teil aus Ersparnissen, zum Teil mit geliehenem Geld – Schulden, die er nun schnellstmöglich zurückzahlen will.
Khorsheed möchte nicht nach Syrien zurück
Sein größter Wunsch ist es, seine Eltern zu sich nach Deutschland zu holen. „Ich verlange nichts von der Welt, ich will nur meine Eltern wiedersehen“, sagt der 24-Jährige. „Ich mache mir große Sorgen um sie.“
Zurück nach Syrien möchte er nicht, selbst wenn der Krieg eines Tages enden sollte: „Alles in meinem Land ist zerstört. Es gibt keine Elektrizität, kein Wasser, keine Arbeit, kein Leben, einfach nichts. Syrien ist ausgelöscht und mit ihm all die schönen Erinnerungen.“
1680 syrische Staatsangehörige leben in Bochum
Über elf Millionen Syrer sind auf der Flucht: Rund 7,5 Millionen Menschen innerhalb des Landes, über vier Millionen haben sich im Laufe des Bürgerkriegs ins Ausland gerettet. Die meisten von ihnen finden in angrenzenden Nachbarstaaten Unterschlupf: Laut UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) leben etwa aktuell 1 805 255 Syrer in der Türkei, 1 172 753 im Libanon und 629 128 in Jordanien. Nach Deutschland sind nach Angaben des Bundesinnenministeriums seit 2011 bis Juli 2015 etwa 121 000 syrische Staatsbürger eingereist. Das ist etwa ein Drittel aller nach Europa geflohenen Syrer.
In der Stadt Bochum leben derzeit insgesamt 1680 Syrer, darunter über 800 anerkannte Flüchtlinge und rund 130 Asylbewerber, aber auch über 500 Syrer, die etwa aufgrund eines Studiums oder Arbeitsplatzes von den Behörden eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten haben. 218 Syrer leben derzeit in Bochumer Flüchtlingsunterkünften.
Griechische Finanzkrise verschärft zusätzlich die Lage
Wie Obada Khorsheed wählen immer mehr Menschen für ihre Flucht den Weg über die Ägäis nach Griechenland. Nach Angaben des UNHCR kommen derzeit rund 1000 Personen pro Tag an den Küsten der griechischen Inseln an. Insgesamt waren es seit Anfang des Jahres 77 100 Personen, fast 60 Prozent davon Syrer. Die griechische Finanzkrise verschärft zusätzlich die Lage in den Flüchtlingslagern.
Der Weg über Griechenland ist auch darum so attraktiv, weil seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 2011 keine Dublin-Abschiebungen mehr in den Mittelmeeranrainerstaat stattfinden – wegen der menschenrechtswidrigen Zustände für Flüchtlinge dort. Die Dublin-III-Verordnung der EU sieht vor, dass Flüchtlinge nur in dem Land Asyl beantragen können, in dem sie zuerst europäischen Boden betreten haben.