Bochum/Herne/Witten. Nach elf Jahren in Bochum, Herne und Witten geht Kripo-Chef Andreas Dickel in Pension. Mit der WAZ sprach er darüber, was ihm wichtig war.
Wer sich mit dem Chef der Kripo Bochum, Herne und Witten unterhält, wird sich nicht langweilen. Andreas Dickel ist jemand, den man ein Original nennt: geradeheraus, selbstbewusst, vollblütig, nahbar und meistens hat er auch eine Schmankerl-Story auf den Lippen. Und er ist fähig zur Selbstironie. Hinter seinem Schreibtisch hängt eine Bildmontage im Mafia-Design mit den Worten: „Der Pate. Die Saga Don Andy Dickelone.“
Ein Geschenk, das er gern angenommen hat. Kein Wunder, denn der Leitende Kriminaldirektor mit dem prägnanten Schnäuzer stand an seinem Wohnort Herten jahrelang auf der Bühne des „Stadtkabaretts Herten: Jetz ma ehrlich.“
Dickel ist wohl der dienstälteste Kripochef in Deutschland
Dickel geht zum Monatsende in Pension. Er wird 62 – die gesetzliche Altersgrenze für Polizisten. 41 Jahre und neun Monate war er bei der Kripo, die letzten elf Jahre als Chef in Bochum, davor acht Jahre in Wuppertal. Aktuell dürfte es niemanden in Deutschland geben, der solange das Amt des Kripochefs ausübt, ausgeübt hat. „Ich durfte schon mit 23 Jahren Räuber fangen.“
Zu seinem Abschied erwartet er 120 Gäste aus dem Kollegenkreis und auch einige andere Weggefährten.. Er feiert auf eigene Rechnung im Revue-Palast-Ruhr in Herten. Nicht ausgeschlossen, dass er auch dort wieder kabarettistisch aktiv sein wird.
WAZ: Welche Veränderungen haben Sie beim PP Bochum durchgesetzt?
Dickel: Es waren schöne elf Jahre. Gemeinsam mit vielen Menschen in der Polizei Bochum haben wir insbesondere zehn Jahre ständigen Personalabbau – allein bei der Kripo von 400 auf 350 Kriminalbeamtinnen und Kriminalbeamte - gestalten müssen. Es betraf genauso die Direktionen Gefahrenabwehr/Einsatz und Verkehr. Dass wir das gemeinsam geschafft haben, ohne dass Neiddebatten entstanden, ist unser aller größter Verdienst.
Bochumer „Wohnungseinbruchsradar“ wurde Vorbild für andere Polizeibehörden
WAZ: Nennen Sie bitte ein Beispiel aus der Kripo.
Ich bin durchaus stolz, alle Kernfunktionen einer guten Kriminalpolizei über die Zeiten des Mangels erhalten zu haben. Konkret gibt es noch einiges rund um Wohnungseinbruch, was wir letztlich gemeinsam gut hingekriegt haben. Ich habe mit anderen schon 2012 den Auswerteschwerpunkt Wohnungseinbruch Ruhrgebiet begründet, in dem sich alle Polizeibehörden im Ruhrgebiet zusammengeschlossen haben. Wir hatten damals schon erkannt, dass das ein großes Problem werden würde. Heute ist ein wöchentliches Lagebild Wohnungseinbruch, unser „Einbruchs-Radar“ (eine digitale Karte mit allen Tatorten der vorherigen Woche, Anm d. Red.) quasi deutschlandweit Standard geworden.
WAZ: Gab es auch Momente des Scheiterns?
Führungskräfte müssen in unsicherer Zeit entscheiden. Das Entscheiden ist oft wichtiger als das weitere Prüfen. Daher sind Fehler unvermeidbar. Ich verbinde aber weder mit den Jahren in Bochum noch mit den fast 30 Jahren als Führungskraft Momente des Scheiterns, aber Momente des Korrigierens, Nachbesserns, aus Fehlern lernen.
Persönlich betroffen hat mich, dass wir bei Marcel H. (Doppelmörder aus Herne 2017, Anm. d. Red) es nicht geschafft haben, dessen Ergreifung nicht vor der zweiten Tat geschafft zu haben. Weiterhin gibt es den Todesfall einer Kollegin, die sich sich in einem Kommissariat in Bochum das Leben genommen hat, wo ich mich intensiv geprüft habe, ob ich diese depressive Neigung hätte erkennen können oder müssen.
Kripochef: Bestimmte Gruppen verstehen nur die Sprache von Sanktionen
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WAZ: Die Polizei hat insgesamt einen guten Ruf in der Bevölkerung. Trotzdem ist sie für einige ein Feindbild. Stichwort: „ACAB“ („All Cops are bastards – alle Polizisten sind Bastarde“) an so vielen Stellen im Stadtbild.
Wenn man bedenkt, dass wir mehr als 600.000 Menschen in Bochum, Herne, Witten betreuen, ist diese „Kritik-Quote“ – die sich auch in diesen tatsächlichen Postings zeigt – gering. Das gilt auch für Beschwerden und sonstige Kommentare in Social Media. Wir erleben es aber auch bei Festnahmen oder auch nur Kontrollen, dass eine kleine Gruppe von Menschen, zunehmend auch Frauen, sich uns und allen anderen Rettungskräften gegenüber ausfallend, beleidigend benehmen. Die Fußball-EM, der Aufstieg des VfL Bochum hat gezeigt, dass es kleine Gruppen in der Gesellschaft gibt, die gegen alle Ordnungsregeln verstoßen, Ordnungskräfte beleidigen, oft in Gruppen oder auch einzeln sogar angreifen wollen. Das sind wenige, aber sie haben die Schlagzeilen. Zunehmend werden Geldbußen, Geldstrafen oder andere Sanktionen verhängt. Diese Gruppen verstehen nur diese Sprache.
Der Fall Sami A. aus Bochum bereitete der Polizei große Sorgen
Diese Fälle und andere haben Dickel persönlich beeindruckt
Über 50- bis 60.000 Fälle pro Jahr war Dickel ständig informiert. Darunter gab es auch viele mit persönlicher Erinnerung. Zum Beispiel:- Der Fall einer in Bochum vergewaltigten Studentin aus China: Nachher wollte ein völlig unbeteiligter Bürger unbedingt 500 Euro Schmerzensgeld nach China überwiesen habe, was die Kripo auch ermöglichte.- Der Fall des jungen Mannes mit Migrationshintergrund, der einen Schläger bis in die U-Bahn verfolgte und dort für dessen Festnahme sorgte. Dickel belobigte ihn und erklärte dabei, dass er auch Polizist werden könnte. Trotz Brille (Auswahlkriterium) ist er jetzt im Auswahlverfahren.- Der Fall einer pfiffigen Rentnerin, die in Absprache mit der Polizei Trickbetrüger an der Nase herumführte, so dass die Beamten sie festnehmen konnten.Wer Dickel im Amt nachfolgt, steht schon fest, die Polizei teilt es aber erst später mit.
WAZ: Sie sind ein ehrgeiziger Mensch. Wann haben Sie mal – sozusagen – die Becker-Faust gemacht bei einem Erfolgserlebnis?
Außerordentlich durchgeschnauft habe ich bei der Festnahme von Sami A. (angeblicher Leibwächter Osama bin Ladens und von deutschen Behörden als islamistischer Gefährder eingestuft; Anm d. Red.) hier im Präsidium. Einerseits war es noch kein Fall für ein Spezialeinsatzkommando, andererseits konnte er ahnen, dass seine Abschiebung bevorstehen könnte. Er hätte darauf auch mit einer Fanaltat reagieren können, etwa einen Sprengstoffgürtel zünden oder Ähnliches. Dass das alles nicht geschah, ließ mir einen riesengroßen Stein von der Seele und vom Herzen purzeln.
WAZ: Welche Tugenden muss ein Kripo-Chef haben?
Chefs – alle Chefs – müssen zuhören können, müssen alternative Meinungen zulassen können, einen guten Mix zwischen Delegation auf andere und eigener Entscheidung finden.
WAZ: Was planen Sie im Ruhestand?
Weitere Umbauten am Haus, in dem ich mit meiner Frau, Schwiegermutter und Hund lebe. Aktive Ausgestaltung meiner Rolle als Großvater des bisher einzigen Enkels.