Bochum/Witten. Der Verdächtige im Vermisstenfall Anita S. aus Bochum-Wattenscheid ist verurteilt worden. Es ging aber um Kinderpornografie, nicht um Totschlag.

Der Tatverdächtige im zurzeit mysteriösesten Fall der Kripo Bochum ist am Mittwoch verurteilt worden. Der 34-jährige Wittener wird beschuldigt, die seit 17 Monaten vermisste Wattenscheiderin Anita S. aus Wattenscheid-Günnigfeld getötet zu haben. Bestraft wurde er aber nicht deshalb, sondern wegen Besitzes von Kinderpornografie. Beide Fälle hängen zusammen.

Der Chef der Kapitalabteilung der Staatsanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Andreas Bachmann, kam persönlich in die Verhandlung im Wittener Amtsgericht. Der ungelöste Fall der Anita S. ist einer seiner schwierigsten; wie von Anfang an hält er den Facharbeiter für dringend tatverdächtig, seine Bekannte getötet zu haben.

Aufwändige Suchaktionen der Bochumer Polizei am Kemnader See

Wird seit 7. Dezember 2019 vermisst: Anita S. aus Wattenscheid.
Wird seit 7. Dezember 2019 vermisst: Anita S. aus Wattenscheid. © Polizei Bochum

Die kaufmännische Angestellte soll bei ihm am 7. Dezember 2019 über Nacht zu Besuch gewesen sein. Seitdem fehlt von ihr jede Spur. Damals war sie 35 Jahre alt. Selbst aufwändige Suchaktionen der Polizei mit Spürhunden am und auf dem Kemnader See blieben ohne Ergebnis.

Obwohl es in dem Prozess um den Besitz von mehr als 3000 Bild- und Videodateien mit kinderpornografischen Inhalten geht, stellte Bachmann dem Angeklagten, der ihm direkt gegenüber saß, die Kardinalfrage: „Können Sie sagen, wo sich der Leichnam von Anita S. befindet?“ Ihre Mutter würde unbedingt ihre Tochter beerdigen wollen.

Angeklagter macht vom Schweigerecht Gebrauch

Bachmann bekam keine Antwort. Im ganzen Prozess sagte der Angeklagte kein einziges Wort. Im dunklen, geschlossenen Mantel saß er da, den Kopf mit Corona-Maske vor Mund und Nase stets nach unten gerichtet, die Hände auf dem Schoß gefaltet – wie bei einer Trauerfeier.

Er befinde sich, sagte sein Verteidiger Egbert Schenkel einmal, „in einer extremen Drucksituation“. Dem Mandanten wird Totschlag vorgeworfen – und alle wissen: Bachmann wird nicht locker lassen, bis Anita S. gefunden, der ganze Fall geklärt ist. Der 34-Jährige beteuert aber, mit ihrem Verschwinden nichts zu tun zu haben. Ein mögliches Tatmotiv ist bis heute nicht bekannt.

Mordkommission findet auf Computer des Beschuldigten massenhaft Kinderpornografie

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Am 3. Februar 2020 hatte eine Mordkommission („MK Stausee“) die Wohnung des 34-Jährigen durchsucht und auf links gedreht. Dabei fanden die Beamten auf einem Computer, einer Festplatte und einer ICY-Box massenhaft Kinderpornos: 2992 Fotos, 185 Videos.

Die Aufnahmen zeigen, wie Kinder, auch Kleinkinder, äußerst schwer von Erwachsenen sexuell missbraucht werden. Einzelheiten seien „grausam und furchtbar“, so Bachmann, der einige Fälle dieser Schwerverbrechen ganz konkret schilderte. Er spricht von „Perversitäten“. Die Kinder hätten herhalten müssen, um „die Geilheit von Männern zu befriedigen“.

Ein Jahr und neun Monate Haft auf Bewährung und 5000 Euro Geldauflage

Über seinen Anwalt räumte der Angeklagte alles pauschal ein. Die Aufnahmen habe er bereits vor rund zehn Jahren aus dem Internet heruntergeladen und seit 2013/14 nicht mehr benutzt. Die Kripo geht aber davon aus, dass auf die Dateien auch 2018 noch zugegriffen worden ist.

Für eine Strafbarkeit war dieser Unterschied unerheblich. Das Gericht verurteilte den Wittener zu einem Jahr und neun Monaten Haft auf Bewährung. Außerdem muss er eine Therapie wegen mutmaßlicher Pädophilie machen sowie 3000 bzw. 2000 Euro an Pro Familia Witten-Horizonte und den Wittener Verein Viadukt zahlen, beide kümmern sich auch um Kinderschutz.

Das Urteil ist um fünf Monate härter als Bachmanns Strafantrag und noch nicht rechtskräftig. Enthalten im Urteil ist auch der Besitz von rund 1,5 Gramm Drogen.

Justiz: Konsumenten von Kinderpornografie fördern den sexuellen Missbrauch

Angeklagter saß elf Tage in U-Haft

Wegen des Verschwindens von Anita S. hatte der Angeklagte im Februar 2020 elf Tage in U-Haft gesessen, war dann aber wieder entlassen worden, weil der Tatverdacht laut Haftrichter nicht dringend genug sei.

Bis Mittwoch war der Angeklagte noch nie verurteilt worden. Wegen des Totschlag-Verfahrens hatte er seine Arbeit verloren, dann aber eine neue Stelle gefunden.

Richterin Dr. Barbara Monstadt sagte: Kinder, die in diesem frühen Alter so schwer missbraucht würden, „können froh sein, dass sie das körperlich überstehen“ – psychisch würden sie dies in der Regel nicht überstehen. Immer wieder betonen Richter, dass die Nachfrage auch das Angebot des Kindesmissbrauchs fördere. „Zu diesem Geschäft tragen Sie bei“, sagte die Richterin dem Angeklagten.

Auch Oberstaatsanwalt Bachmann sprach von einer indirekten Mitverantwortung für den Kindermissbrauch, deren Täter unbekannt sind.