Bochum. Gibt es unter Migranten mehr Corona-Fälle als anderswo? Ja, sagen Experten aus Bochum. Sie schlagen Alarm und fordern dringend zum Handeln auf.

Die Anzeichen verdichten sich. Offenbar treten bei Menschen mit Migrationshintergrund besonders viele Corona-Fälle auf. Ein „heißes Eisen“, das gerade von offizieller Seite nicht gerne angepackt wird. Das weiß auch Dr. Inka Krude, Sprecherin der Apotheker in Bochum. „Keiner traut sich“, sagt sie. Doch es helfe nichts, „wir müssen da dran“. Gerade jetzt, wo der Inzidenzwert Tag für Tag steige.

Inka Krude bestätigt im Gespräch mit der WAZ, dass die Zahl der positiven Corona-Tests stark abhängig ist vom Stadtteil. „Es gibt gewisse Gegenden, da sind die Zahlen nun mal deutlich höher“, sagt sie und meint damit speziell sozial schwächer gestellte Viertel, in denen Arbeitslosigkeit und Migrantenanteil höher sind als anderswo. Das ergebe sich nicht nur aus den Rückmeldungen aus den Apotheken. „Das berichten uns auch immer wieder Ärzte.“

Corona in Bochum: Apothekensprecherin nennt Quote von 80 Prozent

Das Ministerium wisse das, sagt Inka Krude. „Auch, dass 80 Prozent der Intensivbetten von Menschen mit Migrationshintergrund belegt sind. Nicht nur in Köln, auch hier in Bochum.“ Von daher sei Aufklärung gerade in diesen Bevölkerungsgruppen umso wichtiger.

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„Die Leute müssen wissen, dass Testen unheimlich wichtig ist“, sagt Inka Krude. Und dass man auch zu Hause die allgemein gängigen Hygieneregeln befolgen sollte, gerade in großen Familien. Krude appelliert speziell an die einzelnen Glaubensgemeinschaften, über Corona und die nötigen Schutzmaßnahmen zu informieren.

Ärztenetz appelliert: Verschweigen hilft niemandem

Das Medizinische Qualitätsnetz (MedQN) Bochum bestätigt die Einschätzung von Inka Krude. „Ich finde, wir tun unserer Gesellschaft und jedem Einzelnen keinen Gefallen, wenn wir den Sachverhalt weiter verschweigen“, sagt Dr. Michael Tenholt, Vorsitzender des Netzwerks mit 150 Haus- und Fachärzten.

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Grundsätzlich tragen Menschen in sozialen Brennpunkten ein bis zu siebenfach erhöhtes Corona-Risiko, so Tenholt. Beengte Wohn- und Arbeitsverhältnisse begünstigten eine Ansteckung. „Bei Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund kommen vielfach sprachliche Hürden sowie kulturelle und religiöse Aspekte dazu, etwa Treffen in größeren Gemeinschaften wie jetzt im Ramadan“, erklärt der MedQN-Chef.

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Stadt: Keine validen Daten vorhanden

Die Folgen seien in Arztpraxen und Kliniken längst sichtbar: „Der Anteil der Migranten an den Corona-Erkrankten ist dort deutlich höher als an der Gesamtbevölkerung“ (Quote in Bochum aktuell: 13 Prozent). Das sei kein Tabu, sondern Realität. „Dafür stecke ich gern auch Schläge ein“, so Tenholt, der appelliert: „Wir müssen die Menschen besser integrieren und aufklären. Schweigen hilft in der Pandemie niemandem.“

Ärzte fordern schnelle Notbremse

Noch stellt sich die Lage auf den Bochumer Intensivstationen nicht als dramatisch dar. Laut der Intensivmediziner-Vereinigung Divi waren am Montag 25 der 168 Intensivbetten frei. 21 der Patienten sind an Covid-19 erkrankt.

Das könne sich aber schnell ändern, warnen Ärzte, darunter der Chef des Katholischen Klinikums Bochum, Prof. Christoph Hanefeld. Schnellstmöglich müsse die Corona-Notbremse gezogen werden.

Hanefeld mit Blick auf die steigenden Inzidenzen: „Was soll noch passieren, um entschlossen zu handeln? Was heute versäumt wird, sehen wir in zwei Wochen auf der Intensivstation.“

Die Stadt und das Gesundheitsamt beschränken sich auf WAZ-Anfrage auf einen Satz. Es seien keine Daten vorhanden, auf deren Grundlage zu erkennen sei, ob und in welchem Ausmaß sich Migranten häufiger mit Corona infizierten, teilt Rathaussprecher Peter van Dyk mit.

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Auch in den Kliniken seien Nationalitäten oder Herkunftsländer bei der medizinischen Versorgung kein Thema, heißt es auf WAZ-Nachfrage. Listen oder Statistiken würden nicht geführt. Immer wieder berichten Mitarbeiter jedoch von auffällig vielen Migranten auf den Corona- und Intensivstationen. „Man muss sich ja einfach nur die Namen der Patienten anschauen“, hörte die WAZ in einem Bochumer Krankenhaus. Alle Kliniken warnen vor einer drohenden Überlastung der Intensivstationen und massiven Personalproblemen bei der Intensivbetreuung.

Der Integrationsausschuss hat sich als Interessensvertretung und Sprachrohr der Migranten die Corona-Bekämpfung zum Ziel gesetzt. Insgesamt 25.000 Euro stehen Vereinen in diesem Jahr für Corona-Projekte zur Verfügung, teilt die Geschäftsstelle mit. Das Geld solle vor allem für Aufklärung und Information verwendet werden.

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