Bochum. Studien zeigen: Corona trifft sozial Benachteiligte härter. Auch in Bochum lohnt ein Blick in die Statistik nach Bezirken und Postleitzahlen.

Postleitzahl 44866 – in dem Bezirk für Wattenscheid-Mitte mit Teilen Westenfelds und Sevinghausen sind die meisten Bochumer Covid-19-Infektionen seit Beginn der Corona-Pandemie aktenkundig. Es sind 1186 (Stand 10. Januar 2021). Das sind rund 13,6 Prozent aller Fälle (8736) in Bochum.

Dahinter reihen sich die Postleitzahlen 44793 (670 Fälle), 44892 (658 Fälle), 44803 (629 Fälle) und 44809 (617) ein. In diesen fünf von 18 Postleitzahlbezirken sind demnach 43 Prozent aller bisher infizierten Bochumerinnen und Bochumer zu Hause. Zum Vergleich: Im Bereich der Postleitzahl 44797 (Teile von Stiepel, Linden, Weitmar und Wiemelhausen) gab es bislang 186 Infektionen (2,1 %).

Stadt Bochum veröffentlicht Corona-Statistik zu den Stadtbezirken

Die Stadt Bochum gab Anfang vergangener Woche erstmals seit Beginn der Corona-Krise Anfang März 2020 Zahlen zum Infektionsgeschehen in den sechs Bochumer Stadtbezirken preis; zweifellos eine Antwort auf über zehn Monate währende Anfragen der WAZ-Redaktion nach Covid-19-Zahlen aus den 30 Bochumer Stadtteilen

Zwar gibt es bislang Zahlen nur zu den sechs Stadtbezirken, aber immerhin. Und Fallzahlen aus den Postleitzahlbezirken teilte die Verwaltung der Redaktion nun auch mit.

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Fast 50 Prozent aller Neuinfektionen in Mitte und Wattenscheid

Ein Blick auf die Covid-19-Neuinfektionen der vergangenen sechs Wochen zeigt, dass in den Stadtbezirken Mitte und Wattenscheid zusammen rund 50 Prozent aller Fälle auftreten. Auch bei den Todesfällen liegen die beiden Bezirke vorn. 34 von 66 Corona-Tote wohnten im Bezirk Mitte oder Wattenscheid. Alten- und Pflegeheime (35 Tote) sind dabei nicht berücksichtigt.

In ihrer Statistik weist die Stadt ausdrücklich darauf hin, dass die Daten „ausschließlich die räumliche Verteilung der Wohnorte“ darstellen. Die Ansteckung mit dem Virus könne „außerhalb des eigenen Stadtteils, zum Beispiel im Urlaub, am Arbeitsplatz oder in öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgt sein“.

Verwaltung hält Rückschlüsse auf Lebensverhältnisse für nicht zulässig

Auch einen Rückschluss auf die Lebensverhältnisse der Erkrankten ist laut Stadt nicht möglich. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können keinerlei Aussagen darüber getroffen werden, ob und welche Faktoren aus dem sozialen oder baulichen Umfeld in den Stadtbezirken Einfluss auf das Covid-19-Pandemiegeschehen in Bochum haben“, heißt es.

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Tatsache aber ist, dass in den Bezirken Mitte und Wattenscheid viele der Bochumer Stadtteile liegen, die statistisch betrachtet überdurchschnittlich viele kleine Wohnungen in Mehrfamilienhäusern und Sozialwohnungen ausweisen. Mit Blick auf den WAZ-Stadtteilcheck von 2018 befinden sich dort mit einer Ausnahme alle Ortsteile auf den Plätzen 21 bis 30 im Ranking der Wohnungsgrößen.

Sozialdezernentin erklärt Corona-Daten mit Zahl der Altenheime

Mit Wattenscheid-Mitte, Westenfeld, Leithe, Günnigfeld, Kruppwerke, Gleisdreieck, Hamme und Hofstede gehören Stadtteile zu den Bezirken, die laut Sozialbericht der Stadt einen besonders hohen Anteil an Hartz-IV-Beziehern und erhöhtes Armutsrisiko haben. Sozialdezernentin Britta Anger (Grüne) indes findet eine derartige Betrachtung „fahrlässig“. Aus den vorliegenden Zahlen seien „keine Maßnahmen abzuleiten“.

Anger verweist auf die Sieben-Tage-Inzidenzen, „die in den Stadtbezirken gar nicht irreweit auseinanderliegen“. Die hohen Infektionszahlen in den beiden Bezirken erklärt Anger auch mit den vielen Altenheimen dort. 19 der insgesamt 38 liegen in den Bezirken Mitte (14) und Wattenscheid (5).

Während die Bochumer Gesundheitsverwaltung derzeit keinen Handlungsbedarf sieht, führen Studienergebnisse von Krankenkassen und Städten anderenorts dazu, dass sozial Benachteiligte durch Politik, Gewerkschaften und Behörden eine Stimme bekommen.

Menschen aus ärmeren Stadtteilen seien stärker von Corona betroffen, heißt es beispielsweise in Hamburg. Sie lebten in engeren Wohnverhältnissen, könnten seltener im Homeoffice bleiben und seien auf den überfüllten öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Die Lebenssituation erschwere das Befolgen der AHA-Regeln und bedeute ein erhöhtes Infektionsrisiko.

Gewerkschaft und Politiker andernorts fordern mehr Schutz für Schwächere

Linke, Deutscher Gewerkschaftsbund und Sozialverbände in der Hansestadt fordern daher einen besseren Schutz für sozial Schwächere. Dazu gehören kostenlose FFP-2-Masken, kostenlose Corona-Tests und Gesundheitsloten für Menschen, die armutsbedingt höheren Corona-Risiken ausgesetzt sind.

Auch in Duisburg und Essen ist mittlerweile dokumentiert, dass es in ärmeren Stadtteilen häufiger zu Corona-Infektionen kommt. "Dass die Inzidenz in Bezirken höher liegt, in denen das Durchschnittseinkommen geringer ist, überrascht mich nicht. Wir haben solche Berichte aus vielen Städten weltweit“, sagt Prof. Nico Dragano, Medizinsoziologe am Uniklinikum Düsseldorf.

Studien belegen erhöhtes Krankheitsrisiko für sozial Benachteiligte

Zahlreiche Studien belegen, unabhängig von Corona, dass sozial benachteiligte Menschen grundsätzlich ein höheres Krankheitsrisiko haben. Das gilt insbesondere für koronare Herzkrankheiten, Diabetes, Bronchitis und zahlreiche Krebserkrankungen.

Prof. Christoph Hanefeld, ärztlicher Geschäftsführer am Katholischen Klinikum Bochum, hat das als Mitautor einer Studie auch für Bochum nachgewiesen ("Soziale Unterschiede bei den Notarztdiagnosen Herzinfarkt und Schlaganfall", 2018).

Der Studie zufolge gibt es in Bochum einen Zusammenhang zwischen der Zahl der Notarzteinsätze und der Arbeitslosigkeit in einem Stadtteil. Kernaussage: "Die Rate der Notarzteinsätze nimmt mit zunehmender Arbeitslosenquote in einem Stadtteil statistisch signifikant zu."

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