Bochum. Nach den tödlichen Schüssen auf einen Rentner in Bochum muss ein Polizist vor Gericht. Vorwurf: Totschlags. Ein sehr umstrittener Fall.

Das dürfte einzigartig sein in der Bochumer Rechts- und Polizeigeschichte: Das Schwurgericht Bochum hat jetzt entschieden, dass ein 37-jähriger Streifenbeamter der Polizei Bochum wegen des Vorwurfs des Totschlags auf die Anklagebank muss. Die Richter ließen die Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum vom November jetzt zu und schickten dem Hauptkommissar einen entsprechenden Eröffnungsbeschluss zu.

Das erfuhr am Mittwoch die WAZ.

Der Fall ist auf allen Seiten ein großes Drama und eine Katastrophe. Am Abend des 16. September 2018 (Sonntag) wird die Polizei zum wiederholten Mal in die Velsstraße in Altenbochum gerufen. Auf dem Gehweg treffen die Beamten auf einen 74-jährigen Rentner.

Bochumer Polizist schoss dreimal

Er wohnt nur wenige Meter vom Ort der Geschehens entfernt. Schon viermal zuvor an diesem Tag war die Polizei mit jeweils mehreren Beamten zu seiner Wohnanschrift ausgerückt, unter anderem wegen Ruhestörung und Randale. Zweimal hatte der 74-Jährige sogar selbst die Polizei angerufen. Diese Anrufe sollen aber keine nachvollziehbaren Gründe gehabt haben.

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Diesmal treffen sie den Rentner schon vor dem Haus an. Es ist gegen 19.50 Uhr. Der Mann soll plötzlich einen Gegenstand in Gestalt eines Revolvers aus dem Hosenbund gezogen und ihn auf einen der Beamten gerichtet haben. Auf mehrfache Aufforderung des 37-jährigen Beamten legt er ihn aber nicht auf den Boden. Dann schießt der Hauptkommissar dreimal in unmittelbarer Abfolge in den Oberkörper, darunter ein Streifschuss. Der 74-Jährige sackt in sich zusammen und stirbt trotz notärztlicher Versorgung noch auf dem Gehweg.

Die Waffe des Rentners, so stellte sich später heraus, war nur eine Scheinwaffe. Nur ein Feuerzeug, ohne Schussfunktion. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen den Polizisten, stellte das Verfahren aber ein. Begründung: „Der Polizeibeamte hat gedacht, der andere würde mit einer scharfen Waffe auf ihn zugehen.“ Wenn damit jemand schieße, habe der Beamte keine Chance mehr. Die Staatsanwaltschaft sprach von so genannter „Putativ-Notwehr“.

Anwalt der Hinterbliebenen legte Rechtsmittel

Damit war der Fall aber nicht erledigt. Der Bochumer Rechtsanwalt Bastian Junghölter, der die Ehefrau und die drei erwachsenen Söhne des erschossenen Rentners vertritt, legte mehrere Beschwerden gegen die Einstellung des Verfahren ein, denn der Obduktionsbericht soll nahelegen, dass der Rentner nach den beiden ersten Schüssen schon in sich zusammengesunken sei, als ihn die dritte Kugel getroffen habe.

Der Anwalt beschwerte sich erst bei der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm, dann, als dies erfolglos war, beim Oberlandesgericht Hamm. Dort hatte er Erfolg. In diesem Klagerzwingungsverfahren musste die Staatsanwaltschaft Bochum dann doch, entgegen ihrer früheren Entscheidung, Anklage wegen Totschlags beim Schwurgericht erheben.

Bochumer Verteidiger will einen Freispruch

Dieses hat nun entschieden: Ja, der Polizeibeamte muss tatsächlich vor Gericht. Verteidiger Michael Emde sagte der WAZ: „Den Beamten vor Ort mutet man zu, im Bruchteil von Sekunden Entscheidungen richtig zu fällen, über die nachher Juristen nach langer Diskussion noch immer unterschiedlicher Meinung sind.“ Ziel der Verteidigung ist ein Freispruch.

Der vor wenigen Tagen pensionierte Leitende Polizeidirektor Martin Jansen hatte vor kurzem in einem WAZ-Interview zu diesem Fall gesagt: „Ich hätte an Stelle des Beamten sehr wahrscheinlich genauso gehandelt. Wir lernen zu schießen, bis die Treffer Wirkung zeigen und überlegen in eigener Lebensgefahr nicht zwischendurch, ob der nächste Schuss jetzt noch angebracht ist. Auch das Gericht wird sicher erkennen, dass der Beamte von jeder Schuld freizusprechen ist.“

Der Angeklagte ist seit Anklageerhebung im November vom Polizeidienst freigestellt. Ein Termin für den Prozess steht noch nicht fest.