Bochum/Herne/Witten. Der Leitende Polizeidirektor Martin Jansen aus Bochum übt scharfe Kritik an der Politik. Sie verliere mitunter die breite Mitte aus den Augen.

Martin Jansen ist ein vielseitiger Handwerker: Er lötet zu Hause Wasserleitungen, baut Türen und Fenster ein, installiert Elektrik, erledigt Holz- und Sanitärarbeiten. Das macht er aber nur privat. Beruflich ist er hinter Polizeipräsident Jörg Lukat der zweithöchste Polizist in Bochum, Herne und Witten. Jetzt geht der Leitende Polizeidirektor mit je vier goldenen Sterne auf den Schulterklappen in den Ruhestand, weil er in Kürze 62 wird. Das ist bei der Polizei die Pensionsgrenze.

WAZ: Herr Jansen, Sie selbst sind schon lange ganz oben in der Karriereleiter. Wann haben Sie das letzte Mal eine Schusswaffe in der Hand gehabt oder gar eingesetzt?

Martin Jansen: Erst vor einigen Monaten und ich habe auch geschossen. Wie alle Polizistinnen und Polizisten muss ich regelmäßig die Handhabungs- und Treffsicherheit trainieren, um die Waffe führen zu dürfen. Da ich allerdings schon seit 1992 in Führungsfunktionen des Innendienstes eingesetzt bin, ist es schon sehr lange her, dass ich mit der Waffe drohen musste, geschossen habe ich außerhalb des Trainings aber nie.

Bochumer Polizeidirektor: „Aggressionen gegen die Polizei sind immer auch Angriffe auf den Staat“

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WAZ: Die Polizei hat in der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung ein sehr hohes Ansehen. Gleichzeitig stößt sie immer wieder auf respektloses oder gar verächtliches Auftreten, keineswegs nur in extremistischen Kreisen. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

Die Polizei ist ein wesentlicher Teil des Staates, der immer wahrnehmbar und ansprechbar ist. Die Aggressionen gegen die Polizei sind immer auch Angriffe auf den Staat. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Rechtsprechung immer weiter in Richtung der Individualinteressen entwickelt und dabei ist das Gemeinwesen zunehmend auf der Strecke geblieben. Die politischen Parteien kümmern sich immer mehr um alle möglichen Randgruppen und verlieren dabei mitunter die breite Mitte aus den Augen. Wenn führende Politikerinnen einer ehemals großen deutschen Volkspartei polizeiliche Einsätze kritisieren, ohne auch nur die geringste Ahnung von der Materie zu haben, dann ist das einfach ein nicht ansatzweise nachvollziehbares Beispiel, geradezu die Aufforderung, alles zu hinterfragen, was wir unter schwierigsten Bedingungen auf der Straße leisten.

WAZ: Aber auch die Polizei muss kritikfähig sein.

Nur um das noch einmal zu betonen: Es geht nicht um unrechtmäßiges Verhalten von Polizeibeamten, was natürlich konstruktiv kritisiert werden darf und muss. Es geht um das Kritisieren um des Kritisierens willen, um dadurch einen politischen Vorteil auf Kosten von Menschen zu erlangen.

Bochumer Bereitschaftspolizisten waren auch bei der Loveparade in Duisburg im Einsatz

Leitender Polizeidirektor Martin Jansen: „Es gab keinen einzigen Tag, an dem ich mit Bauchschmerzen zur Arbeit gegangen bin.“
Leitender Polizeidirektor Martin Jansen: „Es gab keinen einzigen Tag, an dem ich mit Bauchschmerzen zur Arbeit gegangen bin.“ © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

WAZ: Sie hatten sehr viele Jahre eine große Verantwortung für fast 2000 Polizeibeamte. Gab es konkrete Momente, in denen diese Last für Sie persönlich so richtig schwer war?

Ich habe immer versucht, allen Kolleginnen und Kollegen gerecht zu werden und habe diese Verantwortung nie als Last empfunden. Es gab sicherlich viele Herausforderungen, die aber nicht mit der Anzahl der Beschäftigten zu tun hatten. Es sind die Einzelschicksale von Beamtinnen und Beamten, so wie die aktuelle Anklage wegen des Vorwurfs des Totschlages gegen einen Polizisten, der in Notwehr einen bewaffneten Rentner erschossen hatte. Aber auch tragische Einsätze, die wir trotz aller Anstrengungen nicht erfolgreich bewältigen konnten. Der 10-Jährige autistische Junge, den wir leider nur noch tot am Bahngleis gefunden haben, der Einsatz meiner Bereitschaftspolizei bei der Loveparade in Duisburg und ähnliche Einsätze.

„Je näher Sie ein Problem beschreiben, desto näher sind Sie an einer Lösung“

WAZ: Ihnen wird nachgesagt, dass Sie alles bei der Bochumer Polizei genau im Blick und im Kopf haben. Was sind denn die Grundtugenden für einen Mann in Ihrer Position?

Zunächst danke für das Kompliment, manche halten mich für nachtragend, weil ich mir vieles merken kann. Tatsächlich hilft mir dabei das Email-Programm Outlook mit vielen Notizen und Erinnerungen. Aber auch ich bin natürlich nur Bestandteil eines großen Räderwerks, eines der größeren Zahnräder vielleicht, aber alleine würde ich es nicht schaffen. Zu den Tugenden: Offenheit, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Kollegialität, also immer auch die Interessen aller anderen in Auge haben. Nur wer über den Tellerrand schaut, lernt strategisch zu denken, kann Probleme rechtzeitig erkennen und gegensteuern. Und: Je näher Sie ein Problem beschreiben, desto näher sind Sie an einer Lösung.

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Seit 38 Jahren bei der Polizei

Der Bochumer Martin Jansen arbeitet seit 38 Jahren als Polizist, den größten Zeitraum als Führungskraft, bis 2008 auch im Innenministerium. Danach wurde er „Direktionsleiter Gefahrenabwehr“ und stellvertretender Behördenleiter.

Jansen war maßgeblich auch für die Absage der Loveparade in Bochum 2009 verantwortlich, wofür er viel Kritik einstecken musste.

Im Ruhestand will er neben Heimwerkerarbeit und mehr Sport (Ski, Beachvolleyball) auch viel mit seinem neuen Wohnmobil reisen.

Nachfolger von Martin Jansen in Bochum wird der Leitende Polizeidirektor Michael Bauermann. Er kommt aus dem NRW-Innenministerium.

WAZ: Würden Sie heute eine Entscheidung anders treffen als seinerzeit?

Nein, ich habe sicherlich nicht immer alles richtig gemacht, aber es gibt nichts, was ich so bereuen muss, dass ich es ungeschehen machen will. Ich habe meinen Beruf auch immer gerne gemacht. Es gab keinen einzigen Tag, an dem ich mit Bauchschmerzen zur Arbeit gegangen bin.

Was haben Sie aus Ihrer Polizeiarbeit für Ihr Leben ganz persönlich gelernt?

Das würde jetzt eine unendlich lange Liste… Ich würde wirklich Mitte der achtziger Jahre anfangen. Das Fahr- und Sicherheitstraining bei dem Kollegen Walter Fischer hat mich zu einem sehr guten Autofahrer gemacht. Kollegen fragen gerne, ob es Zufall ist, wenn ich zwei Zentimeter vor der Wand parke. Aber im Ernst, ich habe in so vielen Bereichen gearbeitet, dass ich für fast jedes Problem eine Lösung finde und diese Kompetenz auch über den dienstlichen Bereich hinausgeht. Das ist manchmal auch echt blöd, wenn ein Freund zum Beispiel einfach nur möchte, dass ich mir seine Probleme anhöre. „Wenn das die Lösung ist, will ich mein Problem zurück.“

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WAZ: Mit welchen Argumenten würden Sie einen Abiturienten, der noch keinen festen Berufswunsch hat, überzeugen, Polizist zu werden?

In einem Jahr als Polizist erlebt man mindestens dreimal so viel wie in anderen Berufen. Die Vielfältigkeit und Abwechslung sind einzigartig. Die Ausbildung ist hervorragend, man wird körperlich und geistig gefordert und gefördert. Im Team Polizei zu arbeiten ist wie für Schalke und Dortmund gleichzeitig zu spielen. Man hält in allen Höhen und Tiefen zusammen, erlebt großartige Erfolge und steht eng zusammen, wenn es mal nicht so gut läuft. Rote Karten sind in Bochum eine absolute Seltenheit. Über die wenigen schwarzen Schafe möchte ich jetzt nicht sprechen.

Lob für die Demonstrations- und Versammlungskultur in Bochum

WAZ: Was regt Sie richtig auf?

Dass für die Mehrheit der deutschen Politiker offenbar der Datenschutz für Pädophile und andere Dreckskerle wichtiger ist als deren Verfolgung. Anders kann ich mir die Diskussion um die richterliche Anordnung der Offenlegung von Verbindungsnachweisen – die Vorratsdatenspeicherung – einfach nicht erklären.

WAZ : Was finden Sie richtig gut?

Die Demonstrations- und Versammlungskultur hier in Bochum, Herne und Witten. Anders als in anderen Städten finden die Menschen hier bei uns fast immer den richtigen Weg. Gewalttätige Ausschreitungen sind eine echte Seltenheit. Die politische Auseinandersetzung auf der Straße hat in Bochum Stil.