Gerthe. Bochumer Lehrerin hat eine herausfordernde Klasse. Wie sie gegen Vorurteile mit Gartenarbeit ankämpft und davon sogar Senioren profitieren.

Mit einem festen Spatenstich hebt Hadeer Habib Erde aus dem Boden. „Die Wurzel ist im Weg“, ärgert er sich und setzt neu an. Langsam nimmt das Beet Form an: Etwa zwei Mal drei Meter Erde im Vorgarten des Bochumer Altenheims „Wichern-Haus“ sind schon umgegraben. Gemeinsam mit seinen Mitschülern sorgt Hadeer (16) hier seit Februar für weniger Unkraut, aber mehr Gemüse, Obst und Blumen. Einmal wöchentlich kommt die 8b der Werner-von-Siemens-Schule dafür in das nahe gelegene Seniorenheim.

„Im Irak hat meine Familie auch einen Gemüsegarten gehabt, da habe ich Kartoffeln angepflanzt“, sagt der Schüler. Aber nicht nur bei Hadeer weckt das Gärtnern Erinnerungen: „Ganz früher hatte ich auch einen Garten, in dem Kohlrabi wuchsen. Ich habe Kartoffeln und Bratwürstchen dazu gemacht“, erzählt Wichern-Haus-Bewohnerin Erika Steinbach (80). Den Kindern bei der Gartenarbeit zuzuschauen, sei eine schöne Abwechslung.

Ziel: Ausbildungsreife der jungen Bochumer stärken

Ausgedacht hat sich das Ganze Klassenlehrerin Kathrin Torka. „Das Projekt ist inklusiv und generationenübergreifend“, sagt sie. Denn ihre Klasse ist herausfordernd: Sie unterrichtet über 20 Schüler mit den unterschiedlichsten Schwierigkeiten und Hintergründen – von Autismus über Lernschwäche bis hin zu Fluchterfahrung. „Das Projekt soll insgesamt die Ausbildungsreife stärken“, sagt die 37-Jährige. Was damit gemeint ist: „Durchhaltevermögen lernen, freundlichen Kontakt zu Fremden üben, Eigeninteresse entwickeln“, nennt Torka nur einige Vorzüge von Hochbeete-Bau, Heckenschnitt und Beetbepflanzung im Altenheim. Das Projekt ist dabei Teil des „Wahlpflichtunterrichts“, für den die Schüler auch benotet werden.

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„Oft bekommen unsere Schüler den Stempel ‚Hauptschule‘ und haben Schwierigkeiten, Praktika oder Ausbildungsplätze zu finden“, bedauert Torka. Im Gartenprojekt stellten sie aber ihre Arbeitsfähigkeit unter Beweis, sodass mit Himbeeren, Brombeeren und Sonnenhut auch das Selbstbewusstsein wachse. „Am Anfang haben sie viel gemeckert, aber mittlerweile haben die Schüler einen Blick dafür entwickelt, wo noch gezupft, geschnitten oder gegraben werden kann“, freut sich die Lehrerin.

Matheunterricht im Beet

Praktisches Alltagswissen ist dabei immer wieder mit dem Unterricht verknüpft: „Wir mussten den Umfang des Beetes berechnen, damit wir wissen, wie viele Steine wir brauchen“, erzählt etwa Sophie Hahn (14) und Alina Schöttler (13) sagt: „Wir haben auch im Technik-Unterricht ein Randgitter gebaut.“

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Sophie will sogar – angestoßen durch das Projekt - später einen Beruf im Gartenbereich erlernen. „Es macht Spaß, ich bleibe aber bei meinem Berufswunsch Schauspielpädagogin“, sagt hingegen Alina. „Manchmal stehen die alten Leute am Fenster und winken“, erzählt Fernanda Carmen (15). Die Bewohner hätten ihr gesagt, dass sie stolz auf die 8b seien. Denn auch beim Wichern-Haus stößt das Projekt auf offene Arme: „Der Gehweg war mit Efeu zugewuchert, die Schüler haben ihn wieder freigeschnitten“, freut sich Hannah Simon vom Wichern-Haus.

Direkter Kontakt derzeit nicht möglich

Auch wenn der direkte Kontakt zwischen Bewohnern und Schülern derzeit wegen der Corona-Pandemie nicht möglich sei, gäbe es schon positive Effekte: „Die Bewohner haben ein neues Gesprächsthema und erzählen sich zum Beispiel, wer früher einen Nutzgarten hatte oder welche Rezepte nach der Ernte gemacht werden könnten“, berichtet Simon. Den Bewohnern mache das Projekt außerdem Mut, dass es weitergehe, Projekte wieder anliefen und direkter Kontakt hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft möglich werden wird.

Mehrere Schulabschlüsse möglich

Die Werner-von-Siemens-Schule befindet sich an der Haydnstraße und zählt etwa 400 Schülerinnen und Schüler.

Sie können einen regulären Hauptschulabschluss, einen Hauptschulabschluss nach Klasse 10, eine Fachoberschulreife oder eine Fachoberschulreife mit Berechtigung zum Besuch des Gymnasiums erwerben.

Das Wichern-Haus ist eine Einrichtung des Evangelischen Johanneswerks und liegt am Kolpingplatz.

Wenn die Schüler nicht da seien, würden Bewohner den Garten gießen. Kontakt zwischen dem Wichern-Haus und den Werner-von-Siemens-Schülern besteht indes schon länger. Gemeinsame Spielestunden oder Spaziergänge hat es in der Vergangenheit ebenso gegeben wie die Vermittlung von Praktika. Wenn die Hygieneauflagen es wieder zulassen, soll es damit weitergehen. Dann sind vielleicht auch schon die ersten Früchte reif: „Man könnte dann zum Beispiel aus den Himbeeren Marmelade machen oder Kuchen backen und gemeinsam essen“, schlägt Torka vor.

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