Bochum. . Der Bedarf an Pflegekräften in Bochum steigt, doch das Interesse an Pflegeberufen sinkt. Geringe Anerkennung und Entlohnung sind große Probleme.
- Mangel herrscht in zwei Richtungen: Allgemeines Interesse am Beruf und examinierte Fachkräfte
- Belastungen nehmen für einzelnen Mitarbeiter zu. Angebote entfallen oder müssen verschoben werden
- Branche will beim Nachwuchs ansetzen und die Attraktivität des zukunftssicheren Berufes bewerben
Wer „Altenpflege Bochum“ googelt, der findet schnell hunderte Stellenausschreibungen. Altenheime, ambulante Dienste und Pflegeeinrichtungen: Sie alle suchen Fachkräfte - und finden keine.
„Es herrscht ein doppelter Mangel “, sagt Frauke Gorontzi, Einrichtungsleiterin im Katharina-von-Bora-Haus. Es fehlten diejenigen, die sich überhaupt für das Berufsfeld interessierten, und unter den bereits Ausgebildeten herrsche ein Mangel an examinierten Kräften.
„Es ist für jeden Mitarbeiter belastender geworden“
„Die Einrichtungen verfolgen nicht mehr das Sauber-und-Satt-Prinzip, sondern haben hohe Ansprüche an die Mitarbeiter“, so Gorontzi. Man habe aber kaum noch eine Auswahl unter den Bewerbern. Das Personal sei eine tragende Säule, müsse beobachten und vernetzt denken.
Das Bild von der „Oma, die in der Ecke abgestellt wird“, will sie aber nicht erwecken: „Wenn wir die Vorgaben nicht erfüllen würden, dürften wird die Einrichtung nicht betreiben. Es ist daher für jeden Mitarbeiter belastender geworden.“ Auch im Katharina-von-Bora Haus sind derzeit Stellen ausgeschrieben: „Junge Menschen können mittels Praktika den Beruf, bei dem man Langzeitbeziehungen aufbauen kann, kennenlernen.“
SBO verdoppelt Ausbildungsplätze
Beim Nachwuchs ansetzen will auch Frank Drolshagen, Geschäftsführer der Senioreneinrichtungen Bochum (SBO), die vier städtische Einrichtungen unterhält: „Wir haben die Ausbildungsplätze auf 50 verdoppelt.“ Von den 200 Vollzeitkräften schicke man jährlich 15 in Rente. Die Einrichtungsleiterin des Wichern-Hauses, Anke Rother, sagt: „Es herrscht ein Pflegenotstand. Das Problem wird größer, die alternde Gesellschaft kommt.“
Ihr Haus behelfe sich mit externen Dienstleister. „Es ist wichtig, den Pflegebedürftigen Kontinuität zu bieten, damit nicht jeden Tag ein neuer Mensch kommt“, so Rother. Auch sie sieht: „Belastung und Pflegebedarf steigen, Themen wie Demenz werden wichtiger. Oft müssen wir Geplantes verschieben.“
Auch mobile Dienste leider unter Personalmangel
Nicht nur die Altenheime, auch mobile Dienste sind betroffen. „Es mangelt stets an Fachpersonal. In der mobilen Pflege ist man alleine unterwegs, deshalb ist die Qualifizierung noch wichtiger“, weiß Petra Kaminski von der Ambulanten Krankenpflege. Vor vier Jahren zählte sie noch 43 Mitarbeiter, heute sind es nur 17. „Eine Intensivpflege mit 24-Stunden-Betreuung können wir nicht mehr anbieten.“
Markus Wübbeler, Professor für Pflegewissenschaft an der Hochschule für Gesundheit, kann seinen Studenten daher zumindest gute Berufsaussichten versprechen. „Viele erhalten schon vor ihrem Abschluss Stellenangebote“, weiß er.
Wenige studieren Altenpflege an der HSG
Unter den Studierenden an der HSG entscheiden sich die wenigsten für den Schwerpunkt Altenpflege. „Es mangelt an Anerkennung und Entlohnung“, vermutet Wübbeler. „Die Stelle eines Altenpflegers ist im Durchschnitt 138 Tage unbesetzt. Gleichzeitig kommen auf 40 arbeitssuchende Pflegekräfte 100 offene Stellen.“
Und Anja Greiter von der Agentur für Arbeit ergänzt: „In Bochum gab es im Mai 170 offene Stellen – dabei werden nicht alle erfasst“. Der Beruf fordere eine Mischung aus Professionalität und Berufung, sowie Freude am Umgang mit Menschen. Trotz der notwendigen Bereitschaft zur körperlich und psychisch belastenden Arbeit, betonen alle Beteiligten: „Es ist ein schöner und zukunftssicherer Beruf!“
>>> Diakonie unterhält die meisten Altenheime
In Bochum gibt es 33 Alten- und Pflegeheime, davon vier städtische Einrichtungen.
Die meisten Einrichtungen unterhält die Diakonie (6), das größte Altenheim mit 250 Betten wird vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) betrieben. Aufgelistet sind sie unter www.bochum.de.
Die Ausbildungsdauer zum examinierten Altenpfleger beträgt drei Jahre.
>>> Interview mit Agnes Westerheide von Verdi
Agnes Westerheide ist Verdi-Gewerkschaftssekretärin und war selbst lange in der Altenpflege tätig. Sie sprach mit Marie Illner über die Ursachen des Personalnotstands und mögliche Lösungen.
Welche Ursachen gibt es für den Personalnotstand?
Die Situation hat sich über Jahre zugespitzt. Ursächlich ist, dass sich die Aufgaben in der Pflege durch Professionalisierung vervielfältigt haben, ohne dass mehr Personal eingestellt wurde. Heute besteht eine hohe Dokumentationspflicht. Wenn ein Kollege krank ist, muss der gesamte Dienstplan verändert werden, denn es gibt keinen Personalpuffer mehr. Einen solchen Personalpuffer braucht man aber, um Ausfallzeiten, Erkrankungen, Fortbildungen und Urlaub zu kompensieren.
Welche Rolle spielt dabei die Bezahlung?
Die Bezahlung ist zu niedrig. Die Träger unterbieten sich gegenseitig in den Preisen, für die sie Pflege anbieten. Manche Einrichtungen, wie zum Beispiel die Senioreneinrichtungen der Stadt Bochum zahlen Tariflohn, die tarifungebundenen Träger zahlen meist weniger. Der Lohn ist für das, was geleistet werden muss, definitiv nicht gerechtfertigt. Ich glaube, dass viele den Beruf nicht mehr ergreifen, weil es nur geht, solange man keine weiteren Verpflichtungen hat.
Die Dienstpläne sind gegenüber früher viel unverbindlicher geworden und die Flexibilität ist nur einseitig. Ein Mitarbeiter soll flexibel einspringen, aber wenn er einen Termin hat, wird ihm diese Flexibilität nicht gewährt. Genauso wichtig ist es aber, dass sich die Arbeitsbedingungen so verbessern, dass eine gute Pflege der alten Menschen möglich ist.
Was kann aus gewerkschaftlicher Sicht gegen diese Situation getan werden?
Eine Grundvoraussetzung ist, dass es eine gute bundeseinheitliche Personalbemessung gibt. Aktuell stattet jedes Bundesland die Altenpflege nach seinen Vorstellungen aus. Wir brauchen unbedingt politische Entscheidungen, die Altenpflege mit mehr Personal auszustatten. Außerdem müssen sich die Arbeitsbedingungen bessern.
Dabei kann die Reform gar nicht schnell genug kommen, denn die Pflegeeinrichtungen können ihre Dienstpläne nur deshalb noch aufrechterhalten, weil die Mitarbeiter hohe soziale Kompetenzen haben. Sie wollen ihre Bewohner nicht alleine lassen. Wenn jeder Mitarbeiter sich nur an die nach seinem Arbeitsplan vereinbarten Dienste hielte, dann würde das System scheitern.