Bochum. Eine Lese-Rechtschreibstörung stellt Studierende vor große Hürden im Alltag. Oft bleibt sie unerkannt. Ein Bochumer Projekt der HSG soll helfen.
Lese-Rechtschreibstörung und Studieren – zwei Dinge, die man so zuerst nicht unbedingt miteinander in Verbindung bringt. Doch: „Es sind deutlich mehr Studierenden betroffen, als wir wissen“, sagt Nicole Ramacher-Faasen von der Hochschule für Gesundheit (HSG) in Bochum. Die Diplom-Sprachheilpädagogin ist Vertretungsprofessorin im Studiengang Logopädie und hat sich auf Lese-Rechtschreibstörungen spezialisiert. Die betroffenen Studierenden seien sehr intelligent, hätten aber massive Problem beim Lesen und Schreiben. Die HSG hat ein Projekt gestartet, das helfen soll.
Wie viele Studierende in Bochum und darüber hinaus unter einer Lese-Rechtschreibstörung leiden, dazu gibt es keine Zahlen. Die Vertretungsprofessorin der HSG schätzt aber, dass es bis zu zehn Prozent sein könnten. „Man merkt, dass die Studierenden im Seminar Schwierigkeiten haben. Sie schreiben undeutlich und nehmen auf“, erklärt Ramacher-Faasen. Es komme zu Konzentrationsstörungen und nicht selten auch dazu, dass die Betroffenen einige Semester länger studieren.
Fachabi und Studium – trotz Lese-Rechtschreibstörung
Doch soweit muss es nicht kommen: Das beweist Till Stallmann, der seit der Schulzeit von der Bochumer Logopädin behandelt wird. Der 21-Jährige hat in diesem Jahr sein Fachabitur im Bereich Informatik gemacht, fängt zum Wintersemester ein Studium der Medientechnik an der Hochschule Düsseldorf an. „Ich hatte schon immer Probleme beim Lesen und Schreiben und habe versucht, das irgendwie zu umgehen“, erzählt Stallmann. In der Grundschule musste er eine Klasse wiederholen, wechselte schließlich die Schule.
„Durch seine Begabung konnte Till viel kompensieren“, erzählt Ramacher-Faasen, die den jungen Mann schon viele Jahre kennt. Im Laufe der Jahre hat Till Stallmann Methoden entwickelt, den Schulalltag auf Umwegen zu meistern: indem er sich Bilder angeschaut hat, statt Texte zu lesen oder aus einzelnen Sätzen des Textes den Kontext erfasst hat. „Mir hat es immer geholfen, die Texte zu hören“, sagt Stallmann.
Studierende mit Lese-Rechtschreibstörung können Unterstützung bekommen
Der 21-Jährige hofft, dass über das Thema Lese-Rechtschreibstörung besser aufgeklärt wird: „Viele kennen das einfach nicht, auch viele Lehrer. Doch es wäre um einiges einfacher, wenn es mehr Hilfe gäbe.“ Im Studium könnte es für Stallmann nun leichter werden: „Hier bekommt man mehr Unterstützung. Ich würde mir wünschen, dass das künftig in der Schule auch passiert“, meint Stallmann.
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Welche Unterstützung das sein kann, erklärt Ramacher-Faasen von der Bochumer HSG: „Es gibt die Möglichkeit, mehr Zeit für die Klausuren zu bekommen oder einen eigenen Raum bis hin zum Vorlesen der Fragestellung.“ Die Studierenden können einen Nachteilsausgleich stellen, wenn ihre Lese-Rechtschreibstörung diagnostiziert ist. Dabei helfen Vertrauenszentren an der Hochschule oder Beauftragte für Studierende mit Behinderung. Wie genau die Unterstützung aussieht, sei ganz individuell. Problematisch sei aber, dass es zu wenig Leute gibt, die die Lese-Rechtschreibstörung bei jungen Erwachsenen diagnostizieren können – weil die Kriterien andere seien als die bei Kindern und Jugendlichen unter 18.
Bochumer Expertin:„Betroffene haben viele Kompetenzen, häufig wird aber nur auf das Defizit geschaut“
Projekt der Hochschule für Gesundheit Bochum
Der Studienbereich Logopädie der Hochschule für Gesundheit Bochum baut derzeit im Rahmen des Projekts „Lesen-Rechtschreiben-Studieren!“ ein Beratungs- und Unterstützungsangebot für Studierende mit (Verdacht auf) eine Lese-Rechtschreibstörung auf.
Damit soll ein chancengleicher Zugang zum Studium ermöglicht und beeinträchtigungsbedingte Erschwernisse im Studienverlauf ausgeglichen werden.
Durch Aufklärung wollen Nicole Ramacher-Faasen und Till Stallmann sensibilisieren. „Betroffene haben viele Kompetenzen, häufig wird aber nur auf das Defizit geschaut.“ Mit einem Projekt an der HSG (s. Infobox) will Ramacher-Faasen Studierenden Chancengleichheit ermöglichen.
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