Essen. . Rund jeder zwölfte Deutsche soll von einer Lese- und Rechtschreibschwäche betroffen sein.Diese Menschen benötigen eine gezielte Förderung.
Was bei den meisten Menschen ganz selbstverständlich erscheint, wenn sie es einmal gelernt haben, ist für Legastheniker harte Arbeit: Lesen und Schreiben. Rund jeder zwölfte Deutsche soll betroffen sein. Mit mangelnder Intelligenz hat die Lese-Rechtschreib-Schwäche nichts zu tun. Besonders wichtig ist eine Förderung in jungen Jahren.
Problem mit vielen Facetten
Obwohl Lese- und Rechtschreibprobleme meist unter dem Begriff Legasthenie zusammengefasst werden, muss man genau differenzieren: Manchen Betroffenen fällt ausschließlich das Lesen schwer, anderen das Schreiben, wieder andere haben in beiden Bereichen Schwierigkeiten. Diese Kinder – und auch Erwachsenen – sind keine Einzelfälle: Von Legasthenie sind laut dem Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie bis zu acht Prozent der Kinder und Erwachsenen betroffen. Unter Dyskalkulie, einer ähnlich gelagerten Rechenschwäche, leiden nach Angaben des Verbands bis zu sieben Prozent der Bevölkerung in Deutschland.
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Mit mangelnder Intelligenz jedoch hat Legasthenie nichts zu tun. Bereits abgegriffen ist der Hinweis, dass bekannte Persönlichkeiten wie Einstein, Kennedy und Hemingway unter der Störung litten. Heute weiß man, dass genetische Dispositionen eine große Rolle spielen: „Betroffene weisen Veränderungen zum Beispiel auf Chromosom 2, 6, 15, oder 18 auf – umgekehrt bekommt allerdings nicht automatisch eine Legasthenie, wer diese Veränderungen hat. Sie erhöhen nur das Risiko“, sagt Professor Gerd Schulte-Körne, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Uniklinikum München.
Die ersten Anzeichen
Wer Lesen und Schreiben lernt, für den sind Buchstaben zunächst bedeutungslose Zeichen – bis er begreift, dass den Zeichen Laute zugeordnet sind und dass daraus Silben und Wörter gebildet werden können. „Diese Fähigkeit ist evolutionsbiologisch betrachtet recht jung“, sagt Schulte-Körne. Das Gehirn muss also darauf trainiert werden, diese Assoziationsleistung zu verinnerlichen.
Während sich bei gesunden Kindern mit der Zeit ein Automatismus einstellt, müssen Kinder mit Legasthenie sich jedes Wort neu erarbeiten. Im Schulalltag macht sich die Störung je nach Form und Ausprägung dadurch bemerkbar, dass die Kinder Probleme haben, beim Lesen einzelne Buchstaben und Lautkombinationen zu entschlüsseln, und dass sie beim Schreiben scheinbar willkürlich Buchstaben vertauschen. „Die gleichen Worte werden auf unterschiedliche Art falsch geschrieben – sie können nicht richtig abgespeichert werden“, sagt Annette Höinghaus, Sprecherin des Bundesverbandes Legasthenie und Dyskalkulie.
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Nicht immer wird eine Legasthenie gleich zu Beginn der Schulzeit entdeckt: Manche Kinder entwickeln gar Strategien, um nicht aufzufallen: „Sie kompensieren die Schwäche, indem sie Wörter und ganze Texte auswendig lernen“, sagt Gerd Schulte-Körne. Bestimmte pädagogische Konzepte tun ihr übriges, Stichwort „lautgetreues Schreiben“: Worte werden dabei nach Gehör geschrieben, Rechtschreibregeln spielen keine Rolle.
So sollen die Kinder schnelle Erfolge erzielen, um dann später behutsam umzulernen. Gerade das bedeute für ein Kind mit Legasthenie aber „unnötige Irritationen“. Besser lernten diese Kinder, wenn ihnen die Sprache logisch und mit klaren Regeln beigebracht werde, sagen Experten.
Fördern statt Fordern
Kinder mit Legasthenie sind von ihren kognitiven Leistungen her durchaus in der Lage, hohe Schulabschlüsse zu schaffen und zu studieren. Theoretisch. Denn praktisch fehle oft die richtige Unterstützung, kritisieren die Experten. „Es scheitert oft nicht einmal am Willen der Lehrer, sondern daran, dass sie mit den Fördermöglichkeiten nicht vertraut sind“, sagt Annette Höinghaus. In Deutschland hat jedes Bundesland seine eigenen Regelungen – in manchen endet die Förderung bereits nach der Grundschule. So sind denn auch typische Begleiterscheinungen einer Legasthenie wie Ängste und Depressionen meist dem hohen Druck und der mangelnden qualifizierten Unterstützung geschuldet.
Was Eltern tun können
Für betroffene Kinder ist es wichtig, dass sie ihr Handicap akzeptieren. Eltern unterstützen dabei, indem sie „vorhandene Kompetenzbereiche stärken, anstatt auf die Defizite zu schauen“, rät Schulte-Körne. Auch sollten sie frühzeitig professionelle Hilfe suchen, so Annette Höinghaus. Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie bietet auf seiner Homepage eine gezielte Therapeutensuche je nach Wohngebiet an. Da die Krankenkasse die Kosten für Lerntherapien nicht trägt, unterstützt der Verband Betroffene auch bei der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten. In Einzelfällen können Eltern auch einen Antrag auf Eingliederungshilfe stellen, etwa wenn die seelische Gesundheit des Kindes gefährdet ist.