Bochum-Langendreer. In einem Praktikum vermessen Zehntklässler der Rudolf-Steiner-Schule Bochum den Volkspark Langendreer. Die Arbeit ist von historischer Bedeutung.

Manch ein Besucher des Volksparks in Bochum-Langendreer mag sich wundern: Jeden Vormittag schwirren zig Jugendliche durch die Anlage, „bewaffnet“ mit allerhand Vermessungstechnik. Es sind Schüler der Rudolf-Steiner-Schule, die hier ihr Praktikum absolvieren. „Leider“, denn eigentlich sollte dies ganz woanders stattfinden.

Waldorfschüler machen den Volkspark in Bochum-Langendreer „unsicher“

„Normalerweise findet dieses 14-tägige Feldmess-Praktikum in Tschechien im Rahmen einer Klassenfahrt statt“, sagt Mathelehrer Martin Wienemann, der das Projekt zusammen mit Ex-Waldorfschüler Tobias Liechti leitet. Doch was ist in Zeiten von Corona schon normal? Wegen der Pandemie wurde der Auslands-Trip abgeblasen, das Praktikum allerdings nicht. Dieses findet nun halt im Volkspark Langendreer statt. Auch eine schöne Ecke.

Im Lehrplan der Waldorfschulen ist in der zehnten Klasse die Trigonometrie angesiedelt und mit ihr auch ihre praktische Anwendung im Feldmesspraktikum. Mit Hilfe verschiedener Messverfahren und Gerätschaften sind die Schülerinnen und Schüler gerade dabei, in kleinen Gruppen den gesamten Volkspark detailliert und genau zu vermessen. Anschließend fertigt jede(r) Jugendliche seine/ihre eigene maßstabsgetreue Karte davon an.

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Bis dahin liegt aber noch einiges an Arbeit vor den Jugendlichen. Zum Beispiel Schleppen. Denn die ganzen Gerätschaften müssen ja irgendwie von der Waldorfschule in den Volkspark gelangen – und wieder zurück. Das übernehmen die Schüler selbst – zu Fuß.

Beim Ausfüllen der Feldmess-Protokolle ist Akribie und Konzentration gefragt.
Beim Ausfüllen der Feldmess-Protokolle ist Akribie und Konzentration gefragt. © Gernot Noelle

In der Parkanlage geht es dann sogleich an die Arbeit. 24 Eckpunkte wurden ausgemacht, an denen die rot-weißen Pinne stehen, die auch die echten Vermessungstechniker verwenden. Fluchtstäbe heißen die. Von jedem dieser Fixpunkte aus werden alle sichtbaren anderen Fluchtstäbe mit einem Theolodit anvisiert. Einer Art Fernrohr auf drei Beinen, von einigen Schülern auch einfach nur „Ding“ genannt.

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Die Koordinaten, die dieses Winkelmessgerät angibt, werden von den Schülern protokolliert. „Die 24 Eckpunkte bilden zusammen ein Vieleck, ein Polygon“, erklärt Martin Wienemann. „Indem wir dieses in Dreiecke zerlegen, können wir das Gelände berechnen und kartieren.“ Mit allen Erhebungen und Höhepunkten, die der Volkspark so bietet: Bänke, Wege, Disc-Golf-Körbe, Tischtennisplatten etc.

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Die Schüler lernen in diesem Praktikum nicht nur das Vermessen. Wichtig ist der Waldorfschule auch die soziale Komponente. Wienemann: „Die Jugendlichen lernen hier Teamfähigkeit und Konflikte in einer Gruppe zu lösen. Da sie in Dreier-Gruppen losziehen, ist es wichtig, sich selbst zurückzustellen und die Gruppe in den Vordergrund zu setzen.“

Schüler bekommen Anschauungsunterricht von echten Vermessern

Wienemanns „Co“ Tobias Liechti hebt die Bedeutung einer präzisen Kommunikation hervor. „Es dürfen keine Zahlendreher passieren, sonst passt die ganze Berechnung am Ende nicht. Man muss also auch Verantwortung übernehmen.“ Damit am Ende eine Karte vom Volkspark auf DIN-A4 angefertigt werden kann.

Umfangreiche Ausrüstung

Die Rudolf-Steiner-Schule in Langendreer verfügt inzwischen über eine umfangreiche Ausrüstung an Vermessungsgeräten; die meisten wurden gespendet, etwa von der Uni und Vermessungsbüros. Ein ganzer Raum ist damit gefüllt. Ein Lehrerkollege kümmert sich um die Wartung.

Die Vermessungsdaten vom Praktikum werden anschließend der Stadt Bochum zur Verfügung gestellt.

Hilfe bekommen die Schüler nicht nur von Lehrer und früheren Schülern, sondern auch von der Stadt. Die schickt nächste Woche Vermessungstechniker in den Volkspark. „Die zeigen dann, wie man heute mit Drohne und GPS Land vermisst“, sagt Martin Wienemann. „Wir machen das dagegen richtig altertümlich.“

Dafür ist das, was die Waldorfschüler vermessen, durchaus als historisch zu bezeichnen. Denn so, wie sie den Volkspark jetzt vorfinden, wird er bald nicht mehr aussehen. Im Rahmen des Stadterneuerungsprogramms „W-LAB“ (Werne und Langendreer/Alter Bahnhof) wird das Areal überarbeitet und auf Vordermann gebracht. Wienemann: „Das ist also die letzte Vermessung im alten Volkspark.“

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