Bochum. Immer mehr Menschen in Bochum mischen sich ein. Der Wunsch nach Bürgerbeteiligung wächst. Dem kann sich die etablierte Politik nicht entziehen.
In zehn Tagen wird gewählt. Etwa 300.000 Bochumerinnen und Bochumer dürfen bei der Wahl zum Stadtrat, zum Ruhrparlament und des Oberbürgermeisters ihr Kreuzchen machen und so über die Geschicke von Stadt und Region mitbestimmen. Immer mehr Menschen reicht das allerdings nicht. Sie wollen sich wirklich an der Politik beteiligen.
Einige Hundert von ihnen sind am Wochenende wieder auf die Straße gegangen – oder besser auf der Straße gefahren. Die Radwende Bochum, ein Bündnis zahlreicher Vereine, Bewegungen und Aktivisten, hatte zu Demo und Kundgebung eingeladen. Vor dem Schauspielhaus hat sie darüber diskutiert, ob sie mehr tun will als zum wiederholten Male auf offener Straße für eine Verkehrswende einzutreten.
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12.000 Unterschriften sind nötig
Sie hat am Mittwoch entschieden, ein Bürgerbegehren anzustrengen. „Ja, wir werden den Prozess einleiten“, bestätigt Radwende-Sprecher Martin Krämer. Noch in diesem Monat soll es bei einem großen Treffen auf den Weg gebracht werden. 12.000 Unterschriften sind nötig, um eine Abstimmung in der Stadt über die Verkehrswende auf den Weg zu bringen. Zwei konkrete Ziele der Radwende sind: Tempo 30 überall dort in der Stadt, wo es keinen Radweg gibt und eine deutliche Ausweitung des städtischen Budgets für Investitionen in den Radverkehr. „Die Zeit drängt. Radfahrer haben lange genug gewartet“, so Anne Koltermann vom Radwende-Bündnis bei der jüngsten Demo.
Tausende Unterschriften gesammelt
Die größte innerstädtische Debatte außerhalb des Rats in den vergangenen Jahren hat der Protest gegen den Bau des Anneliese-Brost-Musikforums ausgelöst. Fast 15.000 Unterschriften wurden 2012 gesammelt.
Am Ende scheiterte der Versuch, das Musikforum zu verhindern. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen erklärte das Bürgerbegehren für nicht zulässig, da Fristen nicht eingehalten worden seien.
Gar 44.000 Unterschriften wurden 1998 gesammelt, um den Abriss des Stadtbads an der Massenbergstraße zu verhindern. Vergeblich. Trotz Denkmalschutzes und einer Förderzusage in Millionenhöhe aus Düsseldorf für die Sanierung wurde das Gebäude im August 1998 dem Erdboden gleichgemacht.
Sie und ihre Mitstreiter sind längst nicht die einzigen, die sich vor Ort engagieren. Flüchtlingsbetreuer, Klimaschützer und nicht zuletzt Menschen, die sich Sorgen um ihren eigenen Sprengel machen, mischen sich immer häufiger ein. In Bochum gibt es längst eine Vielzahl von Gruppierungen und Organisationen. Einige von ihnen sind zusammengeschlossen im Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung. „Zahlreiche Beschlüsse bzw. versäumte Entscheidungen in den zurückliegenden Jahren haben dazu geführt, dass der Wunsch nach mehr Bürgerbeteiligung unüberhörbar geworden ist“, sagt Wolfgang Czapracki-Mohnhaupt vom Netzwerk.
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Gegen Versiegelung von Freiflächen
Als bestes Beispiel für verfehlte Beteiligung führt er den Ratsbeschluss von 2018 zum Wohnbauflächenprogramm an. „Dem ist zu verdanken, dass sich in allen Bochumer Bezirken Initiativen gegründet haben, die mehr Bürgerbeteiligung fordern und sich gegen die weitere Versiegelung von Freiflächen wenden.“ Das Programm sei letztlich auch der Anstoß für den Zusammenschluss zahlreicher Initiativen im Netzwerk gewesen.
Was das heißt, haben etablierte Lokalpolitik und Verwaltung erst unlängst wieder erfahren. Vor Beginn der letzten Ratssitzung vor der Wahl demonstrierten zahlreiche Bewohner der Vogelsiedlung in Grumme gegen den drohenden Abriss und die aus ihrer Sicht verfehlte Geschäftspolitik der zum überwiegenden Teil städtisch kontrollierten Wohnungsgesellschaft VBW.
Etablierte Politik ist alarmiert
Bochum ist zwar nicht auf den Barrikaden, aber immer öfter setzen sich Einwohner öffentlich für ihre Interessen ein – für individuelle ebenso wie für gesellschaftliche.
Das hat mittlerweile auch die etablierte Politik auf den Plan gerufen. Bei der WAZ-Wahlarena zur Oberbürgermeister-Wahl war die Bürgerbeteiligung in aller Munde. Und die OB-Kandidaten räumten mit ihren Forderungen nach mehr Möglichkeiten zur Beteiligung implizit auch Versäumnisse der Politik in der Vergangenheit ein. Die Vorschläge reichten von Bürgerbeiräten über Liveübertragung von den Ratssitzungen bis zu einem Bürgerquorum, also einer notwendigen Mindestanzahl an Stimmen aus der Bürgerschaft.
Der amtierende Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD) führt an, Bochum sei mit seinen Bürgerkonferenzen bereits auf einem guten Weg. Dreimal hatten jeweils einige Hundert Bochumerinnen und Bochumer bereits die Chance, bei den Konferenzen zur Bochum Strategie (2017), zur Quartiersentwicklung (2018) und zur „Mobilität von morgen“ (2019) eigene Vorstellungen und Ideen einzubringen. Danach gab es jeweils geteilte Meinungen: Befürworter loben die Konferenzen als wirksames Mittel der Beteiligung, Kritiker sehen in ihnen lediglich Showveranstaltungen.
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