Bochum. . Das Wohnbauflächenprogramm in Bochum entwickelt sich zum Politikum. Bürger fühlen sich von Politik und Verwaltung übergangen. Sie reagieren.
Noch hängt Bochum hinter seinen ehrgeizigen Zielen zurück, neuen Wohnraum in ausreichender Zahl zu schaffen. Jedes Jahr 800 Einheiten hat sich die Stadt auf die Fahnen geschrieben. Aber zumindest ist seit Donnerstag die Entwicklungsperspektive für Neubaumaßnahmen gesichert. Mit großer Mehrheit hat der Stadtrat den überwiegenden Teil des von der Verwaltung vorgelegten Wohnbauflächenprogramms verabschiedet. Und das sieht Platz für 3800 Wohnungen vor.
SPD, Grüne und CDU auf einer Linie
Zuvor war die Rathaus-Koalition von SPD und Grünen dem Änderungsvorschlag der CDU-Fraktion beigetreten. Demnach sollen 27 der 30 vorgeschlagenen Flächen bebaut werden, von der Röhlinghauser Straße in Hordel bis zur Hattinger Straße in Linden. Der Süden soll möglichst so grün bleiben wie er jetzt ist. Nicht gebaut wird an der Schadowstraße und an der Unterfeldstraße. Im Haarmannsbusch bleibt ein großer Teil der anvisierten Fläche unberührt und nur der Straßenrand mit Ein- oder Zweifamilienhäusern soll bebaut werden.
Allerdings: Freude kam nach der Ratssitzung nur bei der Interessengemeinschaft „Pro Reimerts Feld“ (Schadowstraße) auf. Steinkuhl bekommt kein weiteres Baugebiet. Indes: „Wir haben zwar erreicht, was wir wollten“, so Sprecher Stefan Ernst. Am Grundproblem, dass Bürger nicht gehört würden, ändere das nichts. Nötig sei eine breite Initiative mit lauterer Stimme. Er kündigt an, dass sich die mittlerweile sieben Initiativen demnächst treffen und unter einem Dach bündeln werden.
Anwohner in Stiepel fühlen sich übergangen
Auch in Stiepel wurden Flächen herausgenommen. „Aber warum ausgerechnet ein Hektar am Haarmannsbusch bebaut werden soll, versteht hier keiner“, sagt Anwohner Christian Pieper. „Uns ärgert vor allem, dass unsere Argumente überhaupt nicht gehört und schon im Vorfeld einfach entschieden wurde.“ Arten- und Klimaschutz würden dabei übergangen. Pieper kündigt Widerstand an – auch durch eine Anfrage bei der Kommunalaufsicht.
Lange Gesichter gibt es bei der IG Schulte-Hiltrop-Straße. Sie muss zur Kenntnis nehmen, dass nach jetzigem Stand auf einer drei Hektar großen, landwirtschaftlich genutzten Flächen gebaut werden könnte.
Gefahr für Vögel
„Unser Protest geht weiter“, sagt IG-Sprecher Walter Fischer und verweist auf die Bürgerinformation am 11. Oktober (19 Uhr, Gemeindehaus An der Hiltroper Straße 2a). Eine Bebauung wäre nicht nur fatal, weil dann 25 Vogelarten – von der Schwalbe bis zum Specht – der Lebensraum entzogen werden würde. Auch das Mikroklima werde beeinträchtigt. „Mir könnte das egal sein, ich bin ein alter Mann“, sagt Fischer. „Aber ich mache mir Sorgen um künftige Generationen.“
Er verweist auf das Stadtwerke-Kundenmagazin, in dem Klimaexpertin Antje Kruse vom NRW-Landesumweltamt zitiert wird. Die Städte im Revier seien Hitzeinseln. Das müsse „bei der Städteplanung berücksichtigt werden. Frischluftschneisen, durch die der Wind wehen kann, sind extrem wichtig. Sie sollten möglichst nicht zugebaut werden“.
Versiegelte Flächen neu nutzen
Aber nicht nur ortsansässige Bürger äußern Unmut. FDP/Stadtgestalter und die Soziale Liste hatten einen anderen Umgang mit Freiflächen gefordert. Während die Soziale Liste argumentierte, „nicht auf Kosten von ökologisch wertvollen Flächen“ zu bauen und daher 22 der 30 vorgesehenen Flächen zu streichen, forderten FDP/Stadtgestalter, das gesamte Programm neu auszutarieren. Bereits versiegelte Flächen müssten genutzt und bedarfsgerechter saniert werden – und Bürger früher und besser eingebunden werden, so die Sachkundige Bürgerin Nadja Zein-Draeger von der Bürgerinitiative Werner Feld.
>> „AMPEL“ ZEIGT NUR BEI NEUN FLÄCHEN GRÜN
Nadja Zein-Draeger und die Bürgerinitiative Werner Feld haben eine „Ampel“ zu den im Wohnflächenprogramm vorgestellten Gebieten erstellt.
Sie kommen zu dem Schluss, dass nur neun von 27 beschlossenen Flächen mit insgesamt 28,5 Hektar ein „Grün“ für ihre Unbedenklichkeit erhalten, weil keine Freiflächen verbraucht, das Klima nicht beeinträchtigt wird und Bäume nicht bedroht werden. Alle anderen Flächen seien unter ökologischen und klimatischen Gesichtspunkten bedingt bis gar nicht geeignet.