Bochum. Ein lebensgroßer gestrandeter Wal ist der Hingucker im Museum Bochum. Die Entstehungsgeschichte ist so spektakulär wie die Skulptur selbst.
Überraschende Kunstschauen hat das Museum Bochum schon viele erlebt, so eine aber noch nicht. In der aktuellen Ausstellung „The Cast Whale Project“ ist der Abguss eines 14 Meter großen Buckelwals Dreh- und Angelpunkt. Geschaffen hat ihn der Bildhauer Gil Shachar. Die Entstehungsgeschichte der überaus ungewöhnlichen Skulptur ist genauso ungewöhnlich wie sie selbst.
Inspiration aus dem Unterbewusstsein
Nach jahrelangen Vorarbeiten und der Überwindung vielfältiger Schwierigkeiten zeigt der israelische Bildhauer Gil Shachar, der seit 1996 in Berlin lebt und arbeitet, sein bislang ambitioniertestes Ausstellungsprojekt: Die lebensgroße Abformung eines Wals, der tot an einen Strand in Südafrika angeschwemmt worden war. Shachar erfüllte sich mit „The Cast Whale“ im Wortsinn einen Traum: „Ich hatte von dieser Riesenskulptur, und wie ich sie bearbeite, geträumt“, sagt der 55-jährige.
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Inspiration aus dem Unterbewussten beziehe er oft, „beim Aufwachen ist mir dann meist klar, was funktionieren könnte und was nicht.“ Bei dem „Wal-Traum“ sei er sofort sicher gewesen, „dass ich das machen muss“, sagt Shachar. Obwohl er sich, wie er einräumt, für Wale eigentlich nie sonderlich interessiert habe.
Kontakte zu Künstlern und Meeresbiologen
Das sollte sich ändern, denn fortan recherchierte der Künstler alles, was er über Wale in Erfahrung bringen konnte. Welche Spezies es gibt, wo sie leben, wo es Wal-Experten gibt, die für ihn als Ansprechpartner in Frage kommen. Schließlich kam Shachar in Kontakt mit Meeresbiologen in Südafrika. Ein Revier an der Atlantikküste ist bekannt dafür, dass sich dort ab August Wal-Schulen versammeln. Um einen Abguss zu bekommen, kam der Fang eines Meeressäugers natürlich nicht in Frage. „Ich wusste aber, dass immer wieder Wale stranden, ich hoffte darauf, dass ich dadurch eine Chance bekommen würde“, so der Künstler.
Im Hochsee-Container nach Deutschland
Tatsächlich kam eines Tages die Nachricht, dass in der Lamberts Bay ein 14 Meter langer Buckelwal tot am Strand gefunden worden wäre. Vor Ort nahm Shachar zusammen mit einem Team von südafrikanischen Künstlern und Präparatoren einen ersten Abguss, der später in Epoxydharz gegossen und schwarz gefärbt wurde. Per Hochsee-Container gelangte das so entstandene Kunstwerk nach Deutschland. In Viersen wurde es zwischengelagert.
Von der wurde der „Wal“ nach Bochum verbracht. Museumsdirektor Hans Günter Golinski muss durchatmen, wenn er daran denkt: „Es war ein Kraftakt, die riesige Skulptur transportiert zu bekommen. Das Einpassen durch die Türen in den unteren großen Saal des Museums war Millimeterarbeit.“
Und da liegt er nun also, Gil Shachars „Wal“. Beim Hereintreten in den Raum nimmt man ihn allerdings zunächst gar nicht als solchen wahr. Vielmehr steht man vor einer amorphen, braunen Skulptur, die „alles Mögliche“ sein könnte. Zwar lassen sich dann schnell Wal-artige Assoziationen herstellen, aber es handelt sich hier eben nicht um einen auch farblich „schicken“ Abguss, wie man ihn aus populären Meeresausstellungen kennt.
Effekt der Verfremdung
„Die modellhafte Überhöhung, auch die Verfremdung seines ursprünglichen Gegenstands, bezeugt den künstlerischen Wert dieser Plastik“, so Golinski. Eben das macht den Unterschied aus. Der „Wal“ befindet sich schließlich in einem Kunst- und nicht in einem Naturkundemuseum.
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In der Begegnung mit dem Wal-Kunstwerk eröffnet sich für den unvoreingenommenen Betrachter eine Parallelwelt zur sinnlichen Anschauung, eine Welt, die in jedermanns (Un)bewusstsein eingeprägt ist. Wale tauchen in Kindergeschichten, in der Mythologie, in der Bibel, in Märchen, Fabeln, Literatur. Sie repräsentieren eine enorme Kraft und ein Wunder der Natur mit einer hohen Intelligenz. Wenn auch eine, die auch zum Monster werden kann, wie im Roman „Moby Dick“.
Gefährdung der Spezies durch den Menschen
Aber die Begegnung mit der massiven Skulptur ruft auch Gefühle der Melancholie und Trauer hervor, denn wir wissen, dass Wale wegen der Eingriffe des Menschen eine Spezies sind, die bald verschwinden könnte.
Und was ist aus dem gestrandeten Wal in der Lamberts Bay geworden? Gil Shachar weiß es: „Er lag noch einige Tage am Strand, dann hat die Flut ihn zurück ins Meer getragen.“
>>> Info und Öffnungszeiten
Der Besuch der Ausstellung (bis 25. Oktober) ist ab Sonntag, 26. Juli, im Kunstmuseum, Kortumstraße 147, möglich. Wegen der Corona-Abstandsregeln wird auf eine Vernissage verzichtet.
„The Cast Whale Projekt“ kann von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr unter Einhaltung der Hygieneregelungen besucht werden. Im Museum herrscht Maskenpflicht.
Bis auf weiteres wird im Kunstmuseum kein Eintritt erhoben.