Bochum. Jürgen Widder aus Bochum war Anwalt bei hunderten Scheidungen. Die größten Fehler, die Paare machen können und was ihn immer noch überrascht.

Jürgen Widder ist seit 37 Jahren Anwalt. 1999 hat er sich auf Familienrecht spezialisiert. Pro Jahr behandelt er in einer Bochumer Kanzlei schätzungsweise 300 Fälle. Im Interview mit Redakteurin Carolin Rau verrät er, welche Gründe die Menschen haben, wenn sie sich scheiden lassen und warum es immer wieder zu unschönen Situationen kommt, unter denen vor allem die Kinder leiden.

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Herr Widder, was für Menschen sind das, die zu Ihnen kommen und die Scheidung wollen?

Ich habe den Eindruck, dass Frauen viel konsequenter sind und deshalb häufiger die Scheidung einleiten. Männer sind da beständiger und bleiben eher in einer Beziehung, weil sie sich denken: „Solange ich regelmäßig Essen auf dem Tisch stehen habe und meine Hemden gebügelt sind – so what“. Auch wenn das nach Vorurteilen klingt, diese Tendenz stimmt.

Wie lange sind die Menschen verheiratet, wenn sie sich für die Trennung entscheiden?

Die Spannbreite ist groß. Das zeigen auch die Statistiken. Die meisten Scheidungen gibt es zwischen dem fünften und achten Ehejahr, danach nimmt die Zahl ab. Die Erfahrung mache ich auch. Es gab aber auch Paare, die nach drei oder vier Monaten die Trennung wollten, weil sie es überstürzt haben oder bemerkten, dass der andere nicht der Richtige ist. Ein Ehepaar hingegen hat sich nach ganzen 55 Jahren Ehe scheiden lassen. Da waren deren Kinder tatsächlich älter als ich selbst.

Vor Jahren saß ich mit einem Kollegen in der Kantine und er sagte: „Wir werden nicht jünger. Das merkst du daran, wenn Mandaten zu dir kommen, die sagen, dass du die eigenen Eltern schon geschieden hast“. Drei Tage später, und das stimmt wirklich, kam eine Frau zu mir, die sagte: „Sie haben meine Eltern schon geschieden.“ Im Alltag erlebt Scheidungsanwalt Jürgen Widder auch Dinge, die ihn zum Schmunzeln bringen.
Vor Jahren saß ich mit einem Kollegen in der Kantine und er sagte: „Wir werden nicht jünger. Das merkst du daran, wenn Mandaten zu dir kommen, die sagen, dass du die eigenen Eltern schon geschieden hast“. Drei Tage später, und das stimmt wirklich, kam eine Frau zu mir, die sagte: „Sie haben meine Eltern schon geschieden.“ Im Alltag erlebt Scheidungsanwalt Jürgen Widder auch Dinge, die ihn zum Schmunzeln bringen. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Nach einer so langen Zeit sollte man doch meinen, dass sich die Paare kennen und Probleme und Scheidungsabsichten schon viel früher hätten auftreten müssen. Was waren die Beweggründe?

Nachgeforscht habe ich das nicht. Mein Mandant war Mitte 80. Die Gründe für die Trennung werden nicht von heute auf morgen aufgekommen sein. Ich habe mich auch gefragt, ob es nach einer gewissen Anzahl an Ehejahr nicht Gründe oder Vorgaben gibt, die gegen eine Scheidung sprechen. Die Gerichte setzen da aber keine zeitliche Obergrenze.

Unabhängig davon: Wie gehen Sie vor, wenn ein Ehepaar zu Ihnen kommt und die Scheidung will?

Wir setzen uns zusammen zu einem persönlichen Anfangsgespräch, das finde ich ganz wichtig, um Vertrauen aufzubauen. Dann verschaffe ich mir einen Überblick: Lebt das Paar schon getrennt? Gibt es Kinder? Welche Personen sind involviert? Es kommt durchaus vor, dass die Verhältnisse klar sind und viel geregelt ist. Es sind schon Ehepaare zusammen zu mir gekommen und wollten mich gemeinsam beauftragen. Das geht aber nicht – ich kann im Gerichtssaal nicht von der Bank des einen Ehegatten auf die Gegenseite wechseln und umgekehrt. Außerdem ist es für alle Anwälte berufliche Pflicht, nur die Interessen einer Partei zu vertreten. Mich kann nur ein Ehepartner beauftragen. Vor dem Familiengericht reicht es aber aus, wenn nur einer der beiden Partner einen Anwalt hat.

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So harmonisch läuft es aber leider nicht immer. Mit welchen Problemen kommen die Menschen zu Ihnen?

Es geht um Unterhalt, einen Vater der den Kindesunterhalt nicht zahlt, Auseinandersetzungen mit dem Jugendamt und natürlich auch um die Scheidung selbst. Obwohl die an sich nicht das Problem ist. Im Prinzip ist eine Scheidung ja nicht mehr als der Richterspruch, dass die Ehe jetzt beendet ist. Drumherum gibt es aber viele andere Sachen: Wo sollen die Kinder eingeschult werden? Welche Regelung gibt es für die Ferien? Wer bekommt das Auto? Es kommt vor, dass pro Fall manchmal fünf oder mehr streitige Aspekte aufkommen.

Wieso haben Sie sich entschieden, sich mit diesen Fällen zu beschäftigen, sich also auf Familienrecht zu spezialisieren?

Ich glaube, dass das eher Zufall war. Anfänglich hatte ich häufig Fälle, in denen es um das Familienrecht ging. Das ist ein sehr persönlicher Bereich. Es geht nicht nur darum, wie bei einem Autounfall um viel oder weniger Geld zu kämpfen. Ich kann zur Bewältigung und Lösung einer Krise, manchmal auch Lebenskrise, meiner Mandantin oder meines Mandanten beitragen und für die Zukunft etwas bewirken. Das ist ein großer Antrieb.

Gleichzeitig klingt das aber auch anstrengend.

Ja das ist es. Manchmal bin ich auch Psychologe, manchmal Pastor, sag ich mal. Die Aufgaben sind vielfältig und anspruchsvoll. Die Perspektive meiner Arbeit ist sehr eng am Menschen, darf aber auch nicht zu eng sein. Ich bin nicht der Freund, sondern der Anwalt meines Mandanten und muss professionellen Abstand wahren, um fachlich richtig beurteilen zu können. Meine Aufgabe ist es nicht, dem Mandanten oder der Mandantin immer Recht zu geben, sondern realistisch zu sein.

„Heute ist es leichter, sich scheiden zu lassen. Früher, das habe ich in meiner Kindheit vor Jahrzehnten selbst erlebt, war es ein sozialer Makel“, sagt Scheidungsanwalt Jürgen Widder aus Bochum im Interview.
„Heute ist es leichter, sich scheiden zu lassen. Früher, das habe ich in meiner Kindheit vor Jahrzehnten selbst erlebt, war es ein sozialer Makel“, sagt Scheidungsanwalt Jürgen Widder aus Bochum im Interview. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Die Scheidungsquote in Deutschland lag laut dem Statistischen Bundesamt zwischen 1960 bis 2018 im Schnitt bei über 30 Prozent. Insgesamt ist die Zahl seit 2005 rückläufig, trotzdem lassen sich deutlich mehr Paare scheiden als noch vor 50 Jahren. Woran liegt das?

Heute ist es leichter, sich scheiden zu lassen. Früher, das habe ich in meiner Kindheit vor Jahrzehnten selbst erlebt, war es ein sozialer Makel. Das hat sich geändert. Manchmal ist es auch der bessere Schritt sich scheiden zu lassen, übrigens auch für die Kinder, die sehr unter Spannungen in der Beziehung ihrer Eltern leiden. Andererseits kann eine Scheidung aber auch überstürzt sein, weil Paare weniger um ihre Beziehung kämpfen.

Paare müssen mindestens ein Jahr voneinander getrennt leben, um die Scheidung einzureichen. Wie bewerten Sie das?

Der Ehegrundsatz impliziert, dass diese für immer sein soll. Paare sollten sich Zeit nehmen, Entscheidungen zu überdenken. Wenn zwei Erwachsene sich aber einig sind und das überzeugend zeigen können, dann fände ich es vertretbar, dass eine Scheidung auch nach kürzerer Zeit möglich ist.

Ihr Arbeitsalltag ist häufig sehr ernst. Aber es gibt bestimmt auch amüsante Momente.

Vor Jahren saß ich mit einem Kollegen in der Kantine und er sagte: „Wir werden nicht jünger. Das merkst du daran, wenn Mandaten zu dir kommen, die sagen, dass du die eigenen Eltern schon geschieden hast“. Drei Tage später, und das stimmt wirklich, kam eine Frau zu mir, die sagte: „Sie haben meine Eltern schon geschieden.“ Tatsächlich kommt es auch vor, dass Leute zweimal zu mir kommen, weil sie sich scheiden lassen wollen.

Aber dann nicht von derselben Person, oder?

Nein, das hatte ich noch nicht. Aber man erkennt Muster. Ich hatte mal einen Mandaten, der mich fragte, ob ich mich noch an ihn erinnere, weil er vor zwölf Jahren schon einmal bei mir war. Immer wieder mache ich die Erfahrung, dass die Menschen ihrem Typ treu bleiben und frage mich auch: „Wie konntest du denselben Fehler denn zweimal machen?“

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