Bochum. . Der Konkurrenzkampf unter Rechtsanwälten in Bochum wird immer härter. Das geht aus einem Interview hervor, das die WAZ mit dem Vorsitzenden des Anwaltvereins, Jürgen Widder, geführt hat.

Vor wenigen Tagen wurden zwei Ex-Anwälte und -Notare zu Haftstrafen verurteilt, weil sie sich Mandantengelder ergaunert hatten. Tatmotiv: Sie wollten ihre marode Kanzlei retten. Dass Anwälte deshalb straffällig werden, ist zwar ein extremer Einzelfall. Doch die WAZ nimmt das zum Anlass, den Vorsitzenden des Bochumer Anwalt- und Notarvereins, Jürgen Widder, zu den wirtschaftlichen Verhältnisse der Anwälte in Bochum zu befragen.

WAZ: Würden Sie heute einem Jura-Studenten raten, Anwalt zu werden?

Widder: Ja…der Weg sollte aber nicht begründet sein damit, dass Alternativen leider nicht erlangt werden konnten. Die Berufsauswahl sollte die erste Wahl sein.

Wie hat sich die Anzahl der Anwälte in Bochum entwickelt?

2011 gab es 860 zugelassene Anwältinnen und Anwälte. Aus den bundesweiten Zahlen kann man erkennen, dass sich alle 13 bis 15 Jahre die Zulassungszahlen verdoppelt haben. Bochum dürfte in etwa dem bundesweiten Trend folgen.

Was verdient ein Rechtsanwalt im Durchschnitt vor Steuern?

Dazu nehme ich eine bundesweite Statistik zur Hand: In der Gründungsphase macht eine Einzelkanzlei einen durchschnittlichen Jahresumsatz von 45 000 Euro. In Bürogemeinschaften sind es 25 000 Euro pro Anwalt, in Sozietäten 90 000 Euro pro Anwalt. In der Konsolidierungsphase - etwa nach drei Jahren - setzt ein Anwalt in einer Einzelkanzlei rund 75 000 Euro um, in Bürogemeinschaften 60 000 Euro, in Sozietäten 140 000 Euro. Bei einem durchschnittlichen Kostenanteil von 50 bis 60 Prozent bleibt weniger als die Hälfte als Gewinn - vor Steuern und eigener Krankenversicherung und Altersversorgung, bei vollem Risiko der Selbstständigkeit. Für den Berufsanfänger kann dies bedeuten, dass er in den ersten Jahren von der Hand in den Mund lebt. Energie und Durchhaltwillen sind also gute Tugenden für Junganwälte.

Und wie sieht es bei den angestellten Anwälten aus?

Dabei gibt es Ausreißer nach oben hin: Internationale Spitzenkanzleien zahlen auch Berufseinsteigern Spitzengehälter bis zu 100 000 Euro brutto. Dafür wird aber auch ein extrem überdurchschnittlicher zeitlicher Einsatz erwartet. Der Zugang zu solchen Kanzleien steht aber nur wenigen Spitzenjuristen offen.

Wie entwickeln sich die Gehälter im anwaltlichen Bereich?

Nach den bundesweiten Statistiken ist der Trend allgemein wohl so, dass die Einkünfte allgemein stagnieren bzw. zurückgehen.

Was sind die Ursachen dafür?

Seit 18 Jahren sind die Anwaltsgebühren, die bundesweit bindend festgelegt sind, nicht mehr angepasst worden. Dass die Löhne und Gehälter der Angestellten in den Kanzleien und die Lebenshaltungskosten seitdem gestiegen sind, liegt auf der Hand. Die Berufsverbände fordern nun vom Gesetzgeber eine längst überfällige Anpassung.

Welche Anwälte sind wirtschaftlich besonders gefährdet?

Junge Anwältinnen und Anwälte, die am Beginn der beruflichen Laufbahn scheitern, verschwinden vom Markt, sie wandern in andere Berufe ab. Nach unserer Betrachtung trifft das Schicksal dann eher etablierte Kollegen, die möglicherweise ihre eigenen Ansprüche nicht an die Kanzleiumsätze angepasst haben.

Sind die Sitten im Konkurrenzkampf rauer geworden?

Nicht nach eigener Wahrnehmung. Zu beobachten ist aber, dass die Einstellungsbedingungen für junge Kolleginnen und Kollegen manchmal schlecht bis miserabel sind. Einstiegsgehälter auf dem Niveau der Referendarvergütung sind besonders negative Beispiele. Allerdings müssen sich die Anbieter solcher Rahmenbedingungen mitunter von der Rechtskammer fragen lassen, ob sie noch auf dem Boden des anwaltlichen Berufsrechts stehen.

Was sind die Haupttugenden eines guten und wirtschaftlich soliden Anwalts?

Zuverlässigkeit, fachlich kompetente Beratung und Vertretung und das Engagement für den Mandanten. Der Anwalt ist aber regelmäßig auch Unternehmer. Dazu gehört, dass er Akquise betreibt, den Markt beobachtet, sich anpasst. Er ist auch häufig Arbeitgeber, der seinen Bürobetrieb zu führen hat. Das alles muss er unter einen Hut bringen und wirtschaftlich passend halten.

Gibt es Anwälte in Bochum, die auch richtig Kohle machen?

Sicher – aber sie sagen es zumeist nicht.