Bochum. Vom Coronavirus schwer ausgebremst wurde das Theater. Bis mindestens zum 19. April fällt alles aus. Was danach passiert, steht in den Sternen.

„Erst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu.“ Dieser schöne Satz des Essener Fußball-Philosophen Jürgen Wegmann beschreibt die derzeitige Lage am Schauspielhaus ganz treffend. Denn das zweite Jahr der Intendanz von Johan Simons läuft wie verhext: Erst herrscht beim großen Wasserschaden kurz vor Weihnachten „Land unter“, die große Bühne konnte lange nicht bespielt werden. Dann legt nur wenige Wochen später das Coronavirus gleich den kompletten Spielbetrieb lahm. Bis mindestens zum 19. April fallen sämtliche Vorstellungen aus. Ob es danach weitergeht, weiß noch niemand.

Wie ist die Stimmung im Haus?

Verhalten. Natürlich sieht jeder ein, dass eine Zwangsschließung des Theaters angesichts der derzeitigen Situation nicht zu ändern ist. „Die Stimmung ist nachdenklich, denn mit einer solchen Ungewissheit konfrontiert waren wir noch nie“, sagt Chefdramaturg Vasco Boenisch. „Mit angezogener Handbremse überlegen wir jetzt, wie es weitergeht.“ Beim Gang durch die leeren Flure des Theaters denkt der kaufmännische Direktor Matthias Nowicki gerade oft daran, was in dieser Spielzeit alles schief gelaufen ist. „Eigentlich kann das alles gar nicht wahr sein“, meint er. „Dabei hatten wir gerade einen Lauf, die zweite Spielzeit von Johan Simons hier am Haus war die beste seit etwa 20 Jahren.“ Vom Nestroy-Preis über den Iffland-Ring bis zur Einladung zum Berliner Theatertreffen: Das Theater wurde mit Preisen überhäuft. „Auch das Publikum hat jetzt richtig gut mitgezogen, Stücke wie ,Hamlet‘ und auch der knapp vierstündige ,Iwanow‘ waren oft ausverkauft.“

Was machen die Schauspieler?

Das Ensemble überbrückt die spielfreie Zeit im Home-Office, wie ein schöner Videoblog des Schauspielhauses eindrucksvoll belegt, der zweimal täglich aktualisiert wird. „Natürlich vermissen sie die Bühne und harren jetzt der Dinge, die kommen“, so Boenisch. Intendant Johan Simons sei teilweise bei seiner Familie in Holland, nehme aber auch Termine im Haus wahr. Komplett leer ist das Theater nicht: „Aus der Verwaltung ist jeden Tag jemand da, damit der Betrieb weiter läuft“, sagt der kaufmännische Direktor Matthias Nowicki. In den Dienstplänen seien Gruppen gebildet worden, die tageweise arbeiten, damit sich die Mitarbeiter nicht häufiger als eben nötig begegnen.

Was wird aus „Herbert“?

Mit großer Spannung erwartet wird die Premiere des Liederabend „Herbert“ mit Songs von Herbert Grönemeyer, der ursprünglich am 21. März über die Bühne gehen sollte. Eine Woche vor der Premiere mussten die Proben abgebrochen werden, somit sei die Inszenierung von Regisseur Herbert Fritsch noch nicht spielbar. „Das ist eine komplexe Produktion mit 15 Darstellern. Da ist die letzte Probenwoche immer die entscheidende“, sagt Boenisch. Jetzt sei alles auf Pause gedrückt. Ob „Herbert“ noch in dieser Spielzeit oder womöglich erst in der nächsten gezeigt werden kann, sei unklar: „Fritsch und auch Herbert Grönemeyer wollen aber unbedingt weitermachen.“ Doch ob ein vielbeschäftigter Regisseur wie Herbert Fritsch dafür in der nächsten Spielzeit überhaupt Zeit hat? Vasco Boenisch glaubt das schon: „Auch an anderen Theatern wird es viele Verschiebungen geben, nicht nur bei uns.“

Was wird aus den weiteren Premieren?

Ähnlich wie bei „Herbert“ liegen auch die anderen Proben auf Eis. Dies betrifft neben dem Kindertheaterstück „Der unsichtbare Mann“ vor allem den „King Lear“, der von Johan Simons eingerichtet wird. Auch wenn der Spielbetrieb am 20. April wieder aufgenommen werde würde, sei die Premiere am 25. April nicht zu halten. „Die Proben hatten gerade erst begonnen, als wir abbrechen mussten“, sagt Boenisch. Schneller könnte „Woyzeck“ (7. Mai) aufgeführt werden, denn die Inszenierung ist als Koproduktion mit dem Wiener Burgtheater längst fertig. Besonders hart vom Coronavirus getroffen wurden die Schauspielschüler: Ihre Aufführung „Die Vereinigten Staaten von Amerika gegen Herbert Nolan“ in der Zeche Eins wurde am Tag der Premiere abgesagt. „Es ist unser erklärtes Ziel, alles zeigen zu wollen“, sagt Vasco Boenisch. „Was wir nachholen können, werden wir versuchen. Aber momentan gleicht das alles einem Blick in die Glaskugel.“

Gibt es auch am Schauspielhaus Kurzarbeit?

Nein. „Der Tarifvertrag im öffentlichen Dienst sieht das nicht vor“, sagt Nowicki. „Das betrifft nicht nur uns, sondern die komplette Stadtverwaltung.“ Verglichen mit anderen freien Künstlern und Off-Theatern gehe es dem Schauspielhaus also weiterhin vergleichsweise gut.

Wird ab 20. April wieder gespielt?

So richtig weiß das noch niemand. Das wird wohl erst im April von der Stadt und der Bezirksregierung entschieden. Eine Verlängerung der Zwangspause bis in den Mai oder womöglich bis zu Beginn der kommenden Spielzeit scheint durchaus möglich. Am Schauspielhaus werden verschiedene Szenarien durchgespielt. Eine davon: Wie könnte im Theatersaal ein Abstand von zwei Metern zum Nachbarsitz gewährleistet werden? „Die Mitarbeiter der Theaterkasse haben das mit dem Zollstock ausgemessen“, erzählt Nowicki. „Da müssten zu allen Seiten vorne, hinten und seitlich jeweils Sitze frei bleiben. Das geht! Einen solchen Saalplan habe ich vorher noch nie gesehen.“