Bochum-Südwest. Mitglieder der Bezirksvertretung Bochum-Südwest nehmen sich Bürgerinitiativen zur Brust. Die hatten zuvor den Bezirksbürgermeister angegriffen.
So eine Sitzung haben die Lokalpolitiker der Bezirksvertretung Bochum-Südwest wohl noch nie erlebt. Weder in so kleiner Runde (wegen Corona) noch mit einem so emotionalen Ende. Kurz vor Eintritt in den nicht-öffentlichen Teil der Sitzung ließen die Lokalpolitiker mal so richtig Luft ab. Ausgeteilt wurde gegen die drei Bürgerinitiativen, die im Vorfeld der Bezirksvertretung Bezirksbürgermeister Marc Gräf (SPD) heftig angegangen waren.
Bochumer Lokalpolitiker wehren sich gegen Angriffe von Bürgerinitiativen
Gräf merkt man schon während der gut zweieinhalbstündigen Sitzung immer wieder an, dass es in ihm brodelt. Am Ende dann spricht er Klartext: Er beklagt sich über eine „öffentliche Diffamierung“ und „viele Unwahrheiten“, die verbreitet worden seien. Dann wird er emotional: „Als nächstes habe ich wieder Gift im Garten und meine Kinder werden bedroht.“
Linken-Politiker stimmt aus Versehen für Edeka-Neubau
Neben den umstrittenen Plänen für das Neubaugebiet an der Schloßstraße und den Edeka-Neubau in Weitmar-Mark wurde auch das Neubaugebiet an der Lewackerstraße am früheren Standort der Schule diskutiert. Alle drei Tagesordnungspunkte wurden von der Bezirksvertretung Südwest einstimmig beschlossen.
Sogar der Edeka-Neubau, was selbst Bezirksbürgermeister Marc Gräf überraschte. Hatte doch Wahed Tofik von den Linken vorher einen (letztlich mehrheitlich abgelehnten) Antrag auf Verschieben dieses Tagesordnungspunktes gestellt – ganz im Sinne der Bürgerinitiativen. Bei der Abstimmung hatte er dann versehentlich auch mit „Ja“ votiert. Als er später seinen Fehler rückgängig machen wollten, war es schon zu spät.
Weitere Berichte mit Inhalten zu den einzelnen Beschlüssen der Bezirksvertretung finden Sie in den nächsten Tagen in Ihrer Stadtteilausgabe.
Eine Anspielung auf die Zeit der „Flüchtlings-Krise“ vor ein paar Jahren. Damals war der Garten von Marc Gräf mit Unkrautvernichter zerstört worden. Auch Hass-Mails erreichten ihn in jenen Tagen, die die Flüchtlingspolitik des Bezirksbürgermeisters und seiner Partei anprangerten. „Ein Scheißgefühl“, sagte Gräf damals im Gespräch mit der WAZ.
Und ähnlich dürfte ihm in den letzten Tagen wieder zumute gewesen sein, als er sich erneuten Anfeindungen ausgesetzt sah. Zwei Bürgerinitiativen warfen ihm im Hinblick auf die Sicherheitsvorkehrungen vor, bewusst das Publikum bei wichtigen Entscheidungen außen vor lassen und „seinen Stiefel durchziehen“ zu wollen.
Auch interessant
Hintergrund: Wegen des Coronavirus und der damit verbundenen Infektionsgefahr ist entschieden worden, pro Fraktion nur einen Vertreter in die Bezirksvertretungssitzung zu entsenden. Auch der Publikumsbereich wurde ausgedünnt. Es war nur Platz für sechs Bürger, um den Sicherheitsabstand von zwei Metern gewähren zu können. Interessant: Obwohl der Aufschrei der Bürgerinitiativen vorher so groß war, man fühle sich ausgegrenzt, fanden sich letztlich nur vier (!) Interessierte im Amtshaus Weitmar ein.
Heftige Angriffe von mehreren Bürgerinitiativen
Kritik kam im Vorfeld zunächst von der Bürgergemeinschaft Weitmar-Mark-Stiepel (in Person von Sprecher Olaf Ring), die nach wie vor sehr daran interessiert ist, den Edeka-Neubau an der Karl-Friedrich-Straße zu stoppen. Ein Thema, das jetzt auf der Tagesordnung stand. Das Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung stimmte in Person von Sprecher Wolfgang Czapracki-Mohnhaupt mit ein: Die „Entscheidungen in derartigen Notstands-Gremien seien undemokratisch“. Auch liefen die „Verantwortlichen so Gefahr, sich dem Vorwurf auszusetzen, eine ,Notlage’ ausgenutzt zu haben, um umstrittene Vorhaben nahezu ohne Öffentlichkeit entschieden zu haben“.
Am Mittwochnachmittag reiht sich laut Gräf noch ein Mitglied der Bürgerinitiative Bahnhof Weitmar in die Kritiker-Schar ein und verteilt im Amtshaus Flugblätter, die sich gegen die geplante Bebauung an der Schloßstraße – ebenfalls ein Tagesordnungspunkt – richten. „Das Bebauungsplan-Gebiet soll erweitert werden, damit auf Wunsch des Investors ein Wohnturm gebaut werden kann“, steht auf einem der Zettel. Und klein darunter: „...aber das ist ja eine der leichteren Übungen, nicht wahr, Herr Bezirksbürgermeister?“
Auch interessant
All die Vorwürfe und Unterstellungen weist Marc Gräf am Ende dieser Sitzung nochmals entschieden zurück. „Unser gemeinsames Bestreben war und ist es, diese politischen Sitzungen fortzuführen. Um den Bürgern zu zeigen, dass unsere Kommune auch in schwierigen Zeiten funktioniert.“ Man sei immer im Dialog mit den Bürgerinitiativen gewesen. „Aber entschieden wird in diesem Gremium!“
Regelrecht auf der Palme ist Stefan Mull, Mitglied der Fraktion Freie Bürger: „Das sind Spinner, die die Stimmung aufheizen. Man muss ernsthaft überlegen, ob man dagegen nicht strafrechtlich vorgeht.“ Die Arbeit des Bezirksbürgermeisters und der Bezirksvertretung lobt Mull ausdrücklich: „Der Herr Gräf entscheidet immer für die Sache. Und wir sind hier ein wirklich gutes Gremium, das sachlich und mit viel Respekt zusammenarbeitet.“
Auch interessant
So sehen es auch Monika Engel von den Grünen, die sich jedoch weiter einen Dialog mit den Bürgerinitiativen wünscht, und Brigitte Kirchhoff von der SPD, die „diese Form der Hetze“ anprangert. „So darf man nicht mit unserem Bezirksbürgermeister umgehen.“
Weitere Nachrichten aus Bochum finden Sie hier.