Bochum. Polizei erkennt in Bochum aktuell keinen Brennpunkt für antisemitische Gewalt. Straftaten werden jedoch konsequent und unverzüglich verfolgt.

Der Angriff auf eine Synagoge in Halle an der Saale von Anfang Oktober löste in Bochum eine Welle der Solidarität mit der jüdischen Gemeinde aus. Hunderte Bochumer kamen zur Synagoge, bildeten einen Ring – ein symbolischer, ein menschlicher Schutzwall. Doch nicht nur das. Die Polizei verstärkte ihre Sicherungsmaßnahmen. Mit Maschinenpistolen bewaffnete Beamte halten Wache. Viele Bochumer fragen sich: Wie groß ist die Gefahr rechter Gewalt in unserer Stadt tatsächlich? Gibt es eine Zunahme von offen geäußertem antisemitischem Hass? Die WAZ schaut hinter die gefühlte, die subjektive Wahrnehmung. Versucht zu klären, ob die ganz offensichtlich gestiegene Sensibilität, die erhöhte Wachsamkeit sich widerspiegelt in gestiegenen Fallzahlen antisemitischer oder rechter Straftaten.

Staatsschutz arbeitet gern in Ruhe

Die Abteilung Staatsschutz der Bochumer Polizei arbeitet gern ein wenig außerhalb der Öffentlichkeit. Nicht, weil sie etwas zu verbergen hätte. Vielmehr ist es so, dass die Beamten genau diese Ruhe und eine gewisse Anonymität benötigen, um ihren Job gut zu machen. Das ist der Grund, warum sich Kriminaloberrat Ralf Wiehe, Leiter der Abteilung, nicht so gerne fotografieren lässt. Doch seine Analyse ist deutlich: „Ich kann für Bochum keinen Brennpunkt einer gewaltbereiten antisemitischen Szene erkennen. Das geben unsere Zahlen und Erkenntnisse nicht her.“

Hunderte Menschen bekundeten Anfang November ihre Solidarität mit der jüdischen Gemeinde..
Hunderte Menschen bekundeten Anfang November ihre Solidarität mit der jüdischen Gemeinde.. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Wiehe ist ein ruhiger, besonnener Mann. Er hat zum Gespräch Computerausdrucke mitgebracht, lange Listen, in die wir aber nicht hineinschauen dürfen. Die Statistik sagt: Im Jahr 2018 wurden im Bereich der Kreispolizeibehörde Bochum, wozu die Städte Bochum, Herne und Witten gehören, 13 Fälle rechter politisch motivierter Gewalt registriert. Es waren schon mal mehr. 2017 gab es zwar nur sieben Fälle, in den beiden Jahren davor, 16 bzw. 24. Gestiegen ist die Aufklärung, sie lag 2018 bei 69 Prozent, 2016 waren es gerade einmal 56 Prozent.

Rechte Straftaten werden konsequent verfolgt

Dabei machen bei der Gesamtzahl aller politisch motivierter Straftaten die Fälle mit rechtem Hintergrund etwa zwei Drittel aus. Sie lag für den Bereich des Polizeipräsidiums im Jahr 2018 bei insgesamt 275 solcher Delikte, davon 189 mit rechtem Hintergrund. Wobei bereits provokante Äußerungen oder Hasspostings mit einbezogen worden sind.

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Ralf Wiehe wird energisch, wenn er hört, die Polizei verfolge bestimmte Fälle gar nicht, sei gar nicht hartnäckig genug, wenn es um solche Taten gehe. „Wir sind weder auf dem rechten, noch auf dem linken Auge blind“, tritt er einem weit verbreiteten Vorurteil entgegen. Vielmehr sei die Arbeit überwiegend aufwändig.

Im Sommer sprühten Unbekannte antisemitische Sprüche auf eine Fernwärmeleitung der Stadtwerke. Das Unternehmen ließ die Schmierereien unverzüglich entfernen
Im Sommer sprühten Unbekannte antisemitische Sprüche auf eine Fernwärmeleitung der Stadtwerke. Das Unternehmen ließ die Schmierereien unverzüglich entfernen © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Die „Waffen“ des Strafgesetzes

Wenn es um die Strafbarkeit geht, spielen immer wieder die Paragrafen 86, 86a und 130 des Strafgesetzbuches eine zentrale Rolle. Sie sind die Waffe, wenn man so will, die den Ermittlern zu Verfügung steht, eine durchaus scharfe Waffe. Der Paragraf 86 kümmert sich um Verbreitung von Propagandamitteln verfassungsfeindlicher Organisationen, insbesondere solche, die in der Nähe des Nationalsozialismus stehen. Der 86a stellt die Verwendung von Kennzeichen ebensolcher Organisationen unter Strafe und der 130er ist der sogenannte Volksverhetzungs-Paragraf. Immer, wenn es Grenzfälle gibt, schließt sich die Polizei mit der Staatswaltschaft kurz. Dort sitzen Fachleute, die die aktuelle Rechtsprechung auf dem Schirm haben.

Immer wieder kam es zu rechter Kriminalität

In der Vergangenheit ist es in Bochum mehrfach zu antisemitisch motivierten Straftaten und Delikten gekommen. So beschmierten Unbekannte im November 2010 unter anderem die Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Wattenscheid mit Nazi-Symbolen, darunter Hakenkreuze und SS-Runen.

Immer wieder gab es auch Gewaltakte. So eskalierte 2011 eine Auseinandersetzung zwischen linken und rechten Aktivisten. In diesem Zusammenhang wurden auch Brandsätze in Briefkästen gesteckt.

Zu Auseinandersetzungen und großen Demos kam es auch 2010 und 2011, als sich zwei bekannte Dortmunder Rechtsextremisten in Langendreer niederließen.

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Insbesondere die NPD versuche, auch in Bochum immer wieder diese Grenze auszuloten. Ganz bewusst spiele sie mit Begriffen und Bildern, um zu provozieren. Zuletzt bei der Europawahl ließen die Gerichte etliche dieser geschmacklosen Plakate prüfen. Wer bei der Arbeit von Staatsschutzbeamten, an Männer mit Schlapphüten und Trenchcoats denkt, oder Undercover-Agenten, die sich in die Szene eingeschleust haben, blendet 90 Prozent der Wirklichkeit aus. Ralf Wiehe gibt ein Beispiel aus seinem Alltag. Wenn etwa in einem Sozialen Netzwerk volksverhetzende Inhalte verbreitet werden, ist jedes einzelne Mitglied einer solchen geschlossenen Gruppe mit vielleicht hunderten Mitgliedern ein Tatverdächtiger. „Wir müssen das in jedem Einzelfall prüfen.“ Darüber hinaus macht er ganz klar: „Wir verfolgen jeden Fall unverzüglich.“

Gefälschter Ordnungsamtsbrief

Apropos Anzeige: Die in den letzten Tagen in den Umlauf gebrachten gefälschten Schreiben des Bochumer Ordnungsamtes beschäftigen die Stadt auch weiterhin. Sprecher Peter van Dyk: „Wir prüfen derzeit, ob wir Anzeige gegen Unbekannt erstatten.“ Ansonsten sei natürlich das Ansinnen der Schreiber, die Bürger aufgefordert hatten, rechtsextreme Graffiti zu melden, durchaus verständlich, ja zu begrüßen. Doch die in dem Schreiben angegebene E-Mail-Adresse habe nichts mit der Stadt zu tun. Wer etwas melden möchte, könne dies bei der Stadt Bochum tun.