Herne. . Auf SPD-Einladung hat NRW-Verfassungsschutzleiter Burkhard Freier in Röhlinghausen über Entwicklungen im Rechtsextremismus und Salafismus gesprochen.

  • NRW-Verfassungsschutz-Chef sprach in Röhlinghausen über Extremismus
  • Burkhard Freier rückte Salafismus und Rechtsextremismus in den Fokus
  • Auch Deutschland stehe im Fadenkreuz des islamistischen Terrors, so seine Warnung

„Demokratie in Gefahr? Zwischen Salafismus und Rechtsextremismus“ lautete am Montagabend das Thema der Bürgerversammlung der SPD Röhlinghausen. Das inoffizielle Motto hieß im Volkshaus jedoch zunächst „Veranstaltung in Gefahr?“: NRW-Verfassungsschutz-Chef Burkhard Freier traf nämlich aufgrund eines Staus erst mit eineinhalbstündiger Verspätung gegen 20.30 Uhr ein. Die beiden zentralen Botschaften seines Vortrags: „Der Salafismus ist jung, deutsch und hat einen Migrationshintergrund“ und „der gesellschaftliche Einfluss des Rechtsextremismus steigt“.

Er wolle in der Bevölkerung keine Panik oder Angst, sondern Aufmerksamkeit schüren und sensibilisieren, sagte Freier zu Beginn. Dass der Extremismus stärker in Erscheinung trete, habe auch mit der „Wechselwirkung“ zwischen den einzelnen Gruppen – Rechts- und Linksextremisten, Salafisten und Rechtsextremisten, Türken und Kurden – zu tun. Die Lager schaukelten sich gegenseitig hoch.

Salafismus

„Das Gefahrenpotenziel durch den Salafismus steigt“, sagte der 60-Jährige. Der „Islamische Staat“ (IS) stehe in Syrien, Irak und Libyen unter großem militärischen Druck und versuche deshalb auf andere Weise Erfolge zu erzielen - zum Beispiel durch Anschläge im Westen. Auch Deutschland stehe im Fadenkreuz des islamistischen Terrrors.

Burkhard Freier, Leiter des dem Innenministerium unterstellten NRW-Verfassungsschutzes, rückte Salafismus und Rechtsextremismus in den Mittelpunkt seiner Ausführungen.
Burkhard Freier, Leiter des dem Innenministerium unterstellten NRW-Verfassungsschutzes, rückte Salafismus und Rechtsextremismus in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. © Klaus Pollkläsener

2850 Menschen habe der Verfassungsschutz in NRW als Aktivisten des extremistischen Salafismus registriert, davon seien 650 gewaltbereit. „Das ist eine Minderheit, aber eine gefährliche“, so Freier. Die kampferprobten IS-Rückkehrer stellten die größte Gefahr dar.

Auch Zahlen für die salafistische Szene in Bochum und Herne - eine nähere Aufschlüsselung gab es nicht - lieferte der Verfassungsschützer. Von 25 Aktivisten, 80 landes- und bundesweit vernetzte Salafisten und 100 Sympathisanten war die Rede.

90 Prozent aller NRW-Aktivisten hätten einen Migrationshintergrund und 75 Prozent einen deutschen Pass. Das Durchschnittsalter liege zwischen 14 und 30 Jahren. Auch immer mehr Frauen radikalisierten sich, so Freier. Und: Selbst kleine Kinder würden zunehmend für Propaganda missbraucht.

In NRW-Flüchtlingsheimen habe es 120 Anwerbeversuche durch Salafisten gegeben. Das Land habe darauf reagiert und unter anderem Informationsveranstaltungen in den Einrichtungen durchgeführt.

Freier betonte ausdrücklich,dass Salafisten eine kleine Minderheit unter Muslimen darstellten. Das Ziel der islamistischen Terroristen sei es jedoch, die Gesellschaft zu spalten, Unfrieden herbeizuführen und eine Art Bürgerkrieg zu entfachen.

Rechtsextremismus

Mit diesen Zahlen sorgte Freier im Volkshaus für Verblüffung: Fünf bis zehn Prozent aller Bürger hätten eine rechtsextreme Einstellung, 20 Prozent seien fremdenfeindlich. In den vergangenen Jahren sei dies durch Bewegungen wie Pegida deutlicher als bisher sichtbar geworden. Die Scheu, sich öffentlich zu rechtsextremen Inhalten zu bekennen, sinke zunehmend. Davon profitiere auch die AfD, die die Flüchlingssituation und den Islam als „Türöffner-Themen“ nutzten. Für die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz lägen aber zurzeit in NRW die rechtlichen Voraussetzungen „noch nicht“ vor, so Freier auf Nachfrage.

Der „weichgespülte Rechtsextremismus“ erhalte viel Zulauf und sei eine zunehmende Gefahr für die Gesellschaft. Ausländerfeindliche und rassistische Positionen würden zum Beispiel durch Organisationen wie die sogenannte Identitäre Bewegung über eine „Tarnsprache“ transportiert. Das sei ein Nährboden für rechtsextremistische Gewalt.

Doch auch das Tempo der Radikalisierung sei ein Problem. Früher erfolgte die Radikalisierung in mehreren Stufen. Heute lägen dagegen zwischen einem ersten rechtsextremistischen Facebook-Post und einen Anschlag auf ein Flüchtlingsheim bisweilen nur drei Wochen - ohne Zwischenstufe.

Konzepte des Landes

Fehlende gesellschaftliche Anerkennung und Diskriminierungserfahrungen seien häufig die Ursachen von Radikalisierung - sowohl in der Salafisten- auch als in der Rechtsextremisten-Szene. „Die Salafisten bieten ein Lifestyle-Gesamtpaket, die Rechtsextremen und Rechtspopulisten eine Protestraum-Kultur“, sagte Burkhard Freier. Mit einer engen Zusammenarbeit und einem Datenabgleich wollten Sicherheitsbehörden sicher stellen, dass bei der Beobachtung niemand durchs Raster falle.

Insbesondere beim Salafismus komme auch der Prävention eine zentrale Rolle zu. Das Land arbeite hier an einem neuen Gesamtkonzept, das auf drei Säulen ruhe: 1. Information/Stärkung des Umfeld - Familie, Schule, Beruf - junger Menschen. 2. Beratungsangebote über die auch in Bochum bereits präsente Anlaufstelle „Wegweiser“. 3. Programme für Aussteiger.

„Die Szene wird aber nicht von alleine verschwinden. Es handelt sich hier eher um ein Zehn-Jahres-Programm“, so Burkhard Freier.

Reaktionen

Die Fragen und Anmerkungen von Besuchern der Veranstaltung zielten vor allem auf den islamistischen Terror. Tuncay Nazik vom Vorstand der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen bedankte sich ausdrücklich bei Freier für die „differenzierte Betrachtungsweise“ des Salafismus.

Trotz der unerfreulichen Umstände der vom SPD-Landtagsabgeordneten Serdar Yüskel unterstützten Veranstaltung zog Röhlinghausens Ortsvereins-Chef Hendrik Bollmann am Ende ein positives Fazit: „Es hat sich absolut gelohnt.“ Allein die Tatsache, dass noch rund 80 der ursprünglich 100 Besucher das Ende der Veranstaltung erlebten, sprachen für diese Einschätzung.

Klartext von Polizei-Gewerkschafter Plickert 

Plötzlich Podium: Aufgrund der 90-minütigen Verspätung des Verfassungsschutz-Chefs Burkhard Freier mutierte Arnold Plickert am Montagabend im Volkshaus auf Bitte der SPD kurzerhand zum Referenten. In einer improvisierten Talk-Runde beantwortete der NRW-Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Fragen des Herner SPD-Landtagsabgeordneten Alexander Vogt zu aktuellen Themen wie Übergriffe auf die Polizei, Wohnungseinbrüche und Personalausstattung.

Arnold Plickert von der Gewerkschaft der Polizei (re.) im Talk mit SPD-Chef Alexander Vogt. Der Gewerkschafter beantwortete auch Fragen aus dem Publikum.
Arnold Plickert von der Gewerkschaft der Polizei (re.) im Talk mit SPD-Chef Alexander Vogt. Der Gewerkschafter beantwortete auch Fragen aus dem Publikum. © Klaus Pollkläsener

Aufgrund der zunehmenden Attacken auf Polizisten und andere Staatsbedienstete forderte Plickert eine Gesetzesinitiative, um hier höhere Strafen verhängen zu können. „Wer diese Menschen angreift, greift den Staat an“, sagte Plickert und erntete dafür großen Applaus. Als Streifenbeamter habe er Anfang der 80er Jahre in Wanne-Eickel den Eindruck gehabt, dass ihn die Uniform schütze. „Heute haben die Kollegen das Gefühl, dass die Uniform sie gefährdet.“

Großes Lob fürs Land

Reformbedarf sah der Gewerkschafter auch bei der Ausstattung der Polizei: Einen Probelauf für den Einsatz eines Tasers (deutsch: Elektroschockpistole) könne er sich unter klaren Rahmenbedingungen – Ausbildung etc. – durchaus vorstellen. Dass es für Bodycams, sprich: Körperkameras entsprechende Testläufe in NRW bereits gibt, stieß bei Plickert auf Zustimmung.

Großes Lob zollte der Gewerkschafter dem Land und Innenminister Ralf Jäger für die personelle Aufstockung der Polizei sowie die zunehmende Präsenz der Polizei in Angsträumen wie zum Beispiel in Duisburg-Marxloh. Schelte gab es dagegen für die Justiz, die aus Sicht des GdP-Mannes zu milde mit osteuropäischen Einbrechern umgehe: „Diese sind schneller aus dem Gericht raus als meine Kollegen auf der Wache.“

Seitenhieb auf Polizeisprecher

Und auch einen Seitenhieb auf Bochums Polizeisprecher Volker Schütte konnte sich Plickert nicht verkneifen: Dieser habe gegenüber der WAZ das weit verbreitete Graffito „ACAB“ (all cops are bastards) mit seinen Aussagen banalisiert und verharmlost, worüber er sich auch bei der Polizeipräsidentin beschwert habe.

Zur Erinnerung: Schütte hatte auf Anfrage erklärt, dass viele Täter gar nicht wüssten, was sie da schrieben. Und: Polizist selbst nähmen die Beleidigungen nicht persönlich und sagten „All cops are beautiful“, also: ,Alle Polizisten sind wunderschön.’“