Bochum. Im Prozess gegen die Bochumerin (26), die illegal Lippen aufgespritzt hatte, sagen immer mehr Ex-Kundinnen aus. Etwa eine Modedesign-Studentin.

Auch eine 27-jährige Modedesign-Studentin zählte zu den Kundinnen der Angeklagten (26). Sie wollte sich die Lippen und das Kinn aufspritzen lassen; das Kinn sollte etwas spitzer werden. Doch bei der Behandlung mit der Spritze und dem Hyaluron-Filler sei die Lippe „durchgestochen“ worden, sagte sie am Dienstag im Zeugenstand – „quasi am Zahn angedockt“.

Sie hatte damals die Angeklagte darauf angesprochen, zumal der Einstich sowieso „immer schmerzhaft“ sei. „Was hat sie erwidert?“, fragte Richter Markus van den Hövel. Die Zeugin antwortete: „Dass das eine russische Methode sei.“

„Sie wusste, dass sie das nicht darf“

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Die Angeklagte sitzt seit einem halben Jahr in U-Haft, weil sie jahrelang in ihrer Bochumer Wohnung tausenden Kundinnen die Lippen aufgespritzt haben soll, ohne Heilpraktikerin oder Ärztin zu sein. Nur dann wäre sie dazu berechtigt gewesen. „Sie wusste, dass sie das nicht darf“, erklärte ihr Verteidiger. Die meisten Kundinnen waren offenbar zufrieden. Aber nicht alle. Sie erlitten teilweise erhebliche Schmerzen und Verletzungen wie Entzündungen, Verfärbungen, Schwellungen, Dellen, Bläschen und anderes. 34 solche Fälle sind jetzt angeklagt.

Die Zeugin von Dienstag hatte trotz des Nadel-Durchstoßes keine großen Verletzungen davongetragen. „Sind Sie denn zufrieden?“ fragte der Richter und meinte das ästhetische Ergebnis. Die Zeugin antwortete erst nach langer Pause: „Nicht so richtig.“ Sie werde sich jetzt woanders noch nachbehandeln lassen.

„Ich war ziemlich bekannt bei Instagram“

Die 2. Wirtschaftsstrafkammer mit der Angeklagten (ganz rechts am Bildrand). In der Bildmitte: Richter Dr. Markus van den Hövel.
Die 2. Wirtschaftsstrafkammer mit der Angeklagten (ganz rechts am Bildrand). In der Bildmitte: Richter Dr. Markus van den Hövel. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Aufmerksam geworden war sie wie fast alle Kundinnen über das überaus erfolgreiche Instagram-Profil der Angeklagten, die dort mit Fotos von selbst aufgespritzten Lippen Werbung machte. „Ich war ziemlich bekannt bei Instagram“, sagte die Angeklagte.

Auch die Zeugin meinte: „Ich fand die Bilder und Ergebnisse superschön.“ Das war wohl der Grund, warum es Kundinnen offenbar nicht so wichtig war, ob die Angeklagte eine berufliche Ausbildung und Berechtigung zum Lippenaufspritzen hatte oder nicht. Der Richter: „Die Schönheit der Bilder im Internet blendet alles andere aus.“

„Irgendwann hat sich herumgesprochen, dass ich gut darin bin“

Die Angeklagte hatte sich 2015, während ihres Jura-Studiums, selbst die Lippen aufspritzen lassen. Das Ergebnis gefiel ihr aber nicht, wie sie am Dienstag sagte. Nach weiteren, aus ihrer Sicht ebenfalls nicht geglückten Eingriffen habe sie sich gesagt: „Vielleicht kann ich das selber besser.“ Für eine Schulung habe sie 2600 Euro gezahlt. Nach und nach akquirierte sie immer mehr Kunden. „Irgendwann hat sich herumgesprochen, dass ich gut darin bin.“

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Steuern hatte sie zu keinem Zeitpunkt bezahlt – trotz laut Anklage 1,3 Millionen Euro Umsatz von 2016 bis 2019. „Ich wollte unsichtbar bleiben, damit keiner merkt, dass ich das mache.“ Unsichtbar war sie aber schon 2017 nicht mehr. Damals hatte sie die Stadt bereits angeschrieben wegen ihrer illegalen Tätigkeit. Auch eine Durchsuchung soll es gegeben haben. Der Richter: „Das kann ich nicht nachvollziehen, dass man so unverdrossen weitermacht.“

Bisher offenbar keinen Steuerschaden beglichen

Den Steuerschaden hat sie bisher offenbar nicht beglichen. „Das könnte zu einer Verbesserung Ihrer Situation führen“, sagte er. Hätte sie damals eine Heilpraktiker-Ausbildung gemacht, „wäre alles okay gewesen“. „Dann hätten Sie ohne Ende Lippen spritzen können“. Eine mehrjährige Haftstrafe steht im Raum.

Der Prozess wird fortgesetzt.