Bochum. Duygu Ö. soll über 3000 Kunden illegal Nase oder Lippen aufgespritzt haben. Nun steht sie vor Gericht. 34 Menschen wurden laut Anklage verletzt.
Sie bricht in Tränen aus, noch bevor der Prozess überhaupt begonnen hat; hält sich entsetzt und beschämt die Hände vors Gesicht, als die Kameras zu surren beginnen. Weil Duygu Ö. illegal Lippen und Nasen mit Hyaluronsäure "aufgespritzt" haben soll, muss sie sich seit Dienstag vor dem Bochumer Landgericht verantworten.
Erst als der Vorsitzende Richter der 2. Großen Strafkammer, Markus van den Hövel, Fotografen und Fernsehteams aus dem Gerichtssaal schickt, dann mehrere Dutzend Freunde und Familienangehörige auf den Zuschauerreihen Platz nehmen, huscht ein zaghaftes Lächeln über das Gesicht der 26-Jährigen. Scheu winkt sie der Gruppe zu, schickt eine Kusshand hinterher. Mit der Duygu Ö., von der in der Anklageschrift die Rede ist, hat diese zarte Person, die da in einfacher Jeans und dunklem T-Shirt neben ihrem Verteidiger sitzt, wenig gemein.
Angeklagte soll knapp 1,3 Millionen mit Schönheits-Behandlungen verdient haben
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Oberstaatsanwalt Andreas Bachmann schildert Duygu Ö., die seit April in Köln in Untersuchungshaft sitzt, in seiner Anklageschrift als reichlich abgebrühte Geschäftsfrau; als eine, die seit 2015 knapp 1,3 Millionen Euro mit verbotenen Schönheits-Behandlungen verdiente; als eine, die ihre Einnahmen nie versteuerte; als eine ohne jede Qualifikation, die zögerlichen Kunden eine gefälschte Urkunde vorlegte, um zu beweisen, dass sie tatsächlich Heilpraktikerin sei, wie sie behauptete; als eine schließlich, die mindestens 34 Frauen und Männer mit ihren Hyaluron-Einspritzungen teils schwer verletzte.
Schmerzen, Blutergüsse, Narben, Entstellungen
"Erhebliche Schmerzen", so die Anklage, hätten die Opfer erlitten. Von Hämatomen ist da die Rede, von Schwellungen, Entzündungen, von harten "Knubbeln" und schwarz verfärbten oder bis aufs Zahnfleisch durchstochenen Lippen, geplatzten Adern in der Nase und Problemen im Augenbereich. Von Entstellungen oder bleibenden Asymmetrien berichteten Ö.s Kunden der Anklage zufolge, von Ärzten, die sie nach den Eingriffen aufsuchen mussten, von Narben, die operativ korrigiert werden mussten.
750 Euro etwa habe ein junger Mann für seine Spritzen gezahlt, führt Bachmann aus. Verhärtungen in der Oberlippe waren die Folge. Der Kunde sei nicht einmal volljährig gewesen.
Über 3000 Behandlungen soll Duygu Ö. seit 2015 vorgenommen haben, heißt es in der Anklage. Über Instagram akquirierte sie ihre Kunden. In der Szene war die Abiturientin aus Bochum wohl sowas wie ein Star. Sie berechnete selten weniger als 300 Euro für eine Behandlung. Kunden zahlten aber auch bis zu 1500 Euro für Injektionen, manche kamen durchaus mehr als einmal zu ihrer "Heilpraktikerin". Behandelt wurde in Privatwohnungen in Bochum oder Low-Budget-Hotels in Frankfurt.
Nur Ärzte oder Heilpraktiker dürfen Hyaluronsäure spritzen
Für Aufspritzungen mit Hyaluron ist nach dem Heilpraktikergesetz eine entsprechende Qualifikation erforderlich, nur approbierte Ärzte und Heilpraktiker dürfen das. Der Filler selbst, ein Stoff, der bessere Durchblutung und mehr Volumen verspricht, ist als "Medizinprodukt" allerdings rezeptfrei erhältlich. Eine "Gesetzeslücke", die von den Fachverbänden seit langem kritisiert wird.
Zum Prozessauftakt wurde zunächst nur die Anklageschrift verlesen. Ö. selbst wollte sich zunächst weder zur Sache noch zur Person äußern. Die ersten Zeugen, Kunden von Duygu Ö., werden am Donnerstag im Beisein einer Sachverständigen gehört. Mehr als 275 Geschädigte hatten sich bei der Polizei gemeldet, nachdem Ö. und ihre Cousine Lara G. im April verhaftet worden waren. G. wird in einem getrennten Verfahren angeklagt.
Ein Star auf Instagram, aber operiert wurde in der Privatwohnung
Ö.s Verteidiger, der Kölner Rechtsanwalt Oliver Gaertner erklärte am Rande des Prozesses, seine Mandantin räume ein, Fehler gemacht zu haben. Die Sache habe sich seiner Ansicht nach als "Selbstläufer" entwickelt, sei eine Folge des Hypes, der auf den Social Media im Internet um "Duygu-Beauty" gemacht wurde.
Ihm sei aber "unverständlich", dass Kunden jemals glauben konnten, sie würden von einem Profi aufgespritzt. Viele der Eingriffe hätten in dem Reihenhaus stattgefunden, wo Ö. auch lebte. "Wer sich da seinen Weg durch Wohnzimmer in die erste Etage, am Schlafzimmer und dem Spielzeug auf dem Boden vorbei noch eine Etage höher in den Behandlungsraum suchte, der kann doch niemals ernsthaft geglaubt haben, in einer Praxis zu sein...", meint er. Die "Irrtumserwägung" sei für ihn "nicht nachvollziehbar".
Fünf Jahre Haft erwartet die Staatsanwaltschaft, hieß es nach einem informellen Rechtsgespräch am ersten Prozesstag, das "ohne Verständigung", so Richter van den Hövel endete. Er gehe davon aus, erklärte Gaertner nach dem Prozessauftakt, dass seine Mandantin "mit der Urteilsverkündung auf freien Fuß kommt".
>>>> Info: Der zweite Prozess
Am Freitag, 27. September, beginnt – ebenfalls vor dem Bochumer Landgericht, aber in einem getrennten Verfahren – der Prozess gegen Ö.s Cousine Lara G. (29). Ihr werden 33 Taten zur Last gelegt. Sie soll in gut zwei Jahren 780.000 Euro verdient (und nicht versteuert) haben.
Beide Fälle hätten nichts miteinander zu tun, erläutert Ö.s Anwalt Oliver Gaertner. Die Parallelen seien Zufall. G.s Verteidiger Volker Schröder erklärte jedoch gegenüber dem WDR, seine Mandatin habe "aus Geltungsdrang gehandelt" und sich vor ihrer Cousine beweisen wollen.