Bochum. 520 Euro war Amy die Verschönerung von Lippe und Nase wert. Die „Kosmetikerin“, der sie sich anvertraute, entstellte sie und sitzt nun in U-Haft.

Amys entsetzte Mutter glaubte, jemand habe ihr Kind verprügelt. „Was ist passiert“, fragte sie besorgt, als die 18-Jährige mit geschwollener Lippe und einem Bluterguss neben der Nase heimkam. Als sie heimkam: von einer verpfuschten Schönheits-Operation.

Amy mit einem Vorher-/Nachher-Foto ihrer Lippe. Nach der Filler-Behandlung „sah ich schlimmer aus als jemals zuvor“, sagt die 20-Jährige heute,
Amy mit einem Vorher-/Nachher-Foto ihrer Lippe. Nach der Filler-Behandlung „sah ich schlimmer aus als jemals zuvor“, sagt die 20-Jährige heute, © FunkeFotoServices | Kai Kitschenberg

Amy möchte ihren wahren Namen hier nicht lesen, aber sie will reden. Denn Amy weiß heute, zwei Jahre nach ihrer Filler-Behandlung: „Ich hab Glück gehabt. Ich könnte blind sein.“

Dabei wollte sie nur eine kleine Delle auf der Nase glätten und die Lippen ein wenig unterspritzen lassen, damit die „eine schöne Herzform“ bekämen. „Auf Instagram sieht man so viele tolle Sachen, da dachte ich, ich probier’ das mal aus...“, erinnert sich die junge Bochumerin.

Sie folgte der Empfehlung einer Freundin und landete – bei einer der beiden Frauen, die im April in Bochum wegen illegal gesetzter Fillerspritzen verhaftet wurden. In der U-Haft warten sie derzeit auf ihren Prozess. Der Staatsanwalt wirft ihnen gefährliche Körperverletzung vor. 275 Opfer haben sich bei der Polizei gemeldet.

„Injektionen im Gesicht dürfen nur approbierte Ärzte und – eingeschränkt – Heilpraktiker vornehmen“, erläutert Dr. Klaus Hoffmann, Leitender Arzt der Ästhetisch-Operativen Medizin in der Universitäts-Hautklinik Bochum (St. Josef-Hospital). Kosmetikerinnen, die Spritzen in Lippen, Nase, Wange oder Stirn setzten, machten sich strafbar: „Die wissen ja gar nicht, was sie tun“.“ DochBotox- und Fillerbehandlungen seien sehr beliebt, und die Anwendung erscheine unkompliziert. „Das lockt Scharlatane an“, weiß der Dermatologe. Er spricht von einem „Sumpf“ und schätzt die Zahl der von Laien Geschädigten auf „mehrere tausend jährlich“.

Die Original-Verpackung des Fillers bekam die Patientin nie zu sehen

Folge einer verpfuschten „Zornesfalten“-Unterspritzung: Diese Patientin landete mit einer schweren Nekrose auf der Stirn in der Bochumer Hautklinik.
Folge einer verpfuschten „Zornesfalten“-Unterspritzung: Diese Patientin landete mit einer schweren Nekrose auf der Stirn in der Bochumer Hautklinik. © Hautteam, St. Josef Hospital Bochum

Amys „OP“ fand in einer Privatwohnung statt, im „Wartezimmer“ drängten sich junge Frauen. Amy unterschrieb „sowas wie eine Einwilligungserklärung“, gelesen hat sie sie nicht. Dann setzte ihr die „Kosmetikerin“, die sie an jenem Tag zum ersten Mal sah, Spritzen: entlang der Nase, in die Oberlippe.

Was genau in den Spritzen war? Hyaluron, glaubt Amy, der beliebteste Filler. Eine Verpackung hat sie allerdings nie gesehen und Hyaluronsäure gibt es in verschiedenen (Molekül)Größen.

„Ich hab mir keine Gedanken gemacht, ich dachte, die kennt sich ja aus“, erinnert sich Amy. 520 Euro zahlte die angehende medizinische Fachangestellte für den Eingriff: Geld, das sie „für etwas ganz Besonderes“ angespart hatte. Nach 20 Minuten war alles vorbei. Die schmerzhafte Schwellung der Lippe, die Amy gleich ansprach, werde rasch verschwinden, hieß es.

Doch sie verschwand nicht: „Die Lippe blieb vier Tage lang furchtbar dick und tat weh. Ich konnte kaum trinken und traute mich nicht aus dem Haus.“ Und als sie es dann doch wagte, machten die Mitschüler am Kolleg furchtbare Bemerkungen. „Ich sah schlimmer aus als je zuvor, von einer Herzform war überhaupt nichts zu erkennen, über der Lippe bildete sich eine richtige Beule“, erinnert sich Amy. „Ich war völlig fertig und frustriert.“ Zugleich schämte sie sich für ihre Naivität, fragte sich: Wie blöd bist du eigentlich?

Dr. Klaus Hoffmann, Leitender Arzt der Ästhetisch-Operativen  Medizin in der Universitäts-Hautklinik Bochum (St. Josef-Hospital).
Dr. Klaus Hoffmann, Leitender Arzt der Ästhetisch-Operativen Medizin in der Universitäts-Hautklinik Bochum (St. Josef-Hospital). © FunkeFotoServices | Kai Kitschenberg

Klaus Hoffmann sagt: „Ich bin 58, mir erschließt sich das Konzept des Influencing bei Instagram nicht. Aber es funktioniert.“ Auch sein Kollege, Oberarzt Silas Soemantri, hält Amy nicht für „blöd“. Er fühlt mit der jungen Frau.„Sie wusste es ja nicht besser.“ Das „Hautteam“ des Bochumer St. Josef Hospitals hat es täglich mit zwei bis drei Amys zu tun: Frauen, deren verpfuschte Schönheits-OPs die Bochumer Spezialisten „reparieren“ sollen.

Arzt: Mir dreht sich der Magen um, wenn ich sehe, was da auf Instagram abgeht

Amy kam in Soemantris Sprechstunde, nachdem ein niedergelassener plastischer Chirurg ein Jahr nach der ersten OP bereits den gröbsten Schaden behoben hatte. Innen an der Lippe aber sind der 20-Jährigen „störende kleine Klümpchen, hart wie Bälle“ geblieben. „Granulome“, sagt der Arzt. „Damit haben wir häufig mit zu tun, bei schlechtem Filler-Material....“ Es kann Jahre dauern, bis sie sich auflösen.

Brazilian Butt Lift: Zwei Tote in Düsseldorf

Anfang Juli sorgte auch eine Düsseldorfer „Beauty-Klinik“ für Schlagzeilen. Zwei Frauen (42 und 20) waren innerhalb des vergangenen Jahres gestorben, nachdem sie sich dort den Po hatten vergrößern lassen. Der Arzt, der sie operierte, gab sich als Facharzt für plastische Chirurgie aus, war aber wohl keiner. In beiden Fällen dauern die Ermittlungen noch an.

Dr. Klaus Hoffmann lehnt Po-Vergrößerungen, das sogenannte „Brazilian Butt Lift“, bei dem körpereigenes Fett ins Gesäß verlagert wird, grundsätzlich ab. „Das Risiko ist zu groß.“

Weltweit wird in Südkorea das meiste Geld für Schönheits-OPs ausgegeben, Deutschland finde sich nicht einmal auf einem der ersten zehn Plätze, so Hoffmann: „Aber die Zuwachsrate liegt hier bei 15 Prozent jährlich...!“

Im Gegensatz zu Botulinumtoxin (Botox) sind Filler in Deutschland nicht grundsätzlich verschreibungspflichtig. Ein Rezept für Hyaluron braucht nur, wer es in Knie oder Hüfte spritzen will – oder einem Pferd. Für eine (illegale) Injektion ins menschliche Antlitz könnte es jeder Laie problemlos im Internet bestellen, wettert Klaus Hoffmann. „Mir dreht sich der Magen um, wenn ich sehe, was da auf Instagram abgeht.“

Die Faltenkiller Botox und Hyaluron: Was ist das?

„Botulinumtoxin“ (Botox) ist eigentlich ein Nervengift, als verschreibungspflichtiges Arzneimittel aber seit rund gut 30 Jahren zugelassen. Der rezeptfrei erhältliche Filler Hyaluron sorgt für mehr Volumen und bessere Durchblutung des Gewebes. Von einem approbierten Arzt mit spezieller Fortbildung durchgeführt, hätten Behandlungen mit Botox und Fillern kaum Nebenwirkungen, erklärt der Bochumer Dermatologe Silas Soemantri. Durch falsch gesetzte Spritzen unqualifizierter Behandler könne es allerdings zu schlimmen Entzündungen kommen, Entstellungen oder sogar Embolien (Gefäßverschlüssen). Selbst eine Erblindung als Spätfolge einer falsch gesetzten Hyaluron-Spritze ist möglich.

Nur Ärzte (und Heilpraktiker) dürfen Spritzen mit Botox und Fillern setzen. Die Deutsche Gesellschaft für Ästhetische Botulinum- und Fillertherapie (DGBT) fordert darüber hinaus die umfassende Verschreibungspflicht auch für Hyaluron, sieht bei dem Thema sogar „akuten Handlungsbedarf“. „Solange Kosmetikerinnen und Frisöre Hyaluron einfach online bestellen können, werden sie es auch spritzen“, glaubt Dr. Klaus Hoffmann, Sprecher für den Bereich unbefugte Laienanwendung. Allerdings gebe es „erhebliche Interessen in der Industrie“ gegen den Vorstoß der DGBT, diese „juristische Lücke zu schließen“. Schönheit ist ein lukratives Geschäft. Für das irische Pharmaunternehmen Allergan, Weltmarktführer auf dem Gebiet der medizinischen Ästhetik und Botox-Hersteller, wurden gerade 55 Milliarden Euro geboten...

Immerhin: Zahlreiche ungeprüfte „Billigfiller“ (ohne medizinische CE- oder FDA-Zulassung) dürfen künftig nicht mehr verkauft werden. Ende Mai 2020 werden sie vom Markt verschwunden sein. Die EU hat ihre Medizinprodukte-Regeln entsprechend geändert. Das bedeutet allerdings auch, betont Hoffmann, dass sie bis dahin verstärkt angeboten werden. „Der Markt“, sagt der Bochumer Dermatologe „wird gerade mit besonders schlechten Fillern aus Fernost überschwemmt.“

Weitere Infos zum Thema und eine Liste qualifizierter Ärzte finden sich online unter www.dgbt.de

„Meine Nase“, sagt Amy, „hat die Kosmetikerin sogar noch gepostet.“ Dabei ist die kleine Delle längst wieder sichtbar, der Filler längst abgebaut. Selbst der beste wirkt maximal zwei Jahre. Auch die Lippe ist noch immer nicht herzförmig, aber die Schwellung zum Glück fast verschwunden. Mit den Klümpchen wird sie leben lernen für eine Weile, die Spezialisten rieten ihr abzuwarten. „Machen lassen“ will sie vorerst nichts mehr. Denn Amy findet ihr Aussehen inzwischen „ganz in Ordnung“. Ihre Eltern, sagt sie heute, hatten wohl Recht. „Die meinten, ich wäre bescheuert, als ich ihnen von der geplanten Schönheits-OP erzählte. Und, ja, hätte ich gewusst, was alles passieren kann, ich hätte es gelassen.“