Bochum. . In den Jahren nach dem Krieg erlebte Bochum eine letzte Blüte der Kohle. Das Leben der Bergarbeiter-Familien hatte seinen eigenen Alltag.

Bis in die frühen 1970er Jahren hinein war auch in Bochum das „Leben vorm Pütt“ selbstverständliche Normalität. In den Wiederaufbaujahren waren es noch über 20 Schachtanlagen, die zwischen Langendreer und Wattenscheid, zwischen Gerthe und Linden tausenden Familien Arbeit und Brot gaben.

Die Männer machten in 800, 900 Metern Teufe Kohle, aber im Allgemeinen bekamen die Familien vom Arbeitsplatz der Bergleute, außer in Erzählungen, nichts mit. „Keine Frauen auf dem Pütt!“ lautete noch in den 60er Jahren die Losung; von Kindern natürlich ganz zu schweigen.

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Im Bochumer Stadtarchiv stellt der Wattenscheider Fotograf Alfred Winter am Donnerstag, 22. September 2011 seine Fotografien aus. Foto: Ingo Otto / WAZ FotoPool
Von Jürgen Boebers-Süßmann

Das Einzige, was die Verwandten der Kumpel mit deren Arbeitsplatz verband, waren die hoch aufschießenden Übertage-Anlagen der Zechen, die sich damals „an jeder Ecke“ fanden, die alle anders aussahen und sich doch alle glichen. Da waren die stählernen Fördertürme, auf denen sich bei Tag und Nacht flink die großen Speichenräder drehten, da waren die Kamine der Kesselhäuser (die „drei großen Herren“ nannte man sie auf Zeche Lothringen), an denen Tag und Nacht eine schwarze Rauchfahne hing.

Da waren das Rauschen der Förderseile, das man ständig hörte, und die Geräusche vom Zechenplatz, das Poltern der Holzstempel, wenn sie verladen wurden, das Knistern der Schweißbrenner, das Scheppern der stählernen Loren. Nicht zu vergessen der Pfiff der Lokomotive, die auf dem Zechenbahnhof die rostroten, hoch mit Kohle beladenen Waggons rangierte.

Klüngelskerl blies die Flöte

So gut wie jeder Bochumer Stadtteil hatte seine angestammte Schachtanlage, seine „Hauszeche“, wie die Leute sagten. Sie hießen „Lothringen“ in Gerthe, „Prinz Regent“ in Weitmar, „Robert Müser“ in Werne, „Präsident“ in Hamme, „Hannover“ in Hordel, „Hannibal“ in Hof-stede, „Constantin der Große“ in Riemke/Grumme, „Mansfeld“ und „Bruchstraße“ in Langendreer, „Dannenbaum“ in Laer, „Holland“ und „Centrum“ in Wattenscheid, und, und, und...

Handarbeit: Mit solchen Utensilien wurde früher gewaschen.
Handarbeit: Mit solchen Utensilien wurde früher gewaschen. © Christoph Karl Banski

Mit den Bergwerken einher ging die besondere soziale Struktur des alten Ruhrgebiets. In den Kolonien und Werkssiedlungen, die mit den Schachtanlagen entstanden waren, gab es meist einen Konsum-Laden oder ein Lebensmittelgeschäft („Tante Emma“-Laden), es gab dort immer viele Kinder, Blumenkästen auf den Fensterbänken, und viel Arbeit für die Frauen, die am Waschtag – ohne elektrische Waschmaschine, versteht sich! – im Keller schuften mussten, um die Sachen wieder sauber zu kriegen. Es gab den Klüngelskerl mit der Flöte, der alle paar Wochen auf dem Pferdewagen vorbei kam, um Haushaltsschrott und Alteisen einzusammeln. Und es gab Taubenschwärme, die überall um die Dächer flatterten – viele Kumpel waren „Duwenvatters“, Taubenzüchter.

Diese Zeiten, die wir heute „die alten Zeiten“ des Reviers nennen, sollte man nicht verklären, sie waren anstrengend und alltäglich wie alle Zeiten. Aber es stimmt auch, dass Nachbarschaft und Kameradschaft damals noch eine andere Rolle spielten. Das enge Leben in der Kolonie brachte es mit sich, dass man Freud und Leid eher zu teilen bereit war; Hochzeiten ebenso wie die Trauerfeiern angesichts der Grubenunglücke, die immer wieder ihren Blutzoll forderten.