Bochum/Essen. . Auf dem Fahrradweg entdecken Spaziergänger einen leblosen Körper. Sören Liedtke reanimiert – und rettet das Leben des Esseners Wilfried Eßer.
Einem Menschen das Leben gerettet zu haben, war für Sören Liedtke im ersten Moment vor allem eine Bürde. Was ist, wenn Wilfried Eßer, der Mann, den er wiederbelebt hat, es letztlich doch nicht schafft?
Es ist der 30. Oktober 2016, als Sören Liedtke zusammen mit seiner Frau Beate und seinem damals einjährigen Sohn Torben den Garten in Eppendorf winterfest macht. „Hier liegt eine Leiche auf dem Radweg“, hört er plötzlich einen Mann schreien. Sofort springt der heute 36-Jährige auf, ruft seiner Frau zu, sie solle den Rettungsdienst anrufen, läuft durchs Gartentor hinten raus auf den Fahrradweg. Dort, 100 Meter weiter, liegt Wilfried Eßer auf dem Boden, die Augen sind offen, er hat keinen Puls, er gibt kein Lebenszeichen von sich. „Es war ein krasser Anblick, einen toten Menschen zu sehen“, sagt Sören Liedtke. Vor allem das Bild der weitaufgerissenen Augen bleibt ihm im Kopf.
Er überlegt nicht lange, beginnt sofort mit den Wiederbelebungsmaßnahmen. 15 Mal Herzmassage, dreimal durch die Nase beatmen. Ob das die richtige Anzahl ist, weiß er nicht, das ist in dem Moment egal. Später erfährt er, dass er Wilfried Eßer zehn Rippen gebrochen hat. Und dass der 78-Jährige nicht überlebt hätte, wenn Sören Liedtke nicht so beherzt eingegriffen hätte. Kurz vor der Geburt seines Sohnes hatte er seine Erste-Hilfe-Kentnisse aufgefrischt.
Zehn Minuten wie eine Ewigkeit
Es ist eine Überwindung für den Eppendorfer, dem fremden Mann so nahe zu kommen, ihn durch die Nase zu beatmen. Aber Sören Liedtke zögert nicht. Kurz geht ihm durch den Kopf, wie in einer Essener Bankfiliale mehrere Menschen über einen leblosen Mann gestiegen waren. Das hat er gerade erst in der Zeitung gelesen. Er will anders handeln.
„Ach hör doch auf, der ist tot“, ruft der Mann, der den leblosen Körper zuvor entdeckt hat. Doch Sören Liedtke macht weiter, bis der Rettungswagen kommt. „Diese acht bis zehn Minuten kamen mir wie eine Ewigkeit vor.“ Dreimal versuchen die Sanitäter, das Herz des Mannes mit einem Defibrillator zum Schlagen zu bringen. Beim dritten Mal klappt es. Sören Liedtke hält den Tropf.
Herzinfarkt auf dem Fahrrad
Der Rettungswagen bringt Wilfried Eßer ins Bergmannsheil. Am nächsten Tag sagt seine Tochter zu Sören Liedtke am Telefon, der Papa liege im Koma. Eine Woche später wird der Bochumer direkt zu Wilfried Eßer durchgestellt: Es geht ihm gut. Der heute 78-Jährige kann sich an nichts erinnern und er kann es sich nicht erklären, ein Herzinfarkt war es, der ihn vom Rad hat stürzen lassen. Dabei fährt der Essener jeden Monat 500 Kilometer mit dem Rad.
Und schon bald nach dem Vorfall sitzt Wilfried Eßer wieder auf dem Sattel. Er ist in diesem Februar dabei, als Sören Liedtke vom Land NRW offiziell belobigt wird. Wenn der Rentner auf dem Parkband-Radweg hinter Sören Liedtkes Haus vorbeifährt, klingelt er bei ihm an. Denn dass er das noch kann, ist allein dem 36-Jährigen zu verdanken. „Er hat mich wieder zum Leben erweckt“, sagt Wilfried Eßer. „Ich verehre ihn jetzt.“