Bochum. Was geschieht, wenn in eine Familie plötzlich ein unbekannter Schönling einbricht, der dort einen sexuellen Furor auflöst? Regisseur Ivo van Hove setzt die Bühnenversion von Pasolinis "Teorema" in Szene. Am Freitag wird in der Jahrhunderthalle Premiere gefeiert.

Es ist das Jahr 1968: doch in dieser Familie gibt es nicht den Hauch einer Revolte. Der Vater ist Fabrikbesitzer, das Leben also angenehm. Ehefrau, Tochter und Sohn komplettieren den Famlienkreis - und eine Hausangestellte mit bäuerliche Wurzeln versieht ihre Dienste. 1968: die Zeit der sexuellen Befreiung, in der auch politische Extrempositionen durchdacht wurden.

In der Fabrikantenfamilie spielt das keine Rolle, jeder geht seiner Wege; im Bühnenbild in der Jahrhunderthalle wird jeder einen eigenen Bereich, eine isolierte Insel bewohnen. Was geschieht, wenn in diesem festgefügten Alltag das Ungewöhnliche auftaucht, das Göttliche vielleicht sogar? Diese Frage stellte sich Pier Paolo Pasolini in seinem Film „Teorema”, selbstredend im Jahr 1968 entstanden. Was kann uns diese Geschichte vom Schönling, der die Familienmitglieder sexuell verführt und damit ihr Inneres durcheinander bringt, heute noch sagen? Darauf gibt Regisseur Ivo van Hove eine szenische Antwort, die im Rahmen der Ruhrtriennale am kommenden Freitag in der Jahrhunderthalle uraufgeführt wird.

Äußerste Wortkargheit

Der Film „Teorema” zeichnet sich durch äußerste Wortkargheit aus, lebt von einer intensiven Optik, die nach wie vor beeindrucken kann. Für die Bühne indessen ist diese Version kaum geeignet. Praktischerweise hat Pasolini die Geschichte damals auch als Roman veröffentlicht. Und auf dieses seit langem vergriffene Prosawerk bezieht sich Ivo van Hove.

Als der schöne unbekannte Gast - in der Inszenierung spielt ihn ein Holländer mit tunesischen Wurzeln - ebenso unversehens wieder verschwindet wie er gekommen ist, gehen die Familienmitglieder jeweils ungewohnte Wege - als müssten sie sich neu erfahren, neu bestimmen, erkennen. Für Willem Bruls, der den Stoff für die Bühne bearbeitet hat, begegnet den Familienmitglieder mit dem schönen Gast „die Authentizität”, eine Lebenseinstellung, von der sich Vater, Mutter und Co. seit langem verabschiedet haben.

Fern aller Metaphysik

Der Gast besitze - fern von aller Metaphysik - schlicht die Fähigkeit, sich voll und ganz auf den jeweils anderen Menschen einzustellen, ob Mutter, Sohn oder Tochter. Der Gast sei somit alles andere als egoistisch. Dadurch entwickele er diese enorme Wirkung auf die anderen. Bruls erklärt die Reaktion der Familienmitglieder mit einem Paradox: „Man sieht sich selbst plötzlich ganz nah und sieht dadurch, wie weit man von sich selber weg ist.” Nach Ansicht von Ivo van Hove beschreibt Pasolini „eine Krise”: „Der Gast ist dabei nicht die Ursache, sondern macht die Krise nur öffentlich.” Pier Paolo Pasolini zeige „den Anfang einer Möglichkeit, der Krise zu entkommen.” Ein Zeichen der Hoffnung also ...