Berlin. Doping in Deutschland von 1950 bis heute – Forscher sollten seit 2009 die dunkle Vergangenheit des deutschen Sports aufklären, das Innenministerium stellte eine halbe Millionen Euro Steuergeld zur Verfügung. Doch drei Jahre später versinkt das Projekt in Merkwürdigkeiten.

Wenn das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) am Dienstag im Bundespresseamt neueste Ergebnisse zur Dopingforschung vorstellt, wird der wichtigste Teil fehlen. Wissenschaftler aus Münster und Berlin hatten sich das Projekt geteilt. Die Münsteraner Forscher analysieren vor allem Medienberichte über Doping, echte Enthüllungen hatte man von den Berliner Forschern erwartet. Doch die sind in ihrer Heimatstadt nicht dabei. Die Gruppe habe sich “aufgelöst” schreibt das Bundesinstitut in seiner Einladung zur Veranstaltung. Die Berliner Forscher sagen, sie seien ausgebremst worden. Vieles deutet darauf hin, dass sie mit dieser Interpretation richtig liegen. Nach dem Dopingskandal um die Freiburger Uniklinik im Jahr 2007 hielt es der deutsche Sport für angebracht, die eigene Vergangenheit aufzuklären. Der DOSB regte ein Forschungsprojekt an, das Innenministerium stellte über das ihm angeschlossene Bundesinstitut für Sportwissenschaft fast eine halbe Millionen Euro zur Verfügung. Das Projekt sollte eine Art Befreiungsschlag werden.

Zwei Jahre lang schienen die Arbeiten glatt zu laufen. In Leipzig stellten die Forscher im Herbst 2010 erste Ergebnisse zu den 50er und 60er Jahren vor. Ein Jahr später sorgten die Forscher der Berliner Humboldt Universität dann für einen Paukenschlag. In ihrem zweiten Zwischenbericht sprachen sie von systemischem Doping in Westdeutschland. Sie beschuldigten das BISp, das Innenministerium und den DOSB, in den 70er und 80er Jahren von Doping gewusst, es sogar geduldet und teils gefördert zu haben. Die Berliner Forscher griffen große Namen an, so unterstellten sie dem langjährigen Vorsitzenden des Nationalen Olympischen Komitees Willi Daume “billigende Mitwisserschaft”.

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Von Mathias Hausding und Daniel Drepper

Die Forscher berichten, dass sie über den gesamten Zeitraum große Probleme bekommen hätten. Seit Ende März 2012 forschen sie überhaupt nicht mehr. Große Teile der letzten Projektphase, der Jahre 1990 bis 2007, sind bis heute nicht bearbeitet. Streit gibt es vor allem ums Geld: Im Sportausschuss des Bundestages berichtete der Direktor des BISp Ende November 2011, dass die Finanzierung des Projektes lediglich bis März 2012 gesichert sei. Er bemühe sich um einen Nachschlag, damit die Berliner Gruppe zu Ende arbeiten kann. Diesen Nachschlag hat es nie gegeben. BISp und DOSB behaupten auf Anfrage, es sei Geld für weitere Forschungen vorhanden gewesen, die HU Berlin hätte dieses Geld aber nicht abgerufen und sei deshalb selbst Schuld am Scheitern des Projektes.

Fehlendes Geld als Knackpunkt

Das Forschungsprojekt lief ursprünglich vom 1. April 2009 bis zum 31. März 2012. Später wurde der Projektzeitraum auf den 30. September 2012 verlängert. Für die Verlängerung gab es kein Geld mehr vom BISp. Das ist einer der Knackpunkte des Konfliktes.

Die HU Berlin erklärt, die Mitarbeiter seien zum 30. März aus dem Projekt ausgeschieden, da “keine verbindlichen Zusagen über die Bereitstellung weiterer Mittel vorlagen”. Der Berliner Projektleiter Hanno Strang traf sich im vergangenen Winter mehrfach mit dem BISp, um weitere Fördergelder zu bekommen. Zu einem konkreten Angebot kam es jedoch nicht, wie auch das BISp auf Nachfrage einräumt. Die beteiligten Forscher erklären, sie hätten selbst in den letzten März-Tagen, als sie ihre Büros schon räumen mussten, kein schriftliches Angebot von BISp-Direktor Fischer bekommen.

Das BISp gibt nach mehreren Nachfragen zu, erst am 15. Juni 2012 das erste Mal ein wirklich konkretes Angebot auf zusätzliche Gelder vorgelegt zu haben. 25.000 Euro durfte jede der beiden Forschungsgruppen nachbeantragen. Die Münsteraner nahmen das Angebot an, für die Berliner kam dieses Angebot fast ein halbes Jahr zu spät. Die beteiligten Forscher waren zu diesem Zeitpunkt teilweise schon für neue Arbeitgeber aktiv. Dem Auftraggeber BISp muss klar gewesen sein, dass mit Drittmitteln bezahlte Forscher weg sind, sobald kein Geld mehr fließt.

DOSB greift die Berliner Forscher an 

Dabei hatten die Forscher der HU Berlin bereits im Jahr 2011 einen ersten Nachschlag an Fördergeld bekommen. 15.000 Euro hatte das BISp genehmigt und überwiesen. Weil die Forscher im Jahr 2011 aber nur 5000 Euro verbrauchten, mussten sie die restlichen 10.000 Euro trotz Protesten wieder zurück überweisen. Mehrere Wochen zusätzliche Arbeit wären damit möglich gewesen. BISp-Direktor Fischer schreibt, das entspreche dem seit 2010 geltenden Haushaltsrecht des BISp, nicht verbrauchte Mittel müssten an die Bundeskasse zurücküberwiesen werden.

Der DOSB sieht alles ganz anders, er greift die Berliner Forscher an. Die Gruppe sei nicht verlässlich genug gewesen und habe sich aus “nicht nachvollziehbaren Gründen aufgelöst”. Das Innenministerium deutet in einer Stellungnahme an, dass man mit der wissenschaftlichen Qualität der Arbeit nicht einverstanden war. Von “äußerst vagen und wissenschaftlich nicht hinreichend belegten” Feststellungen ist die Rede. Das Ministerium bezieht sich dabei auf die Meinung “einiger Beiratsmitglieder”. Norbert Müller, der einzige Historiker im Beirat des Projektes, teilt diese Auffassung nicht: “Ich war regelrecht begeistert von der Arbeitsweise der Berliner”, sagt er auf Anfrage.

Der Berliner Projektleiter Hanno Strang war Ende September 2011 planmäßig in Pension gegangen. Auf Anfrage wollte sich Strang nicht äußern. Die Berliner Forscher selbst weisen die Unterstellungen zurück. “Eine Veröffentlichung unserer Forschungs-Ergebnisse macht transparent und nachprüfbar, dass wir fachlich sauber gearbeitet haben”, sagt Giselher Spitzer. Dann könnten auch Fachkollegen “und nicht nur Beauftragte des BISp” die Arbeit beurteilen.

Bundesverwaltungsamt prüft Rückforderung der Forschungsmittel

Mittlerweile prüft das Bundesverwaltungsamt (BVA), ob das BISp die gut 200.000 Euro Forschungsförderung von der Berliner Gruppe zurückfordern kann. Die Forscher müssen bis März 2013 einen vernünftigen Abschlussbericht abgeben. Angesichts der Probleme sei dies laut BVA “voraussichtlich nicht mehr zu erfüllen”. Der DOSB unterstützt das BISp bei dieser Rückforderung, “denn Forschungsförderung basiert auf Verlässlichkeit. Diese hat die Berliner Projektgruppe vermissen lassen”, schreibt der DOSB auf Anfrage. Weder das BVA noch die HU Berlin wollen sich auf Anfrage zum laufenden Anhörungsverfahren äußern.

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Es wirkt, als wolle der deutsche Sport etwas für sein Image tun, zucke aber zurück, sobald es ans Eingemachte geht. Neben den finanziellen Problemen hatten die Forscher auch mit hohen rechtlichen Hürden zu kämpfen. Im Februar 2011, also eineinhalb Jahre nach Projektstart, unterschrieben HU Berlin und BISp eine Vereinbarung zur Auftragsdatenverarbeitung. Durch diese Vereinbarung dürfen die Forscher nichts veröffentlichen, was nicht vom BISp abgesegnet ist.

Der Berliner Forscher Giselher Spitzer hält die Auftragsdatenverarbeitung des BISp für nicht geeignet. “Hätte es die ursprünglich nicht geplanten Vorstellungen der Zwischenergebnisse 2010 und 2011 nicht gegeben, hätte niemand Kenntnis über die mit Bundesmitteln erarbeiteten Ergebnisse gehabt”, schreibt Spitzer auf Anfrage. Die hohen Datenschutzstandards erlebte auch der Münsteraner Projektleiter Michael Krüger. “Das habe ich noch nicht erlebt, dass mit so großer Sorgfalt auf den Datenschutz geachtet wird. Das war manchmal schon übertrieben, nicht mehr verständlich”, sagt Krüger.

Juristische Probleme bremsten die Forschung 

Nun verlangt das BISp, dass die Berliner Forscher für jeden einzelnen Namen juristisch begründen sollen, warum dessen Veröffentlichung unerlässlich ist. Die Forscher weigern sich, dies zu tun. Sie sehen die Freiheit der Wissenschaft gefährdet. Durch die juristischen Probleme haben die Forscher seit Herbst 2011 nach eigener Aussage weniger forschen können, als geplant. Als keine Verlängerung über März 2012 absehbar war, begannen sie zudem frühzeitig, ihren Abschlussbericht zu schreiben. Auch deshalb hätten sie, sagen die Forscher, für die dritte Phase des Projektes, für die Jahre 1990 bis 2007, nicht so viele Unterlagen zusammentragen können wie zuvor erwartet.

“Ich hätte diese und andere Bevormundungen als einen massiven Eingriff in die Autonomie der Forschung empfunden”, schreibt auch Karl-Heinrich Bette nach Prüfung der Auftragsdatenverarbeitung des BISp. “Mir ist kein sportpolitisches Projekt bekannt, das mit vergleichbar hohen juristischen Hürden umstellt wurde.” Offensichtlich gebe es große Ängste im organisierten Sport, “dass Erkenntnisse publiziert werden könnten, die aus Sicht der Auftraggeber besser im Verborgenen bleiben sollten.” Angesichts des Drittmitteldrucks an Universitäten könne er jedoch verstehen, dass Forscher solche Vereinbarungen unterschreiben.

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Von Mathias Hausding und Daniel Drepper

Das BISp argumentiert, es habe sich mit dieser Auftragsdatenverarbeitung stets an die geltenden Gesetze gehalten, habe unter anderem die Datenschutzbeauftragten der Universitäten und das Ministerium eingebunden. Welche Namen konkret genannt werden können und welche nicht, wollte das BISp auf Nachfrage nicht beantworten. Das ergebe sich aus den gesetzlichen Bestimmungen.

Dopingexperte hielt das Projekt für "unterfinanziert"

Der renommierte Dopingexperte und Sportsoziologe Bette hatte das Projekt schon vor dessen Start im Jahr 2009 kritisiert. Die Ausschreibung sei wissenschaftlich drittklassig gewesen. Die Aufarbeitung des deutschen Dopings über sechs Jahrzehnte innerhalb von drei Jahren sei mit so wenigen Mitarbeitern nicht zu leisten. Die Berliner Forscher hatten für ihre Forschung drei halbe Stellen bewilligt bekommen. “Ich halte das Projekt angesichts des medialen Lärms von DOSB und BISp für erheblich unterfinanziert”, schreibt Bette. “Ein advocatus diaboli könnte den Eindruck gewinnen, dass dadurch verhindert werden soll, dass die Aufklärung allzu sehr in die Tiefe geht.”

Das Projekt hatte Karl-Heinrich Bette bereits vor drei Jahren als Alibi-Forschung bezeichnet. BISp und DOSB täuschten eine Aufklärung nur vor, so Bette, "aber unter der Hand machen sie das Gegenteil". Der Soziologe hat mit seinen Warnungen offenbar recht behalten. Haben hier viele Köche den Brei verdorben? “Ministerium, DOSB, BISp: Alle wollten alles haben”, sagt selbst Michael Krüger, der die Münsteraner Projektgruppe leitet. “Aber bei so einem ausufernden Titel konnte man nicht alle Erwartungen erfüllen.”

Nicht überall durften die Doping-Aufklärer Akten einsehen
 

Neben finanziellen und juristischen Problemen machte den Forschern auch die Einsicht in Akten Probleme. Während der DOSB seine Archive vorbildlich öffnete, waren im BISp den Forschern zufolge zahlreiche Dopingakten nicht mehr vorhanden, die offenbar schon vor Jahren vernichtet wurden.

Wenig Interesse an einer offensiven Zusammenarbeit hatte offenbar auch die Nationale Anti Doping Agentur NADA. Die Berliner Forscher waren in Bonn zu Besuch, suchten Dokumente aus dem Archiv und baten, diese nach Berlin zu senden. In Berlin kam nie etwas an. NADA-Geschäftsführerin Andrea Gotzmann entschuldigt sich auf Anfrage: Die Leitung der NADA habe zuletzt mehrfach gewechselt, die Berliner hätten einfach nochmal Nachfragen sollen. Die Forscher hatten aber genau das getan: Sie hatten Ex-NADA-Chef und Sportrechtsprofessor Martin Nolte im Jahr 2011 erneut gebeten, die Akten zu übersenden. Dieser hatte diese Bitte direkt an Gotzmann & Co weitergegeben. In Berlin sind trotzdem keine Dokumente angekommen.

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Von Mathias Hausding und Daniel Drepper

Gar nicht erst ins Archiv hinein kamen die Forscher beim Deutschen Schwimmverband (DSV). Auf Anfragen habe der Verband nicht reagiert, so die Forscher. DSV-Generalsekretär Jürgen Fornoff sieht darin kein Problem. Die Forscher aus Münster habe man schließlich ins Archiv gelassen, schreibt er auf Anfrage. Warum die Türen für die Berliner zu blieben, begründet er nicht. Auch der Deutsche Fußball Bund zeigte sich wenig kooperativ, die Fußball-Funktionäre griffen die Forscher sogar mit einem eigens beauftragten Gegengutachten an (siehe gesonderter Text). Dopingforscher Bette findet, Sportverbände und Fördereinrichtungen hätten vor dem Projekt schriftliche Erklärungen abgeben müssen, um den Forschern Akteneinsicht und den Zugang in Archive zu gewähren. Solche Erklärungen gab es nicht.

Angst vor der Rumpf-Präsentation

Im Bundesinstitut für Sportwissenschaft geht wegen der Rumpf-Präsentation am Dienstag angeblich schon Panik um. “Das Bundesinstitut hat Angst vor der Presse und davor, dass ihm das ganze Projekt um die Ohren gehauen wird”, sagt der Münsteraner Projektleiter Michael Krüger. “Wir finden es extrem bedauerlich, dass die Berliner nicht dabei sind.”

Die HU Berlin schreibt, sie habe gemeinsam mit dem BISp entschieden, nach all den Problemen am Dienstag in Berlin nicht aufzutreten. Ein Beitrag mit einem “hohen Anspruch auf wissenschaftliche Fundierung” sei derzeit nicht möglich. Giselher Spitzer, einer der Berliner Forscher, hatte das Bundesinstitut dagegen noch Mitte Oktober zwei Mal per Mail gefragt, wann die Vorstellung der dritten Phase geplant sei und ob er für die Berliner Gruppe trotz aller Probleme etwas beitragen dürfe. Seine zweite Mail erreichte das BISp am Morgen des 17. Oktober. Statt einer Antwort fand Spitzer wenige Stunden später die Einladung für die Präsentation der Ergebnisse auf der Webseite des BISp. Ohne seinen Vortrag.