Essen. Wolfgang Hambüchen, Vater und Trainer des erfolgreichen Turners Fabian Hambüchen, ist “zutiefst enttäuscht”. Und er ist damit nicht allein. Das Bundesinnenministerium hatte ein Erfolgsprämien-System für Trainer und Servicepersonal der Athleten entwickelt. Doch bei der Umsetzung hakt es offenbar.

Als der Stuttgarter Turn-Trainer Valeri Belenki kurz nach den Olympischen Spielen bei seinem Kollegen Wolfgang Hambüchen anrief, da reagierte der Vater und Coach des Silbermedaillengewinners Fabian verwundert. Es solle ein Schreiben vom Bundesinnenministerium geben, sagte Belenki, da werde den Trainern der olympischen Medaillengewinner eine Erfolgsprämie versprochen. Von dem Schreiben hatten beide bis dahin nichts gehört.

Also ließ Hambüchen seine Kontakte spielen. Bald hatte er das Schreiben des Ministeriums in der Hand und traute seinen Augen nicht. Da bezeichnen die Ministerialen doch tatsächlich Vereine als „Keimzellen für die Entwicklung sportlicher Höchstleistungen“ und schreiben, dass Talente in Deutschland „naturgemäß außerhalb der eigenen Strukturen der Bundessportfachverbände“ entdeckt werden. „Ich war begeistert“, sagte Hambüchen, „denn genau das sage ich seit Jahren.“

Als Vater einer Silbermedaille winkte Hambüchen also ein schöner Bonus. Denn das BMI hatte in seinem Schreiben vom 24. Juni folgende Summen ausgelobt: 40.000 Euro für Gold, 25.000 Euro für Silber und 15.000 für Bronze, zu verteilen auf die Beteiligten am Erfolg. Wobei ein Trainer pro Medaille maximal 15.000 Euro, bei mehreren aber höchstens 30.000 bekommen soll. Allerdings darf der Betreuerstab ausdrücklich mitverdienen; damit die Keimzellen des Triumphes weiterhin gedeihen.

“Trainer verdienen unter 2200 Euro brutto”

Trainer außerhalb der professionellen Mannschaftssportarten darben in Deutschland: Sie bekommen, gemessen an Aufwand, Erwartung und dem hohen Entlassungs-Risiko vergleichsweise wenig Geld, besitzen in der Regel nur Zeitverträge und müssen am Wochenende arbeiten. Viele Trainer im Kunstturnen, sagt Hambüchen, verdienten weniger als 2.200 Euro brutto im Monat. „Ich kann niemandem guten Gewissen dazu raten, Vollzeit als Trainer zu arbeiten.“

Das Dilemma betrifft nicht nur die Turn-Szene. Jürgen Mallow war bis 2009 Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes und hatte jahrelang Probleme bei der Suche nach Trainern. „Wenn ich wenige Trainerstellen habe, und die sind auch noch mäßig bezahlt mit einem hohen Berufsrisiko: Wer macht denn das schon? Einen Hammerwurftrainer zu finden, ist schon verdammt schwierig. Es gibt keinen Arbeitsmarkt dafür.“ Immerhin hat das BMI das Problem erkannt.„Den Geist und den Gedanken dieser Trainerprämien des BMI finde ich klasse“, sagte Hambüchen Ende August: „Die machen sich zum ersten Mal einen Kopf, wo die Leute denn überhaupt herkommen, die für den Erfolg von Athleten zuständig sind.“

Fabian Hambüchens Erfolge sind in Wetzlar entstanden, fern von den großen Turnzentren in Cottbus, Berlin oder Stuttgart. Neben dem Kernteam Vater (Trainer) und Sohn (Turner) traten auf: Die Mutter als Managerin, der Onkel als Mentaltrainer, ein Physiotherapeut aus Wetzlar und ein Biomechaniker aus Frankfurt. Und weil das Schreiben des BMI vorsieht, dass auch „Servicepersonal“ entschädigt werden könne und dass man die Arbeit von Jugend- und Nachwuchstrainern würdigen wolle, gingen die Hambüchens davon aus, dass sie mit den 25.000 Euro für die Silbermedaille endlich mal Danke sagen könnten, „dass man denen mal mehr in die Hand drücken kann als `ne Pulle Wein“, wie Hambüchen sagt. Und so hat er nach Vorlage des BMI gerechnet: 25.000 Euro dividiert durch fünf macht 5.000 pro Beteiligten, abzüglich der Steuern.

Turnerbund lehnt Hambüchens Vorschlag ab

Diese Aufstellung schickte er an den Deutschen Turnerbund (DTB), der in Abstimmung mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) die für den Spitzensport gedachten Gelder des BMI im Kunstturnen verteilt. Aber Hambüchen hat die Rechnung ohne die Funktionäre gemacht. Am Donnerstag vergangener Woche lehnte der DTB den Verteilungsschlüssel des Hessen rundweg ab. Die vorgeschlagenen Empfänger, heißt es in der schriftlichen Antwort, fielen nicht unter die Definition des vom BMI genannten „Servicepersonals“.

Hambüchen kennt alle erdenklichen Turnübungen. So ein Funktionärssaltorückwärts befremdet ihn. Denn DTB–Sportdirektor Wolfgang Willam hat die Prämienregelung gelobt: „Der Kick der ganzen Sache ist, dass man auch die Trainer mit Prämien beglücken kann, die an der Entwicklung der Talente mal beteiligt waren.“ Allerdings sei im Falle von Fabian Hambüchen der Heimtrainer ja auch der Entdecker gewesen. Und so kam Willam schon vor der Absage zu einem anderen Verteilungsschlüssel: „Ich denke, wir verteilen das klassisch. Die Hälfte für den Heimtrainer und die Hälfte für den Bundestrainer.“ Demnach erhält Hambüchen Senior nach der Prüfung von DTB und DOSB nur noch 12.500 Euro. Seine „Danksagung“ hat sich halbiert: „Ich bin zutiefst enttäuscht, obwohl ich die Idee des BMI anfangs für eine großartige Möglichkeit gehalten habe“.

Auch andere Verbände äußern Kritik - Sollten Prämien gar vor der Politik verschwiegen werden?

Der Unmut über die im Ansatz vernünftige Idee wächst, weil die Flexibilität zu wünschen übrig lässt. So kann der in London erfolgreiche Deutsche Kanu-Verband (DKV) das Angebot gar nicht ausschöpfen: „Wir haben unsere Strukturen so gestrafft, dass der Heimtrainer, der Bundestrainer und der Stützpunkttrainer oft eine Person ist“, sagt Jens Kahl, der Sportdirektor des DKV: „Das führt dazu, dass wir gar nicht alles ausschütten können.“ Etwa im Fall der Kajak-Sprinterinnen, deren Trainer die Fahrt zu Gold und Silber mitbestimmten. „Außerdem würde ich gerne Vereine entlohnen, die unsere Medaillengewinner mal entdeckt haben  – die brauchen wir, damit sie auch in Zukunft Talente suchen“, sagt Kahl. Das sei laut BMI nicht möglich. Auch der Wunsch, Bootsbauer, Sportwissenschaftler und Mediziner einzubeziehen, klassisches „Servicepersonal“, ließ sich laut Kahl nicht verwirklichen: „Die Verteilung ist zu starr.“

"Wir haben nichts zurückgelegt"

Das ist nicht die einzige Kritik. Weil die Politik den Sportverbänden erlaubt, Personalmittel pauschal für vier Jahre im Voraus zu beantragen, können diese Lohn und Honorare ansparen – etwa wenn Stellen eine Zeit lang nicht besetzt werden oder Spezialisten zunächst eingeplant, dann aber nie unter Vertrag genommen wurden. Beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) sind deshalb 100.000 Euro zusammengekommen, sagt Generalsekretär Frank Hensel. Andere Verbände aber verließen sich auf die Auskunft, dieses Geld müssten sie irgendwann zurückzahlen. Entsprechend unterschiedlich sind die Guthaben: „Wir haben nichts zurückgelegt“, sagte der Sportdirektor der Schwimmer, Jürgen Fornoff. Gleiches gilt zum Beispiel für den Deutschen Judobund. Dies entpuppt sich nun als Nachteil.

Das BMI erlaubt den Verbänden, die Euro auf der hohen Kante für ein zweites Prämiensystem einzusetzen. Neben der beschriebenen Belohnung vom BMI für das Servicepersonal dürfen Trainer von Sportlern entlohnt werden, die in London zwar Weltklasseleistungen boten, aber nicht unter die ersten Drei kamen. Elisabeth Seitz, junge Turnerin aus Mannheim, wurde Sechste im Finale am Stufenbarren. Weil der Turnerbund fleißig Mittel gespart hat, soll ihre Trainerin in den Genuss eines Zuschlags kommen, ebenso die Trainer der Männer-Riege, die es bis ins Teamfinale schaffte. „Nur Medaillen zu prämieren wäre nicht im Sinne unserer Strategie”, sagt Wolfgang Willam.

Sollten Prämien vor der Politik verschwiegen werden?

Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag und Vizepräsidentin des Leichtathletik-Verbandes, stimmt dieser Strategie zu. Aber sie hätte gerne früher von dieser Variante erfahren. Das BMI hatte sie, trotz mehrmaliger Nachfrage, nicht informiert. „Das Prämiensystem für die Medaillenränge ist im Sportausschuss, auch in den Haushaltsberatungen, sehr kontrovers diskutiert worden“, sagt Freitag. „Dass es daneben aus Steuermitteln ein zweites Prämiensystem gibt, dass also Mittel angespart werden können, das ist im Ausschuss niemals gesagt worden. Mir drängt sich der Verdacht auf, es sei verschwiegen worden, weil man nicht eine zweite Diskussion über Prämien aufmachen wollte.“

Die aber ist längst im Gange. Sie zeigt, wie unkoordiniert in Deutschland reagiert wird. Während sich für die Trainer, mit Abstrichen kleine Perspektiven eröffnen, schauen die Athleten wohl bald in die Röhre. Die Stiftung Deutsche Sporthilfe überlegt, künftig keine Medaillenprämien, 15.000 für Gold, 12.000 für Silber, 8.000 für Bronze, mehr auszuschütten. „Schließlich könnte das ein Anreiz in die falsche Richtung sein, wenn man etwa an die Dopingproblematik denkt“, sagt Michael Illgner, der Vorstandsvorsitzende der Sporthilfe.

50.000 Euro für Gold

So sprachen Wissenschaftler und Politiker schon 2008, als das heutige Modell der Trainerprämien erstmals diskutiert wurde. Der DOSB hatte damals vorgeschlagen, Gold mit 50.000 Euro zu honorieren, Silber mit 30.000 und Bronze mit 20.000. Der Sportausschuss verhinderte das Modell. Weil die Gefahr bestünde, dass noch mehr Druck auf die Athleten ausgeübt werde. Man solle lieber zusehen, dass Trainer mehr Grundgehalt bekommen. Dazu ist es nicht gekommen. Immerhin wird jetzt um ihre Bezahlung gestritten.

Das Schreiben des Bundesinnenministeriums im Rechercheblog der WAZ-Mediengruppe.