Dortmund. . Vor dem Start der Leichtathletik-WM in Peking spricht der Olympia-Zweite im Zehnkampf, Frank Busemann, über Doping, seine Familie und den Sport.

Vor 19 Jahren gewann der Recklinghäuser Frank Busemann mit 8706 Punkten die olympische Silbermedaille im Zehnkampf. Heute hält der 40-Jährige Vorträge, moderiert Veranstaltungen oder arbeitet wie jetzt bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften als TV-Experte. Vor der WM spricht der „Sportler des Jahres 1996“ darüber, wie schwer es angesichts der vielen Doping-Fälle geworden ist, noch eine Faszination zu empfinden und warum er seinen drei Kindern immer noch empfehlen kann, Leistungssportler zu werden.

Herr Busemann, auf wie viele Punkte würden Sie heute kommen? Bekommen Sie mit 40 überhaupt noch alle zehn Disziplinen hin?

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Frank Busemann: Selbstverständlich. Von Oktober bis Dezember war ich im harten Altersklassentraining (lacht). Ich hatte überlegt, bei der Hallen-EM der Opas – das darf jetzt kein Senioren-Sportler lesen – teilzunehmen. Ich habe 1,80 Meter im Hochsprung überquert. Mein Hürdenlauf sah eher aus wie Karnickel-Bocksprung. Ich habe ja alles in Joggingschuhen gemacht, da ist der Abstand zwischen den Hürden ganz schön weit. Ich bin dann doch nicht zur EM gefahren, weil mein Kumpel eine dicke Wade hatte. Es ist Spekulation, aber an die 6700 Punkte würde ich herankommen.

Wie oft treiben Sie denn noch Sport?

Busemann: Zur Zeit sogar fünfmal die Woche. Schwimmen, Joggen und Radfahren. Aber mit Kindersitz, damit es nicht so aussieht, als ob ich es professionell machen würde.

Ihr Vater Franz-Josef hat Sie als Trainer in die Weltspitze geführt? Könnten Sie sich das auch mit Ihren Kindern vorstellen?

Busemann: Nein. Ich bin kein Trainer, ich bin zu ungeduldig.

Könnten Sie denn angesichts der Entwicklung im Sport mit vielen Dopingskandalen Ihren Kindern raten, Ihren Weg einzuschlagen?

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Busemann: Ja. 2008 nach der Geburt unseres ersten Sohnes habe ich mir diese Frage gestellt. Damals kam der Dopingskandal um Marion Jones heraus. Da habe ich meiner Frau gesagt, ich bin so enttäuscht, ich will gar nicht, dass unsere Kinder mal Leistungssport machen. Die kommen sauber ins Ziel und müssen sich rechtfertigen, weshalb sie so gut sind. Meine Frau hat dann erwidert, Frank, die machen das nicht für Geld, Ruhm und Ehre, sondern um sich auszuprobieren, um ihre natürlichen Grenzen zu erfassen. Alles, was den Sport auszeichnet. Deswegen kann ich meine Kinder mit gutem Gewissen in den Sport lassen.

„Zweimal ist mir Doping angeboten worden“

Es gab jetzt vor der WM Enthüllungen, nach denen ein Drittel aller Medaillengewinner in Ausdauerdisziplinen zwischen 2001 und 2012 auffällige Blutwerte aufwiesen. Ein sauberer Athlet muss anscheinend vielen Versuchungen widerstehen.

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Busemann: Das stimmt. Ich hatte jetzt mit Robert Harting ein tolles Gespräch. Er hat mich angerufen, weil ich gesagt habe, ich würde für keinen deutschen Athleten meine Hand ins Feuer legen. Ich habe ihm erklärt, auch ich sei selbst traurig, wenn ein Generalverdacht ausgesprochen würde. Aber dann habe ich ihn gefragt, ob er denn für mich, für Frank Busemann seine Hand ins Feuer legen würde. Ich habe die Antwort nicht abgewartet, denn das kann er nicht. Genau weiß nur der Sportler selbst, ob er sauber ist. Meinen Kindern will ich die Werte des Sports so vermitteln, dass sie unumstößlich für ihr Leben sind und es für sie keine Frage sein wird, im Sport zu betrügen.

Wie ist das Gespräch mit Robert Harting ausgegangen?

Busemann: Ich habe ihm meine Gedankengänge erklärt. Wenn man den Satz losgelöst hört, klingt er ganz anders, als wenn man erklärt, warum man es so sagt. Ich kann für keinen Athleten die Verantwortung übernehmen, dass er sauber ist. Wir sind oft genug enttäuscht worden.

Sind Sie selbst nie in Versuchung geraten?

Busemann: In Versuchung nie. Zweimal ist mir etwas angeboten worden. Vor den Olympischen Spielen 1996 meldete sich ein anonymer Anrufer bei meinem Vater. Er könne eine Medaille garantieren. Für 500 bis 1000 Euro im Monat für gewisse Ernährungsumstellungen. Mein Vater hat geantwortet, im Sport könne man nichts garantieren. Außerdem habe er noch nie gehört, dass man mit Möhren für 500 Euro wirklich schneller werde. Später hat man mir mal gesagt, dass man meine vielen Verletzungen mit gezieltem Doping besser und schneller behandeln könne. Das kam für mich nicht in Frage. Ich war damals auch ziemlich naiv in diesen Dingen.

Wieso naiv?

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Busemann: Ich habe immer geglaubt, es würde ganz viele saubere Sportler geben. Diese Auffassung habe ich auch mal in einer Diskussionsrunde vertreten. Ein Funktionär hat dann gesagt, wir wollen dem Frank seinen Glauben an den sauberen Sport nicht nehmen. Ich war selbst überrascht über meine Naivität, dass ich Doping nicht wahrhaben wollte. Mittlerweile habe ich offenere Augen. Wenn ich jetzt etwas über meine Vergangenheit erzähle, sagen einige, Mensch, tu mal nicht so, als ob das bei dir alles sauber gewesen wäre. Du warst doch auch in der Spitze. Und da geht es nur mit Doping. Ich gebe zu, das verletzt mich auch.

Warum soll ich Ihnen glauben, dass Sie wirklich sauber waren?

Busemann: Ich denke immer, wenn ich so aufrichtig über mich erzähle, dann muss man mir glauben. Aber ich kann es keinem übel nehmen, wenn er mir nicht vertraut, ich tue es ja auch bei vielen nicht. Außerdem erzählt das jeder überführte Doping-Sünder. In einer tränenreichen Botschaft, so dass man ihm fast glauben könnte. Ich erinnere mich an Erik Zabel, wie er unter Tränen seine Geschichte erzählt hat, obwohl alles erstunken und erlogen war. Das sind alles Super-Schauspieler.

Und wie wir wissen, kann man auch den Doping-Tests nicht vertrauen.

Busemann: Ja leider. Marion Jones ist bei 160 Tests nie aufgefallen. Ich habe 99 Urin- und sieben Bluttests abgegeben.

„Wir müssen die Athleten vor sich selber schützen“

Bei der WM in Peking werden einige Athleten wie der US-Sprinter Justin Gatlin starten, die schon mehrfach erwischt worden sind? Ist das in Ordnung?

Busemann: Nein. Jeder hat eine zweite Chance verdient. Aber keine dritte. Wer mit einer so konstanten Boshaftigkeit die Ethik des Sports mit Füßen tritt wie Gatlin, der darf nicht mehr starten. Wiederholungs-Täter sollten lebenslang gesperrt werden. Juristen sagen, das gehe nicht, aber nach meiner Moral- und Fairness-Vorstellung sollte es diese Strafe geben. Es war genau richtig, dass Harting vor einem Jahr nicht gemeinsam mit Gatlin auf der Liste zum Welt-Leichtathleten stehen wollte. Es war eine kleine Geste mit einer Riesen-Welle. Harting hat Mumm.

Gatlin läuft in Peking über 100 Meter nicht nur gegen Usain Bolt, sondern auch gegen die überführten Doper Tyson Gay und Asafa Powell. Empfinden Sie wirklich noch eine Faszination bei der WM?

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Busemann: Ich gebe zu, beim 100-Meter-Lauf ist es schwer. Aber es ist noch eine Faszination da. Sie ist nicht so groß, als wenn die Läufer sauber wären. Es ist echt schwer. Doch es ist mein Sport. Ich weiß, wie er sich anfühlt. Selbst mit 40 Jahren habe ich jetzt gespürt, wie geil es ist, sich zu überwinden und an Zahlen zu reiben. Wann stoppt die Uhr, welche Weite schaffe ich? Es ist ein tolles Gefühl für den Sportler und spannend für die Zuschauer.

Es gibt auch Stimmen, die sagen, die betrügen sowieso alle, also lasst uns das Dopen erlauben.

Busemann: Das ist verwerflich. Wir müssen die Athleten vor sich selbst schützen. Der erste würde eine Pille nehmen, der nächste zwei, weil er zu sonst zu langsam ist. Irgendwann wäre es die ganze Packung und im Ziel gäbe es Tote.