Emden. . Der Dreimaster „Tenacious“ ist speziell dafür konzipiert, von Behinderten und nicht Behinderten gemeinsam gesegelt zu werden. Für die ersten Seemeilen ab Emden aber musste der Dieselmotor aushelfen - der Wind war zu schwach.
Der Shanty-Chor Loppersum sollte Recht behalten: „Volldampf voraus“, hatten die standesgemäß in Blau gekleideten Ostfriesen gesungen, als die 36-köpfige Mannschaft aus NRW gestern Mittag in Emden an Bord des Dreimasters „Tenacious“ (auf Deutsch: die Beharrliche) ging. Der Wind, der die 65-Meter-Bark eigentlich antreibt, zeigt sich als laues Lüftchen – und so macht sich das Schiff, das der Behindertensportverband NRW gechartert hat, um mit Behinderten und Nichtbehinderten gemeinsam zu den Paralympics nach London zu segeln, vorerst nur mithilfe des Motors auf den Weg.
„Ihr seid die, die uns von hier nach London bringen“, begrüßte Kapitän Simon die bunt zusammengewürfelte Amateur-Mannschaft. Und spätestens da war für jeden klar, dass man auf dem Windjammer – mit seinem Schwesterschiff „Lord Nelson“ der einzige Großsegler, auf dem auch Behinderte mitfahren können – nicht als Passagier unterwegs ist. Ich bin in Jennys Wache eingeteilt, einer von vier Zehn-Personen-Gruppen, die nun rund um die Uhr stundenweise das Schiff fahren: Segel setzen, steuern, an- oder ablegen – vom ersten Moment an Bord sind hier auch die Segel-Laien einbezogen.
Leckere britische Küche
Doch vorm Ablegen gibt es erst mal die Sicherheitsanweisungen von Kapitän Simon. Schließlich geht es nicht nur darum, spätestens sieben Minuten nach Auslösen des schrillen Generalalarms mit Schwimmwesten an Deck zu stehen, sondern auch die drei Rollstuhlfahrer aus den Mannschaftsräumen unter Deck nach oben zu bringen.
Alter, Fitness oder Segelerfahrung spielen hier jedenfalls kaum eine Rolle. Egal ob die Teilnehmer des BSNW-Projektes im Rollstuhl sitzen oder ihr Handicap in „Übergewicht und zwei Meter Körpergröße“ besteht (was angesichts manch enger Koje tatsächlich ein Problem sein kann) – wenn die Wachzeit beginnt, wird jeder geweckt und der Dienst beginnt.
Bevor unser Team an der Reihe ist, habe ich meine ersten Meter auf See schon zurückgelegt – allerdings nicht an Bord, sondern im kleinen Motor-Schlauchboot. Zusammen mit drei anderen Mitfahrern gehöre ich zu den „Leinenleuten“, die beim Ablegen als Letzte an Land bleiben, um die dicken Taue zu lösen. Bei unserem ersten Manöver – einmal Wenden im Hafen und Anlegen an der gegenüberliegenden Kaimauer, um dort Frischwasser zu tanken, hat das schon ganz gut geklappt.
Zwölf Mann in einer Koje
Meine Koje ist im Mannschaftsraum vorne rechts – zwölf Mann in Stockbetten, die sich jeweils hinter einem Vorhang zurückziehen können. „Das Bett ist ein bisschen hart“, hat mein Wach-Kollege Rene schon festgestellt. Aber sonst sei alles prima, meint der 18-Jährige aus Neukirchen-Vluyn. Das Essen, vor dem mancher angesichts der britischen Heimat der „Tenacious“ Sorgen hatte – „schmeckt super“. Kartoffeln und Fleisch zum Abendessen, danach Obstsalat, wer will da schon meckern,
Wie viel Schlaf Rene, ich und die anderen aus Jennys Wache bekommen werden, bleibt indes abzuwarten. Unsere Wache hat die erste Schicht von Mitternacht bis früh um vier. Die blaue Plastikplane, die wir bei Seegang zwischen Matratze und Kojendecke spannen müssen, um nicht aus dem Bett zu fallen, kann heute Nacht getrost verstaut bleiben. Windstärke sieben ist erst fürs Wochenende angekündigt.