Sotschi. . Eiskunstlauf ist nach Eishockey die Nummer eins in Russland. Der 31-jährige Jewgeni Pluschenko ist deswegen Russlands großer Star. Für ihn zählt nur Gold, dabei ist sein Körper mittlerweile ein Ersatzteillager. Und nur seine Frau verhinderte ein vorzeitiges Karriereende.
Als die letzten Töne von „Tango de Roxanne“ erklangen, verneigte sich Jewgeni Pluschenko nach seiner Kurzkür im Mannschaftswettbewerb ganz tief vor den 8000 Zuschauern im „Eisberg“ und signalisierte ihnen mit seinen Händen, wie schnell sein Herz geschlagen habe, wie groß die Anspannung gewesen sei. „Schenja, Schenja“, schrien die Zuschauer im Stakkato. In Russland ist nicht nur Präsident Wladimir Putin sein großer Fan. „Schenja“, wie sie ihn mit seinem Kosenamen rufen, ist der Liebling der Nation. Mit allen Vorteilen der fast schon grenzenlosen Verehrung, des immensen Einkommens, aber auch mit dem Nachteil der erdrückenden Erwartungshaltung. Für Putin und für alle anderen 143 Millionen Einwohner der Russischen Föderation zählt nur Gold. In Russland steht jedes Kind schon früh auf Schlittschuhen, Eiskunstlauf ist nach Eishockey die Nummer eins in der Popularitätsskala.
Dem ersten Gold im eigens für die Gastgeber neu geschaffenen Teamwettbewerb ist Pluschenko näher gekommen. Am Sonntag kann er seine erste Mission vollenden. „Ich laufe für mich, meine Fans und meine Söhne, einer ist ein Jahr alt und einer sieben“, sagte Pluschenko nach seiner gelungenen Kurzkür, in der nur der Japaner Yuzuru Hanyu noch mehr Punkte erhielt, „ich springe vierfach und kann noch mit 18-Jährigen mithalten. Ich bin alt, aber ich lebe noch.“
Der Körper von Pluschenko ist ein Ersatzteillager
Wenn der 31-jährige Pluschenko solche Worte ausspricht, sind sie alles andere als eine Floskel. Der Körper des Künstlers auf dem Eis ist ein Ersatzteillager. Tausende Sprünge mit nicht immer sanften Landungen auf dem knallharten Eis haben ihre Spuren hinterlassen. Zwölf Operationen an Leisten, Knien und Rücken musste er über sich ergehen lassen. 2013 wurden Pluschenko in Tel Aviv eine künstliche Bandscheibe und vier Schrauben in der Wirbelsäule eingesetzt. „Ich muss meinen Weg zu Ende gehen, auch wenn es weh tut“, sagte Pluschenko im „Spiegel“.
Zum Auftakt der olympischen Saison schien die Karriere des Olympiasiegers von 2006, des Silbermedaillengewinners von 2002 und 2010, des dreimaligen Weltmeisters und siebenmaligen Europameisters schon beendet zu sein. Bei der russischen Meisterschaft verlor er zum ersten Mal seit 15 Jahren. Gegen den erst 18-jährigen Maxim Kowtun, der sich damit die Olympia-Qualifikation sicherte. Eigentlich. Es soll Putin persönlich gewesen sein, der die Paragrafen aushebelte. Russlands Superzar wollte seinen Star auf dem Eis sehen. Und bekam natürlich seinen Willen. Platz elf im Medaillenspiegel in Vancouver vor vier Jahren: diese nationale Schmach soll in der Schwarzmeer-Stadt getilgt werden. Selbstverständlich mit Putins Glamour-Boy.
Seine Frau verhinderte ein vorzeitiges Karriereende
Neben dem Macher der Sotschi-Spiele tat auch Jana Rudkowskaja alles, damit Russlands Liebling bei Olympia seine Vierfach-Sprünge zeigen kann. Die 39-jährige Rudkowskaja ist seit 2007 mit Pluschenko verheiratet. Der Eiskunstläufer wollte damals wegen all seiner Beschwerden die Schlittschuhe in die Ecke stellen. Die geschäftstüchtige Rudkowskaja sagte ihm, dass sie ihn nur heirate, wenn er wieder mit dem Sport beginne. Seine Antwort kennen wir.
Jana und Schenja sind in Russland ein Glitzer-Paar. Bevor Rudkowskaja ihren Mann zum ersten Mal traf, verdiente sie schon ein Vermögen. Die Ärztin mit Fachgebiet Dermatologie verschönerte in Sotschi reiche Russen und kassierte für das Entfernen ihrer Falten kräftig ab. Jetzt managt sie Stars, natürlich auch ihren Mann. 2,5 Millionen Dollar soll Pluschenko durch Werbung verdienen. „Schenja wird in Sotschi etwas Einzigartiges zeigen, für mich ist es ein Sieg, dass er dabei ist“, sagte seine Frau, „die Leute lieben mich dafür, dass ich ihn zurückgeholt habe.“
Für das Mannschafts-Gold wird es wohl reichen
Für die Kür hat sich ihr Mann ein ganz besonderes Programm kreieren lassen. Sozusagen Best of Pluschenko, die besten Passagen aus seinen so erfolgreichen Jahren. Für das Mannschafts-Gold am Sonntag wird es wahrscheinlich reichen. Das russische Team hat nicht nur einen starken Pluschenko auf dem Eis.
Aber ob der Mann mit der blonden Mähne auch im Einzel am 13. und 14. Februar stehen wird und gar zum zweiten Mal Olympiasieger wird, das bezweifeln viele. Nicht nur, weil sich die mehr als zehn Jahre jüngeren Konkurrenten wie der Kanadier Patrick Chan oder der Japaner Yuzuru Hanyu bei ihren Vierfach-Sprüngen fast mühelos in die Luft schrauben. Vier Auftritte in acht Tagen, werden das Pluschenkos geschundene Knochen aushalten? Jana Rudkowskaja wird ihren Schenja antreiben, ein letztes Mal zum Wohle des Geschäfts und Russlands alles aus seinem Körper herauszuholen. Hoffentlich wird es nicht ein Sprung zu viel.