Es ist naiv zu glauben, durch die Spiele rasch grundlegende Änderungen der gesellschaftspolitischen Verhältnisse in Russland anzustoßen. Es ist aber ebenso naiv, Länder von Olympia auszugrenzen und zu glauben, dass sich damit eine Änderung anschieben ließe. Ein Kommentar von Ralf Birkhan.

Man hat den Eindruck: Es gibt die Olympischen Winterspiele in Sotschi zweimal.

Die ersten Spiele sind die auf der politischen Ebene. Sie gehen so: Der russische Präsident Wladimir Putin hat sich Olympia gekauft und dann für die Rekordsumme von 50 Milliarden Euro einen Wintersportpark in den Schwarzmeer-Badeort Sotschi bauen lassen. Hochgezogen haben die Bauten Leiharbeiter, die für einen Hungerlohn malochen mussten. Zudem verfolgt das Gastgeberland Homosexuelle, sperrt Systemkritiker ins Gefängnis und lebt in Angst vor Terror-Anschlägen.

WAZ-Sportchef Ralf Birkhan kommentiert
WAZ-Sportchef Ralf Birkhan kommentiert © WAZ FotoPool

Die zweiten Spiele sind die, von denen die Sportler schwärmen: Sie trainieren ein Leben lang auf diesen einen Wettbewerb hin. Wenn sie nicht zu den ganz abgezockten Stars gehören, ist Olympia für sie das größte Ereignis ihrer Karriere. Und dabei ist es für viele am Ende egal, ob sie nun eine Medaille gewonnen haben oder nur dabei waren. Sie haben sich ihren großen Traum von Olympia erfüllt.

Aber natürlich gibt es im richtigen Leben nicht zwei Olympische Spiele, und daher werden beide Wahrnehmungen in der Realität von Sotschi zusammenfinden müssen. Es gibt keine Garantie dafür, dass dies funktioniert. Aber es gibt Indizien dafür, dass es funktionieren kann.

Der Boykott von Moskau ist verpufft

Beispiel sind die Olympischen Spiele 2008 in Peking. Das chinesische Regierungssystem steht ebenso lange in der Kritik wie das russische System. Aber vor den Spielen rücken die Länder verschärft in den Blickpunkt, sie müssen plötzlich öffentliche Kritik ertragen und auch lernen, damit umgehen.

Trotzdem ist es naiv zu glauben, durch die Spiele rasch eine grundlegende Änderung zu erreichen. Es ist aber ebenso naiv, Länder von Olympia auszugrenzen und zu glauben, dass sich damit eine Änderung anschieben ließe. Der Boykott von Moskau ist 1980 einfach verpufft.

Mitnehmen und überzeugen ist die bessere Variante, um gesellschaftliche Änderungen zu erreichen. Und wenn die Begeisterung der Fans dabei auch noch die Träume der Sportler trägt, dann merkt man schnell: Es gibt auf dieser Welt schlechtere Dinge als Olympia.